Alejandro Jodorowskys surrealer Horrorfilm Santa Sangre erhält nach 30 Jahren eine Neuveröffentlichung. Was euch dabei erwartet, erfahrt ihr hier.
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Titel | Santa Sangre |
Jahr | 1989 |
Land | Italy |
Regie | Alejandro Jodorowsky |
Genres | Drama, Thriller, Horror |
Darsteller | Axel Jodorowsky, Blanca Guerra, Guy Stockwell, Thelma Tixou, Sabrina Dennison, Adan Jodorowsky, Faviola Elenka Tapia, Teo Jodorowsky, Jesús Juárez, Gloria Contreras, Mary Aranza, Sergio Bustamante, S. Rodriguez, Zonia Rangel Mora, Joaquín García Vargas, Teo Tapia, Edgar E. Jiménez Nava, Jacobo Lieberman, Héctor Ortega, Brontis Jodorowsky, Valérie Crouzet, Óscar Serafín Álvarez, Billy Motton, Hilario 'Popitekus' Vargas, Guadalupe 'TNT' Aguilar, Arturo 'Rinoceronte' Contreras, Gustavo Aguilar Tejada, Roger Fayard Arroyo |
Länge | 118 Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Amazon Prime Video, Moviedome Plus Amazon Channel, Amazon Prime Video with Ads Kaufen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, maxdome Store, MagentaTV, Videoload Leihen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, maxdome Store, MagentaTV, Videoload, Freenet meinVOD |
Die blutige Geschichte von Santa Sangre
Der junge Fenix lebt zusammen mit seinen Eltern in einem örtlichen Zirkus. Er selbst führt Zaubertricks vor, sein Vater Orgo ist Zirkusvorsteher und Messerwerfer. Seine Mutter Concha wirkt abseits ihrer Trapezkünste in der örtlichen Glaubensgemeinschaft „Santa Sangre“, welche eine armlose Märtyrerin anbetet und in deren heiligem Blut badet. Der Zirkus bekommt bald Zuwachs von einer jungen taubstummen Pantomime, welche sich schnell mit Fenix anfreundet, und deren Mutter, „die tätowierte Frau“. Orgo macht dieser sichtlich Avancen, und schon bald erwischt Concha ihn, wie er sie mit der tätowierten Frau betrügt. Concha ist rasend vor Wut und verstümmelt den beiden mit einer Säure die Genitalien. Der Vater wiederum schneidet ihr daraufhin beide Arme ab und nimmt sich das Leben, indem er sich vor den Augen seines Sohnes die Kehle aufschneidet. Der Junge landet in einer Nervenheilanstalt.
Nun, Jahre später, lebt der mittlerweile erwachsen gewordene Fenix zusammen mit Menschen mit geistiger Behinderung in einer Klinik. Bei einem Ausflug in die Stadt sieht er die tätowierte Frau wieder. Kurz darauf taucht seine Mutter vor seiner Zelle auf und fordert ihn zum Ausbruch aus. Dieser verschreibt sich darauf gänzlich den Wünschen der Mutter und schon bald wird die tätowierte Frau tot aufgefunden..
Die bizarre Welt von Alejandro Jodorowsky
Santa Sangre ist der fünfte von bis dato gerade einmal acht Langfilmen des chilenischen Regisseurs Alejandro Jodorowsky (El Topo, Montana Sacra) mit der Vorliebe für Surreales und besondere Symbolik. Der Regisseur arbeitete nach einer schweren Kindheit selbst als Mime und Clown, bevor er seine eigene Theatergruppe gründete.
Die Hauptfigur wird sowohl in der Vorgeschichte als Kind (Adan) als auch als Erwachsener (Axel) von den Söhnen des Regisseurs gespielt. In der Rolle eines Zuhälters spielt mit Teo Jodorowsky ein weiterer Sohn des Regisseurs mit. Ob dies, auch angesichts der schweren Kindheit und Anstellung als Clown, für eine besondere persönliche Komponente im Film spricht, lässt sich zumindest mutmaßen.
Wie vom Filmemacher gewohnt entbehrt auch Santa Sangre nicht einer Unmenge an religiöser Symbolik und Motive. Mal ist es aber auch gerade interessant, wenn dies ganz unverschlüsselt gezeigt wird. So begutachtet der einheimische Priester die Kirche Santa Sangre, die ihren Glauben etwas anders auslegt als die katholische Kirche. Verzweifelt versucht er, den von ihm als Ketzerei betitelten Glauben der Gemeinde mit rationalen Argumenten zu entlarven und trifft, kaum überraschend, auf wenig Verständnis. Wutentbrannt veranlasst er, die Kirche abzureißen und fährt mit seinem wortlosen Jüngling-Lakaien davon.
Keine schöne Kindheit
Die ersten rund 40 Minuten des Films widmen sich Fenix‘ Kindheit. Hier wird der Alltag und das Leben im Zirkus dargestellt. Die Zirkusgemeinschaft besteht hier aus zusammengepfercht beieinander lebenden Menschen und Tieren in einer sehr schmutzigen Gegend einer sehr schmutzigen Stadt. Fenix, auf den sowieso keine besondere Rücksicht genommen zu werden scheint, erlebt das Ende seiner Kindheit spätestens, als er seine Eltern beim Sex zwischen den Tiergehegen beobachtet. Zu gleicher Zeit stirbt ein von ihm geliebter Elefant, verbunden mit blutigen Ausflüssen aus dessen Rüssel. In einer grotesken Szene wird dieser Elefant in einem überdimensionalen Sarg in einem Trauermarsch zur Stadtgrube getragen, nur um diesen dort feierlich mit einem lauten Knall den Abhang hinunter in die Müllkippe zu befördern, wo bereits eine dreckige Menschenmeute auf das Plündern wartet.
Der trauernde Junge wird nun auf besondere Weise von seinem Vater vertröstet. Dieser schneidet ihm mit seinem Messer auf bzw. in die Brust ein riesiges Adlertattoo und verkündet darauf stolz, dass sein Sohn nun ein Mann sei. Erwachsen- bzw. Mannwerdung ist hier eine lange, schmerzhafte Prozedur, verbunden mit Blut und Tränen. Der Sohnemann bekommt dazu noch die gleiche Kleidung wie sein kräftiger Vater und fertig ist der Erziehungsauftrag. Als er kurz darauf mit ansieht, wie sich seine Eltern gegenseitig verstümmeln und sich sein Vater direkt vor seinen Augen die Kehle aufschlitzt, und diesmal Hunde die Leiche des Menschen plündern, haben wir und Fenix genug gesehen. Ein harter Schnitt erfolgt, Fenix‘ ehemaliges Leben ist vorbei.
Mensch und Tier
Während zuvor die Verzahnung und das Zusammenleben von Mensch und Tier schon als solches im Zirkus und in der Stadt dargestellt wurde, wird uns nun ein Fenix in der Nervenheilanstalt präsentiert, der zusammengerollt in einem Hundekorb schläft, auf den großen Baum in seinem Krankenzimmer klettert und seine Sprache verloren zu haben scheint. Nach dem kurzen Ausflug in die Stadt, wo er vor allem mit Drogenkonsum, Prostitution und Zuhälterei konfrontiert wird, folgt er dem Ruf seiner armlosen Mutter. Schon bald läuft er wieder in seinem Zaubererkostüm herum, spricht und scheint kultiviert und gesund wie eh und je. Allerdings zeigt sich früh, dass er eine äußerst abnorme, ödipale Beziehung mit seiner wiedergefundenen Mutter führt, der er sich gänzlich unterwirft. So dient er schon bald als deren Arme und erfüllt ihr sämtliche Wünsche und Befehle.
Dabei wird ihm jeglicher Kontakt zum anderen Geschlecht strikt untersagt. Während der Sex der Eltern beim Tiergehege bereits mit dem Tod des Elefanten und dessen blutigen Ausfluss gleichgesetzt wurde, spielt auch mehrfach die biblische Schlange der Versuchung eine Rolle. In Flashbacks wird Fenix auch immer wieder mit Geschehnissen aus seiner Vergangenheit konfrontiert, meist in Zusammenhang mit mehreren Tieren. Jodorowsky zeigt den Menschen hier immer wieder als Tier – als triebhaft, unsittlich, roh – und zelebriert die Vernichtung von Kultur. Die Symbole des Adlertattoos, der Elefantenbeerdigung und der gegenseitigen Leichnamsplünderung loten hierbei die Grenzen von Mensch und Tier aus.
In der Inszenierung von (bevorstehendem) Sex gelingt es ihm zudem, jeglichen Hauch von Erotik auszutreiben. Sei es die ungezügelte Prostitution in den Slums oder die folgenschweren Akte des Vaters, die im Tod des Elefanten oder der gegenseitigen Verstümmelung samt Selbstmord kulminieren. Die bekannte Regel aus Teenie-Slashern, dass Sex zum Tod führt, lebt Santa Sangre hier auf einer ganz anderen Ebene vor.
Stummer Schrecken in Santa Sangre
In einer Szene sieht sich Fenix James Whales Klassiker Der Unsichtbare (1933) an und versucht selbst, mittels eines Trankes unsichtbar zu werden. Als dies natürlich misslingt, ist der Ärger groß. Davon abgesehen, dass die kurze Szene herrlich schräg und lustig ist, ist dies kein bloßes Zitieren eines alten Klassikers, wie man es in vielen Filmen mal mehr, mal weniger auffällig vorfindet. Jodorowskys Santa Sangre ist an vielen Stellen eine Reminiszenz und regelrechte Verbeugung vor dem Horrorgenre der Stummfilmzeit.
Wenn der Sohn als Arme seiner Herrin fungiert oder die Kontrolle über seine Hände verliert, ist dies ein sehr körperbetontes, theatrales Schauspiel. Mit vor Schrecken weit aufgerissenen Augen, nach vorne gestreckten Armen und abgehackten Bewegungen erinnert Axel Jodorowsky als Fenix teilweise an jene schreckenhaften Performances des Stummfilms, bspw. eines Max Schrecks in Nosferatu (1922) oder eines Conrad Veidts als Cesare in Das Cabinet des Dr. Caligari (1920). Aber auch Blanca Guerra liefert als erbarmungslose Matriarchin eine erinnerungswürdige schauspielerische Leistung ab. Die beiden Schauspieler verschwimmen hier teilweise in grotesk faszinierender Choreografie in einer abstoßenden Symbiose.
Doch nicht nur in der Darstellung von (Körper-)Horror findet man Elemente des frühen Films. Gerade im ersten Drittel, als Fenix‘ Kindheit beleuchtet wird, wird an vielen Stellen auf gesprochene Sprache verzichtet und Jodorowsky lässt die symbolgeladenen Bilder für sich sprechen. In der Figur der Pantomime, den Auftritten des Zirkus (etwa der Zauberei oder der Clowns) sowie der Verzahnung von Mensch und Tier finden sich weitere Elemente, die die Sprache gänzlich ausklammern. Gerade dadurch wirkt das Geschehen oftmals umso surrealer und ausdrucksstärker. Wenn es dann doch einmal drastischer und expliziter wird, macht sich die Mitarbeit von Claudio Argento, dem Bruder von Ausnahmeregisseur Dario Argento, deutlich und das Kunstblut darf in Bächen fließen. Dennoch steht die Inszenierung von Morden klar im Hintergrund.
Unser Fazit zu Santa Sangre
Santa Sangre als reinen Horrorfilm zu betiteln, würde dem Film nicht gerecht. Zwar sind Horrorelemente und Schrecken feste Bestandteile des Films, doch wer Jodorowsky kennt, weiß, dass man noch viel mehr erwarten kann. Eine herausragende sowie unkonventionelle bis avantgardistische Inszenierung gepaart mit einer ausdrucksstarken Bildsprache und Symbolik lassen Santa Sangre zu einem surrealen Horrortrip werden, bei dem man auf eine etwas andere Art überrumpelt wird. Auch nach nunmehr 30 Jahren wird hier Jodorowsky seinem Ruf als Kult-Regisseur gerecht.
Seit dem 25.4 ist Santa Sangre erstmals auf Blu-ray in einer Special Edition zusammen mit drei DVDs und einer Soundtrack-CD bei Koch Films erschienen. Nachdem der Film zuvor mit einer FSK 18-Freigabe in den Kinos lief, erhielt er bei der Neuprüfung die Freigabe ab 16 Jahren.
Unsere Wertung:
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