In So wie du mich willst verliert sich Juliette Binoche in einem Fake-Profil auf einem sozialen Netzwerk. Auf der Suche nach Intimität geht ihr dabei die Balance zwischen Schein und Sein immer mehr abhanden. Ob sich ein Eintauchen in diesen Film lohnt, erfahrt ihr hier.
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Titel | So wie du mich willst |
Jahr | 2019 |
Land | Belgium |
Regie | Safy Nebbou |
Genres | Drama, Liebesfilm |
Darsteller | Juliette Binoche, Nicole Garcia, François Civil, Marie-Ange Casta, Guillaume Gouix, Charles Berling, Jules Houplain, Jules Gauzelin, Francis Leplay, Pierre Giraud, Claude Perron, François Genty, Laurène Savart, Angèle Humeau |
Länge | 102 Minuten |
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Eine neue Identität in So wie du mich willst
Claire (Juliette Binoche) ist eine 50-jährige Literaturdozentin in Paris. Die zweifache Mutter führt nach ihrer Scheidung eine wenig erfüllende Beziehung mit einem jüngeren Mann namens Ludo (Guillaume Gouix). Als dieser sie mehr und mehr fallen zu lassen scheint, beschließt Claire, Ludo mit einem neu angelegten Fake-Profil auf Facebook auszuspionieren. Dabei stößt sie, nun als 24-jährige Clara, auf Ludos attraktiven Freund Alex (François Civil) und schreibt ihn an.
Schnell entwickelt sich eine intensive Romanze zwischen der Scheinidentität Clara und Alex, der glaubt, mit einer 24-jährigen zu chatten. Während Alex langsam ungeduldig wird und ein Treffen forciert, verliert Claire allmählich ihr eigenes Leben aus dem Blick und wird immer mehr zu Clara.
Schöne neue Welt
Nachdem Claire anmerkt, dass sie gerne mehr Zeit mit Ludo verbringen möchte, erwidert dieser nur, dass er wohl kaum Kontakt zu ihren Kindern haben wolle – er könne ja deren Bruder sein. Zwar besteht durchaus ein Altersunterschied zwischen den beiden, wenn allerdings wenig später gezeigt wird, dass die Kinder etwa 12-15 Jahre alt sind, wird klar: Das muss gesessen haben. Die alleinerziehende Mutter, deren Kinder sich auch allmählich an die neue Freundin des Vater zu gewöhnen scheinen, ist nun vollends allein zurückgelassen. Es folgt der Rückzug in die virtuelle Welt. Das grüne Online-Symbol eines Kontakts wird zum Trostspender, zum „Asthmaspray“, und neue Nachrichten sind die wenigen Glücksgefühle des Tages. Die „keine Handys am Tisch“-Regel wird darauf selbst schnell gebrochen, das Laptop mit auf die Toilette genommen, selbst in der eigenen Vorlesung das Handy nicht ausgeschaltet.
So folgt auf eine harmlose Nachricht ein kurzes Telefonat, bei dem sich die beiden Chatter gegenseitig mit ihrem Charme überbieten (Volltreffer: „Du hast so eine junge Stimme“). Kurz darauf lädt Claire ein falsches Foto hoch und das Fake-Profil nimmt richtig Form an. Aus einer Spionageaktion wird schnell ein neues Leben, aus Claire wird Clara. Schon bald genießt Clara Vorrang und die virtuelle Welt wird wesentlich interessanter als die eigentliche Umgebung – auch für den Zuschauer, der durch diverse Chatverläufe und Telefonate teilhaben darf. Dabei ist der langsame Zerfall des eigentlichen Lebens Schritt für Schritt nachvollziehbar, schon bald vergisst die Mutter Termine mit ihren Kindern. Mit jedem neuen persönlichen Rückschlag folgt eine tiefere Flucht ins Parallelleben, das soziale Netzwerk ist hier zugleich Rettungsring wie Untergang.
Zwischen Psychodrama und Romanze
Für die Erzählung wählt der hierzulande eher unbekannte Regisseur Saby Nebbou einen einfachen, aber wirksamen Kniff, indem er den Film als Gespräch zwischen der Dozentin und ihrer Therapeutin (Nicole Garcia) inszeniert. So wechseln sich Rückblenden mit Häppchen aus der Geschichte mit der anschließenden Besprechung im therapeutischem Dialog ab. Dies hat einerseits zur Folge, dass der Zuschauer durch die Figur der Therapeutin eine Zugangsfläche erhält, die auch gerne mal direkt angesprochen wird. So fragt Claire kurz nach einer intensiven Szene, in der sie mit Alex Telefonsex hat, ob diese die Therapeutin (und somit den Zuschauer) erregt hat. Der Zuschauer ist gezwungen, sich zu positionieren. Leider wird in diesen Gesprächen aber auch sehr viel bereits aufgearbeitet, sodass sich der Zuschauer nur noch zwischen beiden Positionen zu entscheiden braucht und ein eigenes Mitdenken kaum nötig ist.
An dieser Stelle fährt der Film in sehr sicheren Gewässern. Durch das konkrete und ausführliche therapeutische Gespräch wird aus einem universaleren, kontextfreieren Psychogramm eine (mehr oder weniger) romantische Einzelgeschichte, die abseits von ein, zwei kleinen Wendungen im Drehbuch recht unspektakulär bleibt. Hier verspielt der Film einiges an Potenzial.
Eine kalte Welt
Denn abseits der Therapie ist das Treiben der Hauptfigur packend und fast schaurig inszeniert. Neben dem dystopischen Gleiten in die virtuelle Welt, in der zur Selbstoptimierung gerne mal geschönt wird, nimmt sich So wie du mich willst auch zeitlosen Themen wie Isolation der Großstadt, Midlife-Crisis, Identitätsfindung und dem Drang nach Intimität im digitalen Zeitalter auf. Hierbei versteht es Nebbou, die wunderbare Juliette Binoche mit einer äußerst souveränen Regie in Szene zu setzen. Die Schauspielerin, die wohl vor allem für ihre Leistungen in Kieślowskis Drei Farben: Blau oder in Der englische Patient jedem ein Begriff sein dürfte, trägt hier den gesamten Film auf ihren Schultern und ist in nahezu jeder Szene zu sehen. Dabei agiert sie mit dem Mut zur Verletzlichkeit, Intimität und der präsent inszenierten Unattraktivität bei Wechseln zwischen Claire und Clara, sodass sie mit ihrem eindringlichen Schauspiel zu den Highlights des Films gehört.
Oft reicht es da schon aus, Claire bei ihrem Alltag zu begleiten. Sei es in ihrer scheinbar perfekt eingerichteten, aber seltsam kalten und leeren Hochglanz-Wohnung mit dem Blick auf die Skylines Paris‘, die eher bedrückend als schön wirkt. Aber auch außerhalb der Wohnung scheint Claire gefangen zu sein. Oftmals befindet sie sich in Bewegung – an Bahnhöfen, Flughäfen, Rolltreppen, im Auto – , doch der Ausbruch vermag ihr nicht zu gelingen, sie dreht sich weiter rastlos im Kreis. Dabei lauschen wir nebenbei immer wieder den scheinbar intimen Gesprächen zwischen Clara und Alex, die sich träumerisch einander die große Liebe versprechen.
Was bleibt?
Leider wird man durch die Therapie immer wieder herausgerissen. Die eigentliche Zugangsebene baut eine räumliche und zeitliche Distanz auf und sprengt so regelmäßig die langsam aufgebaute Atmosphäre und Intensität. Auf diese Weise kann man sich nicht wie Claire im Strudel verlieren, sondern bleibt in der Beobachterposition – der essayistische Rausch wird zur nüchtern aufgearbeiteten Biografie, die nicht auserzählten Ansätze verkommen zu lückenhaften Handlungssträngen, anstatt Anregungen zur Diskussion zu werden. Referenzen in Claires Vorlesungen an die großen Frauenrollen der Literatur scheinen in dieser Form genauso hoch gegriffen wie Saby Nebbous Angabe, es handle sich um einen feministischen Film – eine Aussage, die er spätestens mit seinem leider eher misslungenen Ende selbst untergräbt.
Unser Fazit zu So wie du mich willst
Es ist schade, dass sich der Film teilweise selbst seiner Stärken beraubt, allem voran der verschenkten Sogwirkung der dystopisch anmutenden Cyber-Romanze. Dank einer sehr gefälligen Regie, einer herausragenden Juliette Binoche und vieler interessanter Motive und Gedankenfetzen kann man mit dem Film im Prinzip wenig falsch machen. Dieses Attribut erkauft sich der Film allerdings damit, dass er letztlich zu sehr auf der sicheren Seite bleibt und dem Zuschauer viel Arbeit abnimmt. Mit ein wenig mehr Mut hätte aus So wie du mich willst eine kleine Perle werden können, so bleibt es bei gutem Mittelmaß.
So wie du mich willst erscheint am 06. Dezember als DVD, Blu-ray und digital!
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