Fünf Jahre sind vergangen, seitdem Pablo Larraín erfolgreich mit Jackie: The First Lady das Innenleben von Jackie Kennedy, der Lebenspartnerin von John F. Kennedy, seziert hat. Nun wagt er einen Blick hinter die Kulissen der Britischen Krone und ihrer tragischsten Schicksalsfigur: Diana Spencer. Ob Larraín mit Kristen Stewart als Lady Di den Topos biographischer Verfilmungen umwerfen kann? Erfahrt es jetzt in unserer Kritik!
Titel | Spencer |
Jahr | 2021 |
Land | Chile |
Regie | Pablo Larraín |
Genres | Drama, Historie |
Darsteller | Kristen Stewart, Timothy Spall, Jack Nielen, Freddie Spry, Jack Farthing, Sean Harris, Stella Gonet, Richard Sammel, Elizabeth Berrington, Lore Stefanek, Amy Manson, Sally Hawkins, James Harkness, Laura Benson, Wendy Patterson, Libby Rodliffe, John Keogh, Marianne Graffam, Ben Plunkett-Reynolds, Ryan Wichert, Michael Epp, Tom Hudson, James Gerard, Thomas Douglas, Ian Ashpitel, Emma Darwall Smith, Kimia Schmidt, Greta Bücker, Henry Castello, Christin Schreiber, Camille Loup Moltzen, Mudassar Dar, Niklas Kohrt, Peter Lee, Olga Hellsing, Matthias Wolkowski, Oriana Gordon, Sami Amber |
Länge | 117 Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: MagentaTV Kaufen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, Sky Store, Rakuten TV, Yorck on Demand Leihen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, Sky Store, Kino on Demand, Yorck on Demand, Freenet meinVOD |
Die Handlung von Spencer
Weihnachten 1991: Die Britische Königsfamilie verbringt ihre Weihnachtsferien im Sandringham House in Norfolk. Butler, Kammerzofen und Köche bereiten minutiös und mit militärischer Präzision die Ankunft des Hauses Windsor vor. Königin Elizabeth (Stella Gonnet), Prinz Philip (Richard Sammel) und Sohn Charles (Jack Farthing) treffen samt Kindern pünktlich ein, nur eine Person scheint sich zu verspäten: Prinzessin Diana Spencer (Kristen Stewart), die Kronprinzessin des Vereinigten Königreiches.
Dianas Ankunft in Sandringham ist mit viel Trauer verbunden. Sie möchte die Feiertage nicht mit der Königsfamilie verbringen. Eisige Temperaturen im Anwesen, ständige Überwachung durch Sicherheitschef Alistair Gregory (Timothy Spall), ein Geschenk ihres Gatten, das wie einem Schuldeingeständnis gleicht und die ständigen Pflichten, Zwänge und Erwartungen der Königsfamilie und der Gesellschaft. Diana wünscht sich sehnsüchtig doch nur eines: Nach Hause gehen zu dürfen…
Der Mann hinter den komplexen Frauen
Pablo Larraín hat es in den vergangenen Jahren geschafft, tiefgreifende, persönliche Geschichten um komplexe Frauenfiguren zu erzählen. Mit Jackie: The First Lady zeichnet er ein vielschichtiges von Jaqueline Bouvier aka. Jackie Kennedy nach dem JFK-Attentat, die sich in Trauer und Wut durch den gesellschaftlichen Niederschlag entlanghangeln muss. Im Liebesdrama Ema steht die gleichnamige Protagonistin im Mittelpunkt, die inmitten einer toxischen Beziehung ihre Leidenschaft für das Tanzen und Feuer entwickelt. In beiden Werken steht eine Frau im Mittelpunkt, die mit ihren Dämonen und Fehlbarkeiten zu kämpfen hat. Emotionale Gefechte mit sich selbst und der Gesellschaft werden ausgetragen, wodurch ein vielschichtiges Bild von einer weiblichen Hauptfigur gezeichnet wird, mit allen Stärken und Schwächen.
Mit Spencer reiht sich das nächste Werk in Larraíns Reihe der Nischenfilme um “Difficult Women in Pictures” ein. In der Hauptrolle: Prinzessin Diana, mit einer Vielfalt an Lasten auf ihren Schultern, die kurz vor dem Zusammenbruch steht. Der wachsende gesellschaftliche Druck als Person des öffentlichen Lebens, die Benimm-Etiketten, die sie fesseln, die kaum vorhandene emotionale Betreuung ihrer mentalen Probleme und die zwei Identitäten, mit denen sie diesen Balanceakt bestreiten muss. Larraín gelingt es, die Dualität der traurigen Prinzessin und einer freiheitsliebenden, lebensbejahenden Mutter zu porträtieren. Als Zuschauer gewinnt man den Eindruck, einem wirklichen Menschen zu folgen und keinem Geist, der in leeren Hallen an Türen klopft.
Eine Symphonie des Grauens
Schon in seinen ersten Minuten entfacht Spencer seine sehr beklemmende Atmosphäre. Vom herannahenden militärischen Konvoi der Königsfamilie bis hin zu einem omnipräsenten, dichten Nebel. Sandringham wirkt aus der Ferne metaphorisch betrachtet wie ein Geisterhaus. Wenige Meter entfernt befindet sich das Elternhaus der Spencer-Familie, das seit Ewigkeiten unbewohnt ist, ein Haus der Vergangenheit, eine Gespenstervilla. Die Beklommenheit und Isolation des Anwesens lässt das Publikum eine andere Art von Film erwarten, einer die tiefergehend wirkt, fast wie in einem Horrorfilm.
Unterstützt wird diese schaurige Atmosphäre von der einnehmenden Mischung aus Jazz-Klängen und wahnsinnig anmutenden Streichinstrumenten, komponiert vom Radiohead-Lead-Gitarristen Johnny Greenwood. Die Musik ist ein dauerhafter Begleiter Dianas, wodurch nicht nur ihre Gefühlswelt, sondern auch der Wahnsinn, indem sie letztendlich verfällt, verstärkt werden. Es sind Klänge voller Kälte, Wut und Trauer, die uns die Gewalt der Emotionen Dianas spüren lassen.
Das Anti-Biopic
Larraín eröffnet Spencer mit einem schwarzen Bildschirm mit dem Schriftzug “Die Tragödie einer Fabel”. Damit festigt er den Weg seiner Erzählung. Es ist kein biographischer Abriss über das gesamte Leben von Prinzessin Diana, mehr eine Vorstellung, eine Fantasie eines Weihnachtsfests im Hause der Royals, mit einer tragischen Figur als Dreh- und Angelpunkt. Dadurch entfacht die Erzählung ihre Kraft, indem es nur ein paar Versatzstücke der uns bekannten Realität verwendet. So entstehen Freiheiten, die uns einen kraftvolleren Blick auf das Leben eines Menschen geben, statt nur von einem Event zum nächsten zu springen. Diese Formel macht nämlich viele Biopics sehr formelhaft und träge. Larraín verzichtet vollkommen darauf und fokussiert seine Hauptfigur inmitten eines kurzen Zeitraums.
Der Filmemacher ergründet dabei viele Mythen rund um ihre Person, ihre Ehe mit Charles und ihrem Verhältnis zur Krone. Zusammen mit seiner Kamerafrau Claire Mathon (Portrait of a Lady on Fire) inszeniert er visuell eine Mischung aus intimen, feinfühligen Momenten zwischen Diana und ihren Söhnen William (Jack Nielen) und Edward (Matthias Wolkowski) und nervenaufreibenden Momenten, die Diana psychisch am Ende zeigen. Der Fokus auf die mentalen Probleme Dianas sind inszenatorisch meisterhaft gelungen z.B. beim ersten großen Abendessen der Familie, indem Diana, umgeben von beobachtenden Blicken und aufkeimenden Wahnsinn betonende Streicher, von ihrer Essstörung heimgesucht wird.
Nicht nur ihre eigenen Probleme suchen sie heim, sondern auch die von Anne Boleyn, ihrerseits Gattin des Königs Heinrich VIII., die aufgrund einer angeblichen Affäre hingerichtet wurde. Sie wohnte genauso einst in den Gemäuern in Norfolk. Diana erkennt die Parallelen zu Anne Boleyn, was ihr Unwohlsein weiterhin verstärkt und sie sich selbst als wandelnder Geist in den Gemächern des Anwesens ansieht.
Kristen Stewarts Paraderolle
Ihre Interpretation der Fürstin von Wales ist von besonderer Art. Sie und Larraín entscheiden sich für eine stille, unangenehme Darstellung, bei der wir, das Publikum, nicht wegschauen können. Jeder Atemzug von Stewart fühlt sich erschöpfend an. Wir können ihren Schmerz nachvollziehen, wollen sie sogar in den Arm nehmen und erzählen, dass es Hoffnung für sie geben kann. Stewart gelingt der Spagat zwischen permanenten Angstausbrüchen und einem Enthusiasmus für ihr Leben, das sie als freier Mensch genießen möchte. Ihre Zwischenspiele mit Timothy Spall oder Sally Hawkins bleiben in Erinnerung, weil sie die charakterlichen Stärken und Schwächen Dianas mit nur wenigen Blicken offenbaren können. Die Darstellung von Diana wird an Stewart haften bleiben und in jeder Konversation um sie als ihren großen Stand out im Allgemeingedächtnis hängen bleiben. Damit zeigt sie erneut ihr Talent und entzieht sich ihrer Twilight-Vergangenheit endgültig.
Unser Fazit zu Spencer
Am Ende des Films gibt es einen hoffnungsvollen Ausblick in die Zukunft. Eine Zukunft, die wir kennen und über die sehr wahrscheinlich auch damals Diana bestens Bescheid wusste. Dianas Tod prägte die 90er Jahre und dieses Ereignis schuf eine mythologische Ikone, deren filmisches Vermächtnis schon über mehrere Verfilmungen und Dokumentation ausgebreitet wurde. Larraín gelingt mit Spencer ein nahezu meisterhafter Film über das wahre Leben von Diana. Es stehen nicht ihre großen Events wie Hochzeit, Trennung und Tod im Mittelpunkt, sondern vielmehr ein Portrait, das die Fassade Dianas und der Königsfamilie bröckeln lässt. Es fühlt sich ehrlich, geradezu aus dem Leben gegriffen, an. Das Weihnachtsfest 1991 in Sandringham mag vielleicht eine Fabel sein, erzählt aber die bisher gefühlvollste und ehrlichste Geschichte um diese beachtenswerte Frau. Er entmystifiziert sie und kreiert gleichzeitig einen neuen Mythos, einen, der uns vielleicht das entscheidende Puzzlestück für das Rätsel Diana liefert.
Unsere Wertung:
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