Styx bringt uns die Flüchtlingskrise nahe – als naturalistisches und unangenehm moralisches Drama.
Titel | Styx |
Jahr | 2018 |
Land | Germany |
Regie | Wolfgang Fischer |
Genres | Drama |
Darsteller | Susanne Wolff, Alexander Beyer, Inga Birkenfeld, Gedion Oduor Wekesa, Kelvin Mutuku Ndinda |
Länge | 94 Minuten |
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Alles Wichtige zur Handlung von Styx
Rike, eine Frau in der Mitte ihres Lebens, arbeitet als Notärztin in Köln. Als Besatzungsmitglied eines Krankenwagens ist sie so immer mit die erste, die bei Unfällen und anderen Unglücken am Ort des Geschehens auftaucht, um tatkräftig Erste Hilfe zu leisten. Als ihr Urlaub ansteht, reist sie nach Gibraltar, von wo aus sie mit einem Segelboot in See sticht. Das Ziel ihrer Schiffsreise ist Ascension Island, das mitten im Nirgendwo des Südatlantiks zwischen Südamerika und Afrika liegt. Die einst so karge Insel verwandelte Charles Darwin im 19. Jahrhundert in ein funktionierendes Ökosystem mit reichhaltiger Pflanzenwelt.
Nach einigen Tagen auf hoher See entdeckt Rike ein mit Menschen überladenes, havariertes Fischerboot, das offensichtlich einem Sturm anheim gefallen ist. Die Passagiere müssen hilflos auf dem maroden Kahn ausharren und drohen dabei, zu ertrinken. Schnell gibt Rike per Funk ein SOS-Signal ab, doch eine Rettung scheint trotz des Kontakts mit dem Festland nicht in Sicht. Rike ist gezwungen zu entscheiden, ob und wie sie helfen kann.
Eine Powerfrau auf großer Fahrt
Der österreichische Regisseur Wolfgang Fischer zeigt uns seine Protagonistin lange Zeit in vielen Einstellungen als starke unabhängige Frau. Im Berufsalltag Notärztin, im Urlaub geübte Seglerin, die alleine auf den Atlantik hinausfährt. Tagelang hat sie nichts um sich als blaue Weiten, so weit das Auge reicht. Ihre Handgriffe an Deck sind koordiniert und auf den Punkt genau. Zu keiner Zeit scheint sie in Gefahr. Selbst bei einem Sturm vermittelt uns die zu jeder Zeit voll fokussierte Susanne Wolff in der Hauptrolle, dass Rike alles im Griff hat, während sie Wind und Regen nur so durchpeitschen.
Sie repräsentiert beispielhaft ein souveränes und gut organisiertes Europa vor dem geschichtsträchtigen Jahr 2015, also bevor die Einwanderungszahlen in die Millionenhöhe schnellten und der Blick der Medien sich auf die Balkanroute sowie das Mittelmeer richtete. Doch plötzlich steht der mit Flüchtlingen völlig überfüllte Fischkutter vor Rikes Segelboot, so wie die Immigranten insgesamt in einer schier astronomischen Zahl vor den “Toren” Europas stehen und Rettung beziehungsweise ein besseres Leben für sich erflehen.
Where is the love?
In Styx wird für die Protagonistin und uns als Zuschauer quasi schlagartig real, was wir selbst nur aus den Medien und damit aus großer Entfernung kennen. Die Berichterstattung spricht von den einwandernden Menschen als Flüchtlings-Welle oder -Strom und lässt diese damit wie eine unpersönliche Naturkatastrophe erscheinen. Die Stärke von Styx ist es, uns wieder das eigentliche Drama der Menschenwanderung eindringlich vor Augen zu führen, nämlich die Lebensgefahr, in die sich alle begeben, um Europa und quasi das Paradies zu erreichen. Rike wiederum ist auf dem Weg nach Ascension Island, das Charles Darwin nach seinen Vorstellungen zu einem Garten Eden umwandelte. Doch die Flüchtenden sind wie Rike nicht am Ziel, sondern in einer Art Zwischenwelt. Und dafür steht der Titel Styx, der in der griechischen Mythologie den Fluss bezeichnet, welcher das Reich der Lebenden mit dem der Toten im Hades verbindet.
Gleichermaßen zeigt uns das Einzelschicksal von Rike auch das moralische Dilemma, das Styx im Wesentlichen zum Ausdruck bringen möchte. Wie verhältst Du Dich, wenn Du Not und Elend direkt vor Deinen Augen siehst? Was kannst Du überhaupt tun und was sagen schließlich Deine Taten über Dich als Person aus? Diese Problematik spitzt Fischer zu, da seine Hauptfigur Ärztin ist und dementsprechend den hippokratischen Eid geleistet hat. Sofort fordert Rike per Funk Hilfe an, sie darf aber ausdrücklich nicht eingreifen, obwohl das Schiff sinkt und damit jede Sekunde zählt.
Styx: Eine akribisch-nüchterne Doku
Wolfgang Fischer inszeniert das Geschehen auf dem Atlantik als naturalistisches Kammerspiel. Rike ist natürlich konsequent an ihr Segelboot gebunden, das ihr im Meer Sicherheit und Schutz bietet. Ihre Reise bis zu dieser einschneidenden Begegnung mit dem havarierten Flüchtlingsboot zeigt uns der Regisseur dokumentarisch und realistisch anmutend. Es wird nicht gesprochen und es herrscht durchgängig die natürliche Geräuschkulisse des Ozeans. Musik erscheint nur kurz am Anfang und Ende von Styx.
Die Kameraarbeit fällt daher auch ziemlich schmucklos aus. Bereits in Deutschland sowie im weiteren Verlauf arbeitet Fischer mit starren Perspektiven. So wirkt Rikes Fahrt besonders authentisch, als hätte sie selbst mehrere Kameras an ihr Boot angebracht, um ihr Abenteuer selbst festzuhalten. Dementsprechend springt die Regie zwischen den festgelegten Perspektiven hin und her, immer auf der Suche nach Rikes Arbeiten an Bord.
Styx möchte somit zu keiner Zeit ein gefälliger Unterhaltungsfilm sein, sondern mit akribischer Ernsthaftigkeit seine fiktive, aber durchaus wahrscheinliche Geschichte erzählen. Denn Begegnungen von Sportbooten mit Flüchtlingskähnen sind heutzutage keine Seltenheit mehr. Leider wirkt das anderthalbstündige Geschehen durch diesen Stil doch sehr zäh, da es sich den gängigen Sehgewohnheiten konsequent widersetzt. Erst als Rike einen Schutz suchenden Passagier aufnimmt, entwickelt Styx endlich etwas Drive und eben den moralischen Kernkonflikt, für den sich die Sichtung des Films dann doch insgesamt lohnt.
Letzte Worte: Styx ist ein wichtiger Film
Styx ist nicht der erste und mit Sicherheit nicht der letzte Film über die Flüchtlingskrise, die die Welt seit 2015 beschäftigt. Dennoch ist er ein sehr wichtiger, denn er führt die gigantisch aufgeblähte Debatte, in der politische, kulturelle, ideologische, religiöse und wirtschaftliche Aspekte mit hineinspielen, ganz gezielt darauf zurück, was dort im Mittelmeer seit einer Weile eigentlich passiert: Menschen sterben auf hoher See bei dem Versuch, ein besseres Leben auf dem europäischen Festland zu finden. Was wir als Einzelne tun können, ist manchmal nicht vielmehr, als ohnmächtig davor in die Knie zu gehen – trotz großer Absichten und ernsthaftem Bemühen.
“Denkt ihr die Flüchtlinge sind in Partyboote gestiegen
Mit dem großen Traum im Park mit Drogen zu dealen?”– Tarek (K.I.Z.)
Unsere Wertung:
© Benedict Neuenfels