Mit The Farewell erwartet uns bald einer der Publikumslieblinge des letzten Jahres fürs Heimkino. Doch wie geht die amerikanische Produktion an seine chinesische Thematik heran? Oder verkommt der Film zu einem klischeehaften Rührstück? Wir klären euch mit unserer Kritik auf!
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Titel | The Farewell |
Jahr | 2019 |
Land | China |
Regie | Lulu Wang |
Genres | Komödie, Drama |
Darsteller | Awkwafina, Zhao Shuzhen, Tzi Ma, Diana Lin, Hong Lu, Jiang Yongbo, Han Chen, Aoi Mizuhara, Zhang Jing, Yang Xuejian, Jim Liu, Li Xiang, Hongli Liu, X Mayo, Hong Lin, Becca Khalil, Zhang Shimin, Gil Perez-Abraham, Ines Laimins |
Länge | 101 Minuten |
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Worum geht’s in The Farewell?
Billi ist Anfang 30 und lebt ihr Leben so vor sich hin. Die junge Amerikanerin chinesischer Abstammung kümmert sich nicht viel um Karriere oder eine Hochzeit, sondern führt ihr Leben lieber in Unabhängigkeit. Ihre Eltern halten davon eher wenig, lieben sie aber dennoch sehr. Doch als Billi bei einem gemeinsamen Abendessen bemerkt, dass ihr Vater sich auffällig ruhig verhält, erfährt sie eine schockierende Nachricht: Ihre Großmutter Nai Nai, die noch in China lebt, wurde mit Krebs diagnostiziert und wird es wohl nicht überleben.
Und noch ein weiteres Hindernis kommt dazu: In China ist es nämlich üblich, den Betroffenen nichts von ihrer Krankheit zu erzählen. Die Familie inszeniert also die Hochzeit von Billis Cousin, damit sich alle noch einmal gemeinsam treffen können und jeder im Geheimen Abschied von Nai Nai nehmen kann. Doch Billi kann diese Tradition nicht fassen und hadert ständig damit, es ihrer Oma doch zu erzählen. Werden ihre Emotionen siegen oder ihr Respekt vor der chinesischen Kultur?
Ein Kampf der Kulturen
Was auf den ersten Blick lediglich wie ein rührendes Familiendrama aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Korsett für eine kulturelle Analyse der chinesischen und amerikanischen Gesellschaft. In vielen Gesprächen der Familienmitglieder geht es um den Weg, den sie für sich eingeschlagen haben, und der hat meist viel mit ihrem Heimatland zu tun. So ist beispielsweise Billis Onkel nach Japan ausgewandert, ein Land, dass sich kulturell zumindest besser mit China vergleichen lässt als die USA. Allerdings wird besonders mit Blick auf die finanziellen Möglichkeiten deutlich, dass Japan viel fortschrittlicher und liberaler als China zu sein scheint.
Gibt es hier überhaupt richtig oder falsch?
Ähnlich sieht es auch bei Billis Eltern aus: Sie wanderten mit dem damals noch kleinen Mädchen in die Vereinigten Staaten aus, um ihr und sich selbst ein besseres Leben als in der Heimat ermöglichen zu können. The Farewell wirft mehrfach die Frage auf, was denn nun wichtiger ist: Tradition oder Fortschritt? Sentimentale oder materielle Werte? Westliche oder östliche Wertevorstellungen? Ein kompliziertes Thema, mit dem sich jede der Figuren auseinandersetzen muss. Denn nur weil in den USA der Reichtum winkt, sind zum Beispiel Billis Eltern noch lange nicht glücklich. Und auch sie selbst hat aufgrund der Konfrontation mit der Kultur ihrer geliebten Großmutter mit einer gewissen Sinneskrise zu kämpfen.
Der Film verfolgt hier einen interessanten Ansatz, der die Handlung und die Figuren deutlich tiefgründiger beleuchtet und dem Zuschauer nicht nur die traurige Geschichte einer sterbenden Matriarchatin vermittelt. Allerdings versucht The Farewell, dieselben Fragen an Menschen mit verschiedenen Erfahrungen und Wertevorstellungen zu stellen und sich anhand dieser Vielzahl an Meinungen die richtige herauszusuchen. Das ist an sich eine löbliche Idee, leider sind aber die meisten Antworten der Figuren sehr ähnlich oder nicht wirklich aussagekräftig, weswegen sich der Film ab und zu im Kreis dreht und sich sehr repetitiv anfühlt.
Authentische Inszenierung
Herausragend sind in The Farewell jedoch ausnahmslos die Darsteller. Der von zahlreichen Kritikern gelobten Schauspielerin und Rapperin Awkwafina in der Hauptrolle nimmt man jede Emotion ab und fühlt mit ihr. Ihr Zwiespalt zwischen den Zwängen der Tradition und dem Wunsch, offen mit ihrer Oma reden zu können, ist kein leichter Spagat, den die Amerikanerin aber mit Bravour meistert. Besonders hervorheben möchte ich auch noch einmal Shuzhen Zhao, die die herzallerliebste Großmutter Nai Nai verkörpert. Obwohl die schon über 80 jährige Chinesin kaum Erfahrung vor der Kamera hat, ist ihr Schauspiel faszinierend authentisch.
Nai Nai wird als wirklich sympathische ältere Dame etabliert, die für ihr Alter und ihre schwere Krankheit noch überraschend fit ist. Sie versprüht einfach Sympathie und sorgt sich um ihre Familie, kann aber auch die harte Matriarchatin geben. All diese Szenen können einem als Zuschauer wirklich unfassbar vertraut vorkommen und Kindheitserinnerungen wach werden lassen. In diesen Momenten ist The Farewell am stärksten, denn der Film lebt von seinen glaubwürdigen Figuren.
Authentisch bleibt auch der Soundtrack. Mit eher traditionellen, nie zu aufdringlichen Tönen untermalt The Farewell sein Geschehen und sorgt für ein bisschen extra Emotionalität. Allerdings weiß der Film auch, wann er mal still sein muss. So entstehen ab und zu allein schon dadurch sehr herzergreifende wie auch teils unangenehme Momente. Hier spielen auch die sehr glaubwürdig geschriebenen und in oft wirklich langen Einstellungen wiedergegebenen Dialoge mit hinein. Man fühlt sich direkt ins Geschehen hinein versetzt und aufgrund der eher unbekannten Schauspieler auch nicht wie an einem Filmset. An dieser Front kann der Film also definitiv überzeugen!
Ein bisschen zu nah am Leben
Das Drehbuch von The Farewell ist sehr realistisch gehalten und zeigt uns das Leben der Hauptfiguren, ganz besonders Billis, hautnah. Dieses Slice-of-Life-Prinzip ist an sich ein guter Ansatz für diese Art Film, leider wird es hier aber ein wenig übertrieben. Viele Szenen tragen nicht wirklich zur ohnehin recht spärlich gehaltenen Handlung bei, und manche werden auch länger als nötig ausgespielt. Dass hingegen einige Handlungselemente scheinbar aus heiterem Himmel geschehen, ist der recht unüblichen Struktur zu verdanken. The Farewell pfeift nämlich auf sämtliche Gepflogenheiten irgendeiner Akte-Struktur und lässt uns einfach am Leben seiner Charaktere teilhaben. Das ist kein Kritikpunkt, könnte aber durchaus unangenehm auffallen und die Handlung willkürlich wirken lassen, zumal die Story wirklich kaum irgendwelche Handlungselemente intensiviert.
Das heißt aber nicht, dass das Drehbuch ein Totalausfall ist. Gerade durch die bereits angesprochene Authentizität wachsen einem die Figuren wirklich ans Herz, und man kann bestens mit ihnen mitfühlen. Nimmt man hierzu noch einige überraschende Wendungen sowie eine absolut geniale Schlussszene, muss sich The Farewell keineswegs vor anderen Familiendramen verstecken.
Unser Fazit zu The Farewell
Das berühmt-berüchtigte Produktionsstudio A24 liefert mal wieder einen hervorragenden Film ab. The Farewell hat Herz, glaubwürdige Dialoge und Charaktere und auch noch eine tiefere Botschaft. Lediglich das ab und an etwas schwächelnde Drehbuch lässt besonders letztere ein bisschen weniger eindrucksvoll wirken, als sie vermutlich geplant war. Auch wenn der Film es außerdem ein bisschen mit seinem Slice-of-Life-Ansatz übertreibt, bekommt man hier einen sympathischen, rührenden Film serviert, in dem man sowohl lachen als auch weinen kann.
The Farewell erscheint am 17.04.2020 auf DVD, BluRay und Video on Demand!
Unsere Wertung:
© Leonine