Gabriela Amaral zerlegt in ihrem Langfilmdebüt The Friendly Beast gesellschaftliche Konventionen auf unbequemste Art und Weise.
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Titel | The Friendly Beast |
Jahr | 2018 |
Land | Brazil |
Regie | Gabriela Amaral Almeida |
Genres | Thriller, Horror, Krimi |
Darsteller | Murilo Benício, Luciana Paes, Irandhir Santos, Camila Morgado, Jiddú Pinheiro, Ernani Moraes, Humberto Carrão, Ariclenes Barroso, Eduardo Gomes, Thais Aguiar, Diego Avelino |
Länge | 98 Minuten |
Wer streamt? | Derzeit leider auf keinem Streamingdienst verfügbar. |
The Friendly Beast – Bestie in Menschengestalt
Inácio (Murilo Benício) betreibt ein kleines Restaurant und träumt vom großen Durchbruch. Seine Angestellten sind frustriert von Überstunden und den Launen ihres Vorgesetzten. Nur Sara (Luciana Paes) empfindet unerwiderte Zuneigung. Als an einem Abend die Stimmung aller Beteiligten schon am Tiefpunkt angelangt ist, sorgt ein dilettantischer Raubüberfall zweier Kleinganoven dafür, das Fass zum Überlaufen zu bringen…
Dieser Umstand wird im Film alsbald erreicht und wie die Stimmung im Etablissement kippt auch die anfänglich eindeutige Genreeinordnung. Schnell wird aus dem offensichtlichen Thriller ein…ja was eigentlich? The Friendly Beast springt munter von Genre zu Genre und macht es dem Zuschauer dabei nicht leicht, sich gemütlich zurückzulehnen und irgendetwas Bekanntes zu erwarten. Regisseurin Gabriela Amaral serviert ein Kammerspiel der fiesesten Sorte, das Haken schlägt und sich wild an Exploitation bis hin zum Sozialdrama bedient und über allem die Groteske schweben lässt.
Dabei ist es ebenso spannend wie beängstigend, den einzelnen Figuren dabei zuzuschauen, wie sie ihre zur Schau gestellte Menschlichkeit abstreifen und in undurchschaubares, triebhaftes Verhalten wechseln. The Friendly Beast bezieht seine Spannungskurve aus den Reibungen der miteinander eingeschlossenen Personen und dem damit einhergehenden Geschlechter- und Klassenkampf.
Vorweg noch eine abgeschwächte Spoilerwarnung: In den folgenden Absätzen wird keine Auflösung verraten, aber einige Ausführungen könnten in ihren Andeutungen für den einen oder anderen Leser eventuell nahe an Spoiler heranreichen.
Masken fallen…
The Friendly Beast spielt mit gängigen hierarchischen Rollenklischees und Gesellschaftsstrukturen. Eingangs werden diese Rollenbilder noch zelebriert, der Machismo der Räuber sogar ins völlig Absurde übersteigert. Beide machen Sara unmissverständlich klar, dass sie schlichtweg zu hässlich für eine Vergewaltigung sei. Später genießt es Regisseurin Amaral sichtlich, eben diese eingefahrenen Strukturen im weiteren Handlungsverlauf zu brechen.
Anfangs trägt jeder der Beteiligten seine Maske. Inácio und Sara sitzen diese jedoch denkbar schlecht. Beide fühlen sich unwohl in ihrer Haut, sind gar angewidert von dem, was sie im Spiegel erblicken. Während alle anderen mit zunehmender Demaskierung zu schrumpfen scheinen, schwingt sich das Zweiergespann aus Chef und Angestellter zu immer größeren Machtfantasien auf. Beide verschmelzen förmlich zu einem infernalischen Duo. Dass ihre neu erworbene Macht dabei auf Angst und Schrecken fußt, ist beiden nur Recht.
Inácio fühlt sich im Leben um Vieles betrogen: Unerfüllte Ehe, fehlendes Talent am Herd und das stete Gespür für sein Geschäft zehren an seinem Selbstbild. Erst mit einer Waffe in der Hand sieht er sich in der Lage, Respekt gezeigt zu bekommen, beziehungsweise diesen auf brutale Weise einzufordern. Seine Metamorphose zur titelgebenden Bestie stellt für ihn ein zutiefst befriedigendes Gefühl dar. Nachdem eines seiner Opfer versucht, ihm in sein Gewissen zu reden, wie das Töten den Menschen verändert, kann er nur verächtlich und zugleich stolz behaupten, dass er nun endlich alles sein, was er jemals sein wollte.
…und Rollen tauschen
Die Machtposition Saras hingegen formt sich zuallererst aus ihrer Stellung als Gehilfin des zunehmend selbstsicherer auftretenden Inácios. Sie schlägt sich schnell auf die Seite des vermeintlichen Siegers, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Anfangs noch zögerlich, aber zusehends bewusster setzt sie ihr Verlangen und ihren Körper als Waffe ein. Ganz im Gegensatz zu Inácio, der eine tatsächliche Waffe benötigt, um sich als Machthaber zu etablieren.
Sara straft all jene ab, die sie zuvor mit Desinteresse oder Verachtung betrachtet haben. Selbst Inácio erschaudert in einer bestimmten Szene vor all der animalischen, naturalistischen Kraft, die Sara plötzlich verströmt – Das Patriarchat wandelt sich hin zum Matriarchat. Es ist sowieso interessant, wie oft The Friendly Beast seinen Fokus neu ausrichten lässt. In diesem Zusammenhang wird auch die Bindung des Zuschauers an bestimmte Figuren stetig auf die Probe gestellt. Denn oftmals geht die Neufindung des Fokus auf eine Person mit der Korrektur der Sympathie gegenüber anderer Charaktere einher. Immer wieder gerät diese ins Schlingern, taumelt diabolisch vor der Nasenspitze des Publikums herum, um dann einen gänzlich neuen Pol für sich einzuvernehmen.
In all diesem Chaos bleibt eine Figur, trotz ihrer berechtigten Ängste, standhaft und bietet dem Zuschauer eine Art sicheren Hafen: Küchenchef Djair (Irandhir Santos, bekannt aus Elite Squad, dem Nachfolger zu Tropa De Elite). Er steht als äußerst femininer Mann inmitten des ausgetragenen Geschlechterkampfes. Seine besondere Rolle zeigt sich auch im letztlichen Ausgang der Geschichte, in welchem er sich deutlich von den anderen Figuren abhebt.
The Friendly Beast – Eine beispiellose Veröffentlichung
Bildstörung, die wohl beste Adresse für subversiven Filmgeschmack (u. a. Marquis, Luz, The Wild Boys) auf deutschem Boden, bringt mit The Friendly Beast den mittlerweile 33. Drop-Out ihres Filmkatalogs heraus. Die Veröffentlichung steht dabei ganz im Zeichen des Labels: Einheitliches Design im Schuber mit Schutzumschlag. Erhältlich seit dem 5.7.2019; wahlweise auf DVD und Blu-ray oder in der exklusiv bei Bildstörung erhältlichen, auf 300 Stück limitierten Edition inklusive des Soundtracks. Egal welches Format, der Umfang weiß jeden Käufer zu überzeugen. Denn neben einem umfangreichen Booklet mit weiterführenden Essays, liegen Trailer und auch auch zwei Kurzfilme (Die helfende Hand, Keine Bewegung) der Regisseurin bei. Wer den bisherigen Veröffentlichungen des Labels etwas abgewinnen konnte, wird sicherlich auch beim vorliegenden Film zufriedengestellt werden. Allen Neulingen sei noch gesagt, dass sich The Friendly Beast zwar nicht scheut, Unbequemes zu thematisieren, dies aber auf weniger offensiv brutale Art wie manch anderer Genrekollege.
Wie steht es im Booklettext von Shelagh Rowan-Legg geschrieben?
“The Friendly Beast ist ein Film, wie er nur von einer Frau gedreht werden konnte, von einer, die versteht, dass Männer so leicht zu tierischem Verhalten neigen, wenn ihre Macht bedroht ist – oder sie eine Macht erlangen, die ihnen bislang verwehrt wurde.“
(Rowan-Legg, Shelagh: Ein freundliches Tier? Gabriela Amaral Almeidas The Friendly Beast.)
Unsere Wertung:
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