In Eskil Vogts The Innocents entwickeln vier Kinder übernatürliche Fähigkeiten und erleben dadurch, was es bedeutet, wenn aus kindlichem Spiel brutaler Ernst wird. Nach einigen Festivalvorführungen im Jahr 2021 läuft das norwegische Drama mit Horror-Elementen endlich auch regulär in den deutschen Kinos an.
Titel | The Innocents |
Jahr | 2021 |
Land | Denmark |
Regie | Eskil Vogt |
Genres | Horror, Drama, Fantasy |
Darsteller | Rakel Lenora Fløttum, Alva Brynsmo Ramstad, Sam Ashraf, Mina Yasmin Bremseth Asheim, Ellen Dorrit Petersen, Morten Svartveit, Kadra Yusuf, Lisa Tønne, Irina Eidsvold Tøien, Marius Kolbenstvedt, Kim Atle Hansen, Nor Erik Vaagland Torgersen, Birgit Nordby, Kjersti Paulsen, Markus Rosså |
Länge | 117 Minuten |
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Die Handlung von The Innocents
Zusammen mit ihren Eltern und ihrer älteren, autistischen Schwester Anna (Alva Brynsmo Ramstad) zieht die kleine Ida (Rakel Lenora Fløttum) in eine abgelegene Hochhaussiedlung am Rande der Stadt. Da gerade Urlaubssaison herrscht, ist die neue Umgebung wie ausgestorben und verstärkt Idas Gefühl von Einsamkeit. Zum Glück findet sie bald neue Freunde in Form von Aisha (Mina Yasmin Bremseth Asheim) und Ben (Sam Ashraf), die auch in dem Wohnungskomplex leben. Alle drei vereint, dass sie aus unterschiedlichen Gründen ein eher schwieriges Verhältnis zu ihren Eltern haben und nicht genügend Aufmerksamkeit, Liebe und Fürsorge erhalten.
In der neu geschlossenen Gemeinschaft entdecken Ida, Aisha und Ben nach und nach besondere Fähigkeiten an sich, die sie bald nicht mehr nur für Spielereien nutzen. Denn die vernachlässigten Kinder wenden zunehmend Gewalt gegen unschuldige Tiere an. Als schließlich auch Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden, scheint die Abwärtsspirale schon unaufhaltbar.
Eskil Vogts zweite Regiearbeit
Mit seiner erst zweiten Regiearbeit nach Blind (2014) dürfte der norwegische Filmemacher Eskil Vogt noch keinem größeren Publikum bekannt sein. Bisher arbeitete er vornehmlich als Drehbuchautor für die Filme seines Landsmanns Joachim Trier. So kann das Duo bereits auf einige empfehlenswerte Dramen (Oslo, 31. August, Louder Than Bombs, Thelma) zurückschauen, die intim und alltagsnah gefilmt auf Authentizität und wahrhaftige Charaktere setzen.
Eine ebensolche Atmosphäre der Alltäglichkeit prägt auch die Inszenierung von The Innocents, die sehr dezent erscheint und nahezu schmucklos sowie unverstellt das Geschehen einfängt. Auf Augenhöhe mit den jungen Darsteller:innen gelingt es so sehr schnell, die Zuschauer:innen quasi als unsichtbarer Begleiter an die Seite der Kinder zu stellen. Viele Zuschauer:innen dürften sich daher schon früh im Film unwohl fühlen und sich körperlich abwenden wollen, wenn die Kinder Gewalt mit einer nahezu schlafwandlerischen Gleichgültigkeit ausüben. Der Titel des Films zahlt so ganz bewusst auf dessen Botschaft ein.
Gleichzeitig liegt in Vogts Darstellungsweise mit auch die größte Gefahr, das Publikum zu langweilen. Denn Szenen bleiben deutlich länger stehen, als es wirklich nötig ist. Zusammen mit dem mutmaßlich nur auf große Plotpunkte ausgearbeiteten Drehbuch wiederholen sich viele ähnlich geartete Szenen, in denen die Kinder spielen, ihre Fähigkeiten testen und die Tage in der fast ausgestorbenen Siedlung verleben. Nimmt man auch den sporadischen Musikeinsatz und die seltenen Stimmungswechsel hinzu, so durchweht The Innocents in einigen Phase eine typische „Arthouse-Langeweile“, die häufig künstlerisch anspruchsvolle Filme von mainstreamigen Unterhaltungsfilmen unterscheidet.
Die (brutale) Welt der Kinder
Die Inszenierung von Eskil Vogt unterstreicht eindrücklich die Absicht des Films. Im Vordergrund steht, erwachsenen Menschen die Welt der Kinder in ihrer Eigenständigkeit (und Eigenartigkeit) näher zu bringen. Wer selbst Mutter oder Vater von Heranwachsenden ist, hat sehr wahrscheinlich schon darüber nachgedacht oder festgestellt, dass die eigenen Sprösslinge sich mit Freunden und Gleichaltrigen anders verhalten als beispielsweise im Kreis der Familie am heimischen Küchentisch.
Diese Diskrepanz verschärft Vogt gezielt mit dem Element des Übernatürlichen. Speziell Aisha und Ben stechen anfangs aus der Gruppe heraus, weil sie telepathische beziehungsweise telekinetische Fähigkeiten besitzen. Dass diese Begabungen für viele kleine Alltagsspielereien wie Gedanken lesen oder das Schleudern von Gegenständen genutzt wird, ist so weit erwartbar. Etwas schleierhaft bleibt allerdings, warum The Innocents selbst nach rund 70 der insgesamt knapp 120 Minuten noch im Ausprobieren und Ausleben dieser Fähigkeiten verharrt.
Erst die zweite Stunde entwickelt eine stringentere und fokussierte Dramaturgie. Denn dann zeichnet sich eine klare Bedrohung für die Kinder ab und wenige, kurze Horrorsequenzen sorgen für Beklemmung und peinigende Spannung. Insgesamt betrachtet verwässert der Film leider seine teils extrem unangenehmen und dadurch unerwartet wirkungsvollen Einzelszenen. Ein knackiger 90-Minüter hätte wohl alles in allem für eine bessere Balance gesorgt, um das überschaubare Drehbuch und dessen Botschaft auch gleichbleibend intensiv und packend darzustellen.
Die abwesenden Erwachsenen
Während die Kinder und ihre Erlebnisse voll im Fokus stehen, nehmen die Eltern eine untergeordnete Rolle ein. Dabei sind sie gerade der Grund für die Vernachlässigung und teils Misshandlung der Kinder. Während Aishas Mutter in Trauer versinkt und meist abwesend wirkt, verhält sich Bens Mutter regelrecht gewalttätig. Sie nutzt ihre Sohn als Ventil für persönliche Probleme. Nicht zuletzt fühlt sich auch Ida vernachlässigt, denn ihre Schwester bekommt aufgrund ihrer Krankheit die meiste Aufmerksamkeit von ihrer Mutter. Ihr Vater ist durch seine Arbeit tagsüber nicht präsent. The Innocents zeigt so einen interessanten Querschnitt durch mögliche Familienverhältnisse und die Herausforderungen der Elternschaft.
Gerade wer selbst Kinder hat, dürfte sich allerdings wundern, wie wenig die Eltern trotz allem von ihren Kindern mitbekommen. So wirkt die Trennung zwischen Kinder- und Erwachsenenwelt etwas bemüht, wenn die Eltern in einer menschenleeren Hochhaussiedlung nicht mal den Blick aus dem Fenster wagen oder mit ihren Kindern kaum Zeit im Freien verbringen.
Die offenkundige Pointe des Films soll zwar darin liegen, dass Kinder grundsätzlich unschuldig sind, noch keine wirklichen Moralvorstellungen haben und dann schrittweise quasi ein gesundes Maß überschreiten. Gleichzeitig erscheinen alle Kinder zu früh als verhaltensauffällig. Gerade die gezeigte Tierquälerei ist eine altbekannte Symptomatik. Und wenn Ida bereits zu Beginn ihrer Schwester kräftig in den Arm kneift, ist der weitere Verlauf des Films quasi programmiert. Dieser problematische Wissensvorsprung der Zuschauer:innen bremst die Spannung zwar deutlich aus. Es entkräftet die Wirkung des Films aber nur wenig. Denn das Geschehen muss dennoch jede:r hilflos mit ansehen.
Unser Fazit zu The Innocents
Unbequem und konsequent – Das norwegische Drama The Innocents entführt die Zuschauer:innen in die Welt von vier Kindern, die bei sich übernatürliche Fähigkeiten entdecken und diese in ihrer Hochhaussiedlung für immer mehr bösartige Taten gegenüber Mensch und Tier nutzen. Während der Großteil des Films eher spröde, schmucklos und dadurch möglichst authentisch inszeniert ist, sorgen ein paar wenige Horrorsequenzen zumindest für etwas Genrefutter und prickelnde Unterhaltung.
Doch fühlen sich die knapp zwei Stunden deutlich zu lang an, um das zu erzählen, was der Film schon von Beginn an suggeriert und nur schleppend mit einigen Wiederholungen entfaltet. Letztlich dürfte aber kaum jemand von der Konsequenz und Drastik unberührt bleiben, mit der The Innocents die Perspektive der Kinder einnimmt und so nachhaltig zum Denken anregt.
The Innocents startet am 14. April 2022 in den deutschen Kinos.
Unsere Wertung:
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