Was tust du, wenn du mit Mitte 20 noch ziellos in den Tag hineinlebst und deine Mutter dich plötzlich aus dem Haus wirft, um mehr Zeit mit ihrem neuen Freund zu haben? The King of Staten Island von Judd Apatow erzählt auf lustige wie berührende Weise von einem Manchild, dem klare Ziele im Leben und vor allem die väterliche Führung fehlen.
Titel | The King of Staten Island |
Jahr | 2020 |
Land | United States of America |
Regie | Judd Apatow |
Genres | Komödie, Drama |
Darsteller | Pete Davidson, Marisa Tomei, Bill Burr, Bel Powley, Maude Apatow, Steve Buscemi, Pamela Adlon, Action Bronson, Kevin Corrigan, Ricky Velez, Moisés Arias, Lou Wilson, Carly Aquilino, Robert Vidal III, Angus Costello, Pauline Chalamet, Lynne Koplitz, Joseph Paul Kennedy, Nina Hellman, Jack Hamblin, Stephen Davidson, Keith Robinson, Luke David Blumm, Liza Treyger, Derek Gaines, Meredith Handerhan, Rich Vos, Bonnie McFarlane, Jay Rodriguez, Jimmy Tatro, Giselle King, John Sorrentino, Alexis Rae Forlenza, Domenick Lombardozzi, Rafael Poueriet, Nana Mensah, mgk, Kill, Anthony Lee Medina, Nyla Durdin, Katherine Ray Zimmerman, Lilly Brown, Robert Smigel, Jessica Kirson, Laurence Blum, David S. Lomax, Casey Davidson, Antony Marino, Nils Johnson, Mario Polit, Mike Vecchione, Hank Strong, Marilyn Torres, Teodorina Bello, Michelle Sohn, Ken Holmes, Emma R. Mudd, Melania Zalipsky, Gina Jun, Adam Keane |
Länge | 137 Minuten |
Wer streamt? | Kaufen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, Sky Store, Rakuten TV, maxdome Store, MagentaTV, Microsoft Store, Videoload Leihen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, Sky Store, Rakuten TV, maxdome Store, MagentaTV, Microsoft Store, Videoload, Freenet meinVOD |
Handlung: Wer ist der König der Insel?
Scott Carlin (Pete Davidson) war erst sieben Jahre alt, als er seinen Vater Stan verlor, der als Feuerwehrmann bei einem Einsatz ums Leben kam. Viele Jahre sind seitdem vergangen und mit Mitte 20 hat der High-School-Abbrecher den Verlust noch nicht richtig verarbeitet, geschweige denn überwunden. Scott wohnt weiterhin zuhause bei seiner Mutter Margie (Marisa Tomei) und seiner jüngeren Schwester Claire (Maude Apatow), denen er zunehmend auf die Nerven geht. Denn sein Leben besteht aus Rumhängen mit seinen Freunden und dem Konsum von Drogen. Dass er sich selbst manische Phasen attestiert, macht die ganze Situation umso schwieriger.
Zwar träumt er davon, Tätowierer zu werden und ein neuartiges Restaurant zu eröffnen, wo Essen und Tattoos gleichermaßen angeboten werden. Aber Scott ist selbst von einer entsprechenden Ausbildung noch weit entfernt. Auch bei seiner Freundschaft-Plus-Beziehung Kelsey (Bel Powley) scheut er sich, den nächsten Schritt zu gehen und sich an feste Strukturen zu binden, obwohl sich die beiden seit Kindheitstagen sehr nahe stehen. So lebt er gelassen in den Tag hinein, bis seine Mutter ausgerechnet den Feuerwehrmann Ray (Bill Burr) kennenlernt und ihren Sohn kurzerhand vor die Tür setzt. Jetzt heißt es, auf eigenen Beinen zu stehen – doch wie geht das eigentlich? Und ist Ray überhaupt der richtige für seine Mutter?
Vom Stand-up-Comedian zur Hauptrolle in Hollywood
Hierzulande dürfte die Hauptrolle von Judd Apatows neuestem Film The King of Staten Island eher für fragende Gesichter gesorgt haben. Wer ist Pete Davidson? Das amerikanische Publikum weiß dagegen: Davidson ist ein (Stand-up-)Comedian, der vor allem durch die Comedy-Show Saturday Night Live berühmt wurde. Hier stieß er 2014 als eines der jüngsten Mitglieder aller Zeiten zum Cast. Einen Comedian als Hauptdarsteller für eine Komödie zu besetzen, ist also mehr als naheliegend. Doch dahinter steckt wesentlich mehr als der Zuschauer auf Anhieb vermuten mag.
Denn Davidson schrieb selbst am Drehbuch mit. Dabei ließ er einige Elemente aus seinen eigenem Leben in die Hauptfigur und deren Geschichte einfließen. Die Parallelen sind unübersehbar: Davidson ist ebenso Schulabbrecher, hat mit Depressionen zu kämpfen und verlor früh seinen Vater, der als Feuerwehrmann im Zuge der Rettungsmaßnahmen beim Anschlag auf das World Trade Center ums Leben kam. Zudem sind Freunde und Verwandte vor und hinter der Kamera im Einsatz. So geht der junge Comedian bei seinem Filmdebüt ähnlich schonungslos auf seine persönlichen Befindlichkeiten ein, wie er es auch bei seinen Stand-ups tut. Dort zählen Witze über das Zusammenleben mit seiner Mutter, Erlebnisse auf dem streng katholischen College und den Verlust seines Vater zum Repertoire des Bühnenkünstlers.
So klischeehaft die Geschichte des Twenty-Something-Muttersöhnchens ohne Ziele im Leben also klingen mag – The King of Staten Island ist alles andere als ein plattes Gagfeuerwerk.
The King of Staten Island – Tragische Komödie…
Judd Apatow hat sich in Hollywood seit rund 15 Jahren zweifellos einen Namen als Komödienspezialist gemacht. Der Regisseur und Drehbuchautor war so unter anderem für Jungfrau (40), männlich, sucht…, Beim ersten Mal und Dating Queen verantwortlich. Die Erwartungshaltung gegenüber The King of Staten Island dürfte damit klar sein: Gags, Gags, Gags, gerne auch etwas zotiger, wie es auch Apatow-Zögling Seth Rogen besonders kultiviert hat. Warum sollte sonst Comedian Pete Davidson die Hauptrolle übernehmen?
Direkt ins Auge springt die lange Laufzeit von 136 Minuten, die für Komödien eher untypisch, aber bei Apatow geradezu programmatisch als Teil des eigenen Stils erscheint. Statt Szenen pointiert auf Gags zulaufen zu lassen, lässt Apatow sowohl einzelne Sequenzen als auch die gesamte Handlung gerne ausfransen und in Episoden zerfallen. So setzt sich The King of Staten Island aus vielen größtenteils improvisiert wirkenden Szenen zusammen, bei denen die Themen, Stimmungen und beteiligten Figuren munter wechseln. So sehen wir, wie Scott mit seinen Freunden im Keller oder im Freien herumhängt, wie er als Tellerabräumer den Arbeitsmarkt von ganz unten sieht und versucht mit dem neuen Freund seiner Mutter klarzukommen oder Rays Kinder aus erster Ehe in die Schule bringt.
Spannende Passagen wie ein nächtlicher Einbruch, der gehörig schief geht, gehören zur Seltenheit und spielen wie so viele Szenen für die weitere Handlung gar keine (große) Rolle. Es sind ungefilterte und unsortierte Facetten eines Lebens, die der Zuschauer gemächlich wie Stationen einer Jahrmarktsattraktion vorgeführt bekommt. In der ersten Hälfte verharren Apatow und seine Autoren in der Beobachterperspektive und bringen das Gefilmte kaum in eine zusammenhängende Dramaturgie. Dies treiben sie so weit, dass der ein oder andere Zuschauer sich schon gelangweilt fragen dürfte, ob der Film überhaupt etwas zu sagen hat.
…oder komödiantisches Drama?
Explizit lustig wird es immer in den Wortgefechten und zwistigen Dialogen, die Scott mit seiner Familie und dem großartig von Bill Burr gespielten Ray führt. Wenn sich Ray bei Scotts Mutter Margie über ihren Sohn beschwert, weil er dessen minderjährigem Sohn einen Strich auf den Arm tätowiert hat, dann spielen Burr, aber vor allem Davidson als verpeilter, aber liebenswerter Kiffer-Dude ihr ganzes Comedy-Potenzial aus.
Dazu reichen Davidson wie bei seinen Stand-ups nur wenige kleine Gesten und ein verschmitztes Lausbuben-Grinsen. In sensibleren Momenten fehlt seinem Schauspiel noch eine größere Tiefe, doch da The King of Staten Island ohnehin leichtfüßig zwischen den Genres hin- und herspringt, fällt dies kaum ins Gewicht.
Erst Scotts heimischer Rauswurf führt dann zum Wendepunkt – in doppelter Hinsicht. Das Komödiantisch-Absurde des Alltags macht einer einfachen wie feinfühligen Coming-of-Age-Geschichte Platz. Verantwortung übernehmen und einen geregelten Tagesablauf haben sind die Lehren, die den verträumten Herumtreiber erwarten. Rührendes Highlight der zweiten Hälfte von The King of Staten Island ist dabei Scotts Leben und Arbeitsalltag auf Rays Feuerwache.
Ohne Dach über dem Kopf ist der Freund seiner Mutter der einzige, der ihm Obdach bietet. Dabei hat Scott alles getan, um Ray vor Margie schlecht dastehen zu lassen. In der Gruppe aus Feuerwehrmännern findet er endlich die Führung und die klaren Ansagen, die ihm den Kopf waschen. Apatow fügt das Geschehen fortan in eine bekannte Dramaturgie, ohne dass Scott plötzlich eine märchenhafte 180-Grad-Wendung vollführt. So macht sich trotz allem die lange Laufzeit bezahlt, um die zahlreichen kleinen, ans Herz gehenden Momente in der lose strukturierten Szenenabfolge zu entdecken. Ehe wir uns versehen, ist uns Scott klammheimlich ans Herz gewachsen, sodass wir seine kleinen Schritte in die richtige Richtung selbst wie ein liebevoller Vater oder guter Freund verfolgen.
Die Vater-Sohn-Beziehung: DAS Thema Hollywoods
Söhne, die unter dem Einfluss ihrer Väter stehen, das (genetische) Erbe, die vermittelten Werte und das Bild vom Erzeuger in Frage stellen: Hollywood hat die Vater-Sohn-Beziehung als eine gewissermaßen uramerikanische Problemgeschichte bereits vielfach und facettenreich dargestellt. Egal ob die Väter im Leben ihrer Söhne omnipräsent waren, ganz fehlten oder lange Zeit abwesend waren, in allen Fällen musste sich die nachfolgende Generation mehr oder weniger schmerzhaft an ihren männlichen Vorgängern abarbeiten.
Besonders tiefgründig und weitreichend verhandelte dieses Thema zuletzt The Place Beyond The Pines von Derek Cianfrance. Hier trafen erst die Väter, gespielt von Ryan Gosling und Bradley Cooper, aufeinander, um dann nach kurzer Zeit überraschend Platz für die Söhne zu machen. Diese haben für den Rest des Films schwer am Erbe der Väter, speziell an ihren Versäumnissen und Verfehlungen, zu tragen.
Der fehlende Vater ist die stärkste Verbindung zwischen Pete Davidson und seiner Filmfigur. Beiden haben sich dazu entschieden, den Verlust nicht unter den Tisch zu kehren, sondern sogar auf humorvolle Weise anzusprechen. Doch trotz dieser selbstbewussten Haltung enthüllt The King of Staten Island schrittweise, wie sehr Scotts Leben ohne Vater in Schieflage geraten ist. So stark Margie als alleinerziehende Mutter präsentiert wird, so eklatant ist doch, wie wenig Einfluss sie auf ihren Sohn hat. Es ist diese entscheidende väterliche Führung und Anleitung, die Scott erst über Ray und dessen Kollegen auf der Feuerwache erfährt. Dabei ist es ebenso wichtig, überhaupt zu erfahren, wie der eigene Vater als Mensch so war. Dass er wie alle anderen ein fehlbarer, aber zumindest aufrichtiger Mensch und natürlich kein Heiliger war, wie die schreinartige Gedenkstätte im Wohnzimmer der Familie Carlin andeutet.
Unser Fazit: Lang lebe der King of Staten Island!
Komödienspezialist Judd Apatow hat es wieder getan: The King of Staten Island ist eine weitere zeitlich ziemlich ausufernde Komödie, die aber nie die Bodenhaftung verliert und mit seinen aus dem Leben gegriffenen Themen sogar das Herz zu erwärmen weiß. Die persönliche Note des Films – Hauptdarsteller Pete Davidson verfilmte Teile seiner eigenen Biographie – ist dem Projekt und allen Beteiligten anzumerken. Hier verkommt keine Figur zur Gagstaffage und die dramatischen Anteile vermischen sich überraschend angenehm mit den amüsanten Passagen.
Nur etwas Sitzfleisch sollte jeder Zuschauer mitbringen. Denn bis sich der emotionale Kern der Handlung und seiner Hauptfigur vollständig entfaltet, vergeht eine Vielzahl an unterschiedlichen Episoden. Diese führen bewusst nirgendwo hin und fallen dementsprechend mal spannend, mal belanglos aus. Das alles ist Teil eines letztlich großartigen Gesamtbilds, das heutzutage typisch als Slice of Life bezeichnet wird.
The King of Staten Island ist am 5. November über Universal Pictures auf dem Heimkinomarkt erschienen.
Unsere Wertung:
© Universal Pictures Germany