Während Francis Ford Coppola mit Megalopolis viele denkbare Grenzen sprengt – insbesondere finanzielle und die der Vernunft –, wählt seine Enkelin Gia Coppola für The Last Showgirl einen sympathisch bodenständigen Ansatz. Mit einem Budget von unter zwei Millionen Dollar und einer Drehzeit von nur 18 Tagen gelingt ihr ein Werk, das uns Las Vegas und Hauptdarstellerin Pamela Anderson von einer ungewohnten Seite zeigt.
Titel | The Last Showgirl |
Jahr | 2024 |
Land | United States of America |
Regie | Gia Coppola |
Genres | Drama |
Darsteller | Pamela Anderson, Jamie Lee Curtis, Dave Bautista, Brenda Song, Kiernan Shipka, Billie Lourd, John Clofine, Jason Schwartzman, Patrick Hilgart, Jesse Phillips, David Avne, Sean Patrick Bryan |
Länge | 90 Minuten |
Wer streamt? | Derzeit leider auf keinem Streamingdienst verfügbar. |
Die Handlung von The Last Showgirl
Seit bereits drei Jahrzehnten ist Shelly Gardner (Pamela Anderson) fester Bestandteil der Revue Le Razzle Dazzle in Las Vegas, deren nur mit Strass und Federn bekleidete Tänzerinnen ein immer kleineres Publikum finden. Als die Show für Shelly überraschend eingestellt wird, steht sie vor der Herausforderung, dieser Realität ins Gesicht zu sehen und einen neuen Platz in der sich wandelnden Unterhaltungswelt zu suchen.
Vegas im warmen Sonnenlicht: Ästhetik und Inszenierung
Beginnen wir mit einem Aspekt, der uns direkt gefallen hat: dem Verzicht auf opulente Kulissen, unnötig aufgeblasenes Drama und ein Drehbuch voller verzwickter Komplikationen. Stattdessen ist The Last Showgirl betont “Indie”, konzentriert sich auf Dialoge sowie episodisches Erzählen mit offenem Ende, arbeitet mit vielschichtiger Symbolik und präsentiert uns in diesem Rahmen eine Charakterstudie, die ganz nah an ihren Hauptfiguren bleibt – insbesondere an Protagonistin Shelly. So bleibt das Drehbuch seinen Ursprüngen als Theaterstück – Kate Gerstens A Body of Work – erkennbar treu.
Nah an den Figuren bleibt auch die Kamera und sorgt so für eine äußerst authentische Wirkung. Anstatt einer künstlichen, glatten Ästhetik, wie man sie von Filmen über Las Vegas erwarten könnte, wird hier eine unmittelbare, fast dokumentarische Bildsprache gewählt. Gedreht wurde vor Ort an Schauplätzen im suburbanen Teil der Stadt, darunter die kaum veränderte Wohnung einer Tänzerin. Details wie die Verwendung historischer Outfits einer abgesetzten Show tun ihr Übriges.
Durch den Fokus auf Schauplätze jenseits des glitzernden Las Vegas setzt der Film der bunten Show- und Spielautomatenwelt eine überaus nüchterne Realität entgegen. Doch erfreulicherweise vermeidet es The Last Showgirl trotz einiger bitterer Sujets und schmuckloser Szenerien, ein “grauer” und rein pessimistischer Film zu sein. Stattdessen sprenkelt er Humor und Optimismus ein und taucht selbst drögeste Urbanität in ein warmes Sonnenlicht, das Shellys Blick auf die Stadt widerspiegelt (wir kommen darauf zurück).
Ungeschminkte Realitäten: die sozialkritische Komponente
Wir begleiten eine kleine Gruppe von Tänzerinnen des Razzle Dazzle, folgen dabei aber maßgeblich den Ereignissen hinter den Kulissen. Entsprechend sehen wir die Charaktere häufiger in ihren ungeschminkten als ihren geschminkten Momenten. Das ist das Spannende: Der Film beleuchtet die nicht unbedingt glanzvollen Lebensrealitäten von Menschen am unteren Ende von Las Vegas’ gesellschaftlicher Hierarchie.
Shelly und ihre Kolleginnen kämpfen mit prekären Arbeitsbedingungen, fehlender sozialer Absicherung und der Abhängigkeit von äußeren Faktoren wie Alter und Aussehen. Im Kontrast dazu hat etwa ihr Bühnenmanager Eddie mit seiner Kranken- und Rentenversicherung eine deutlich stabilere Position, die durch das Ende des Razzle Dazzle nicht einmal gefährdet ist. Diese Gegenüberstellung zeigt auf angenehm unaufdringliche Weise Geschlechterungleichheit und die besonderen Herausforderungen, denen Frauen in der Unterhaltungsindustrie gegenüberstehen. Ein Motiv, das weit über Las Vegas hinausweist, für das die Stadt jedoch ein passend grelles Abziehbild abgibt.
Das kleine Ensemble spielt diesen Kampf durchweg überzeugend, allen voran Pamela Anderson, die Shelly mit einer Mischung aus Stärke und Zärtlichkeit für ihre Figur darstellt und sich damit von allen Vorurteilen über ihre schauspielerischen Fähigkeiten erfolgreich freischwimmt. Auch Jamie Lee Curtis sticht als schrullige, gealterte “Bevertainerin” Annette hervor – und Dave Bautista als männliches Gegengewicht spielt Eddie glaubwürdig, nachdenklich und sozial ungelenk.
Anträumen gegen die Realität: The Lost Showgirl?
All die gezeigten Widrigkeiten sind etwas, das Protagonistin Shelly selbst gar nicht allzu bewusst vor sich herzutragen scheint. Im Gegenteil: In ihrer eher verträumten Art bewahrt sie nicht nur ihre Fähigkeit, im Alltäglichen das Schöne zu sehen, sondern auch, sich selbst nicht als “Opfer”, sondern als Verwirklicherin ihres persönlichen Traums zu betrachten. Shelly tanzt förmlich durch die grauen Straßen und trägt selbst in ungeschminkten Momenten ein wenig Glitzer auf der Haut, als wäre er Teil ihres Wesens.
Shellys Haltung ist ganz klar: Sie möchte ihre Würde bewahren, selbst wenn sie fällt. Sie hat kein Problem mit sich selbst, ihrem Äußeren oder ihrer vor langer Zeit getroffenen Entscheidung, als Showgirl zu arbeiten. Ein Problem hat sie eher mit steigenden Nahrungsmittelpreisen – bezeichnenderweise denen von Zitronen und Biomilch – oder mit der eher ablehnenden Haltung ihrer Tochter Hannah (Billie Lourd), die als Kind während so mancher Show mit einem Gameboy auf einem Parkplatz ausharren musste. Damit konfrontiert, erklärt sie schlicht, dass sie sich keine Kinderbetreuung leisten konnte. Sie beteuert – und man nimmt es ihr ab –, dass sie ihren Job wirklich liebt, was erklärt, dass sie ihn nie für einen familienfreundlicheren Beruf aufgeben wollte. Ganz nebenbei wirft der Film so die berechtigte Frage auf, wie viel Egoismus sich eine alleinerziehende Mutter leisten darf.
Im Gespräch mit Tochter Hannah werden nicht nur die problematischen Konsequenzen von Shellys Entscheidungen und Perspektiven, sondern auch ihre Tendenz zur Verklärung der Realität besonders deutlich: Shelly rechtfertigt den von ihr gewählten Lebensweg und ihren positiven Blick darauf, indem sie sich als Botschafterinnen von Stil und Anmut definiert, die sich auf ihre Karriere konzentrieren musste. Hannah vertritt dagegen die nachvollziehbare, aber für Shelly niederschmetternde Ansicht, dass man kaum von einer “Karriere” sprechen kann, wenn man mehrere Jahrzehnte lang halbnackt in der letzten Reihe der immergleichen Show tanzt.
So offenbaren sich uns ungeschönt die positiven wie negativen Seiten und widersprüchlichen Aspekte von Shellys sehr eigenem Blick auf die Realität. Einerseits hilft diese Haltung ihr, Würde und Integrität zu bewahren, andererseits verwischt sie ihre Versäumnisse und Unzulänglichkeiten. Daran schätzen wir besonders, dass vor allem Fragen aufgeworfen, aber keine eindeutigen Antworten gegeben werden: Ob sich Shelly maßgeblich die Möglichkeit zur Entwicklung nimmt oder sich vor dem Zerbrechen an der trostlosen Realität schützt – und zu welchem Preis –, bleibt letztlich offen.
Eine von vielen: der Film als Sozialdrama
Trotz oder gerade wegen Shellys Tendenz zur Verklärung sehen wir in ihr weit mehr als die “tragische” Heldin einer aussterbenden Showbranche. Sie ist vielmehr Projektionsfläche für ein Lebensgefühl, das viele teilen. The Last Showgirl ist ein Sozialdrama, das so oder so ähnlich in anderen Settings hätte erzählt werden können, für das Las Vegas als Verkörperung von Konsum und Kapitalismus in Reinform aber einmal mehr den perfekten Schauplatz bietet.
Shelly gehört gewissermaßen der Arbeiterklasse von Las Vegas an, wir können aber auch leicht Parallelen zur Realität des Mittelstands in einer sich rapide wandelnden Arbeitswelt ziehen. Wie sie haben so einige sich über Jahre hinweg in ihrem Bereich Kompetenz und Respekt aufgebaut, eine Nische für sich gefunden, in der sie sicher zu sein glaubten, “bis zur Rente” durchzukommen – um dann plötzlich überflüssig zu werden.
The Last Showgirl erzählt von Mittelmaß, Routinen und dem nachvollziehbaren Bedürfnis, sich selbst nicht zu verlieren – und sei es, indem man wie Shelly angesichts des ausbleibenden großen Erfolgs und der immer härter werdenden Realität die eigene Lebensgeschichte zurechtbiegt und die Realität verklärt. So tragen wir vielleicht alle ein bisschen Shelly in uns. Genau darin sehen wir eine weitere große Stärke des Films: Er erzählt nicht die One-in-a-million-Erfolgsstory, sondern die stille, anrührende Geschichte von vielen.
Unser Fazit: The Substance … mit mehr Substanz
The Last Showgirl ist ein zarter, intimer Film, der sein Thema ernst nimmt, ohne etwas zu idealisieren oder zu beschönigen. Er erzählt von Glanz und Verfall, von Eigensinn und Enttäuschung – und davon, wie sich Menschen in einer sich wandelnden Welt einen Rest an Würde und Schönheit zu bewahren versuchen. Bei inhaltliche Parallelen mit dem ungleich lauteren und grelleren Body-Horror-Event The Substance, überwiegen letztlich doch die Kontraste: Während Coralie Fargeat ihre Hauptfiguren absolut gnadenlos zur Schau stellt und alle Schleusen des blutigen Wahnsinns öffnet, bleibt Gia Coppola immer empathisch, fast liebevoll, und einem realistischen Blickwinkel verpflichtet. Dabei verpackt sie die gesellschaftliche Kritik in einer stillen Elegie auf eine aussterbende Lebensweise. Sanft, aber bestimmt zeigt der Film Gegensätze und Widersprüche auf, ohne sie in einer einfachen Botschaft aufzulösen – und schafft es so, weit über seine Laufzeit hinaus weiterzuwirken.
The Last Showgirl ist seit 20. März in deutschen Kinos zu sehen.
Unsere Wertung:
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