Er hat es doch noch mal gemacht. Dass Alt-Star Clint Eastwood als Regisseur unermüdlich auch mit fast 90 Jahren Jahr für Jahr einen neuen Film in die Kinos bringt, wundert kaum noch. Dass er aber für das Gaunerstück The Mule auch noch einmal vor die Kamera trat, war eine Überraschung. Ob die gelungen ist, erfahrt ihr in unserer Rezension.[su_youtube URL=”https://www.youtube.com/watch?v=ATg3B2JZctY”]
Titel | The Mule |
Jahr | 2018 |
Land | Canada |
Regie | Clint Eastwood |
Genres | Krimi, Drama |
Darsteller | Clint Eastwood, Bradley Cooper, Laurence Fishburne, Michael Peña, Dianne Wiest, Andy García, Ignacio Serricchio, Taissa Farmiga, Alison Eastwood, Richard Herd, Lobo Sebastian, Manny Montana, Noel Gugliemi, Gustavo Muñoz, Patrick L. Reyes, Cesar de León, Jackie Prucha, Adam Drescher, Christi McClintock, Keith Flippen, Kinsley Isla Dillon, Joe Knezevich, Megan Leahy, Austin Freeman, Victor Rasuk, Robert LaSardo, Saul Huezo, Lee Coc, Eugene Cordero, Felicia Dee, Jessica B. Wellington, Michael H. Cole, Charles Lawlor, Alan Heckner, Mollie Busta, James DeForest Parker, Clifton Collins Jr., Daniel Moncada, Paul Alayo, Travina Springer, Kareem J. Grimes, Caroline Avery Granger, Diego Cataño, Kiana N. Paz, Ashley V. Yanez, Nicole M. Gomez, Dylan Kussman, Grant Roberts, Pete Burris, Loren Dean, Kenny Barr, Jan Hartsell, Javier Vazquez Jr., Derek Russo, Megan Mieduch, Leonard Hennessy, Dayna Beilenson, Tess Malis Kincaid, Antwan Mills, Sparrow Nicole, Almendra Fuentes, Mia Rio, Jill Flint, Ashani Roberts, Devon Ogden, Katie Gill, Scott Dale, Artemis, Milton Saul, Timothy Carr, Marco Schittone |
Länge | 116 Minuten |
Wer streamt? | Kaufen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, Sky Store, Rakuten TV, maxdome Store, MagentaTV, Microsoft Store, Videoload Leihen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, Sky Store, Rakuten TV, MagentaTV, Microsoft Store, Videoload, Freenet meinVOD |
Darum geht es in The Mule
Earl Stone (Clint Eastwood) ist am Ende. Mit fast 90 Jahren muss der Blumenzüchter seinen Betrieb dicht machen. Er ist pleite, weil das Internet ihm die Kunden abgezogen hat. Sein ganzes Leben hatte er dem Züchten von Taglilien gewidmet und darüber seine Familie vernachlässigt. The Mule beginnt mit einer Rückblende: Vor zwölf Jahren hat sich seine Frau (Dianne Wiest) von ihm getrennt, weil er die Hochzeit seiner Tochter (Alison Eastwood) vergessen hat, die seitdem nicht mehr mit ihm spricht.
Da erhält er von einem Mexikaner ein Angebot als Kurierfahrer. Auch als ihm klar wird, dass er Drogen für das Sinaloa-Kartell transportiert, hält ihn das nicht ab. Zu verlockend ist das vermeintlich leicht verdiente Geld. Das nutzt er zunächst allerdings für andere. Er finanziert einen Teil der Hochzeit seiner Enkelin (Taissa Farmiga) – ein zum Scheitern verurteilter Versuch später Wiedergutmachung. Ein zweites Mal geht er auf Drogentour, weil seine Stammkneipe abgebrannt ist, und nur er auf diese Weise den Wiederaufbau finanzieren kann.
Für das Kartell ist er ein Glücksgriff. In seinem Alter und dank vorsichtiger Fahrweise extrem unauffällig, wird Stone schnell zu ihrem besten Muli, wie die Kuriere genannt werden. Parallel dazu intensivieren die Drogenfahnder der DEA ihre Ermittlungen. Durch einen Spitzel werden sie auf den El Tata (Papa) genannten Spitzenkurier aufmerksam. Das Netz um Earl Stone zieht sich zusammen. Als auch das Kartell nach internem Machtwechsel die Zügel straffer anzieht wird die Luft für ihn sehr dünn.
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Echte amerikanische Helden
Clint Eastwood hat in den vergangenen Jahren verstärkt auf real existierende Helden gesetzt. Und so ist auch The Mule von einer wahren Geschichte inspiriert worden. Der Fall des 2011 gefassten, fast 90-jährigen Drogenkuriers Leo Sharp war durch einen Artikel in der New York Times einer breiten Öffentlichkeit in den USA bekannt geworden. Anders als in Eastwoods vorherigen, eher verunglückten Heldengeschichten American Sniper und 15:17 to Paris steht Earl Stone allerdings auf der falschen Seite des Gesetze.
Der zentrale Konflikt in The Mule ist aber nicht der zwischen Gesetz und Verbrechen. Die Schuld, zu der sich Eastwoods Charakter am Ende bekennt, ist nicht in erster Linie die justiziable. Schuldig geworden ist er gegenüber seiner Familie. So führt denn die Heldenreise des Earl Stone zu der für Eastwood typischen Erkenntnis, dass die Familie das höchste Gut im Leben ist.
Die Werte, zu denen sich der Libertäre Eastwood bekennt, sind nicht dieselben wie die, von denen sich die Gesetzgeber in Washington leiten lasen. Sie sind bedeutend archaischer. Sie betonen eine individuelle Freiheit, die sich eben nicht durch abstrakte Paragrafen einschränken lassen will, sondern nur durch individuelle Bande – wie eben die der Familie.
Vorurteile frei von der Leber weg
Earl Stone ist so ein typischer knurriger Individualist, der seine Verwandtschaft mit dem ebenfalls von Eastwood gespielten Walt Kowalski aus Gran Torino nicht leugnen kann. Er scheut sich nicht, seine Vorurteile offen auszusprechen, ohne dabei starrsinnig auf ihnen zu beharren. Als er einem farbigen Paar beim Reifenwechsel hilft, meint er unverblümt: “Da kann ich auch mal einem Neger helfen.” Dass man das heutzutage nicht mehr so sagt, quittiert er achselzuckend. Ironisch blickt er auf technisch affine jüngere Menschen: “Das ist das Problem mit dieser Generation”, sagt er. “Sie kriegen keinen Obstkarton auf ohne dieses Internet.”
Der Drogenfahnder Colin Bates (Bradley Cooper) sagt bei einem zufälligen Treffen zu ihm: “Sie leben schon so lange, dass sie mittlerweile alles gerade heraus sagen können.” Stone entgegnet: “Ich habe nie was anderes gemacht, finde ich.” Auch dies vielleicht eine Referenz auf sein eigenes Leben, in dem Eastwood selten ein Blatt vor den Mund genommen hat – selbst wenn er mit einem leeren Stuhl redete.
Verschmitzt zeigt sich Earl Stone immerhin lernfähig und turtelt auch in seinem hohen Alter noch charmant mit dem anderen Geschlecht herum. Was böse Zungen schon als Eastwoods Altherrenfantasie ausgelegt haben, ergibt im Rahmen der Geschichte als Element der Verführung durchaus Sinn. Doch auch dies ließe sich als ironische Selbstreferenz werten.
Eastwood nimmt sich in The Mule auf die Schippe
Davon gibt es in The Mule einige. Als Stone bei seinen Fahrten immer sicherer wird, fängt er an, die Songs im Radio mitzusingen. Eastwood ist nicht nur Musikfan, sondern hat selbst für seine Filme komponiert und immer wieder mal gesungen, sei es im Westernmusical Westwärts zieht der Wind neben Lee Marvin oder im eigenen Honkytonk Man in der Rolle eines abgehalfterten Countrysängers. Wenn also Earl Stone mit brüchiger Stimme Jazzstandards aus dem Radio begleitet, blitzt auch hier die Selbstironie auf.
Als er bei der dritten Tour von einem Polizisten angehalten wird, sagt der zum Abschied: “Sie haben übrigens Ähnlichkeit mit Jimmy Stewart.” Eastwood guckt, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen. Die Begegnung mit einer Motorradgang wiederum erinnert an seine San-Fernando-Filme. Damals waren die Biker ruppig-böse Kerle, diesmal ist es eine Frauengruppe, die seinen Reparaturtipp – “Ich habe in den 80ern auch so etwas gefahren” – eher skeptisch aufnimmt.
Ruhige Erzählweise dominiert
Die filmischen Mittel sind in The Mule so unauffällig wie El Tata als Drogenkurier. Eastwood ordnet die Gestaltung wie immer der Geschichte unter. Er erzählt betont ruhig und konventionell ohne irgendwelche Mätzchen. Die einzige Extravaganz leistet er sich, als Drogenboss Laton (Andy Garcia) von seiner Nummer Zwei beseitigt wird. Laton übt sich gerade im Tontaubenschießen. Als der Schuss fällt, sieht man ihn aber plötzlich wie in Zeitlupe zu Boden sinken und den Blick auf seinen hinter ihm stehenden Mörder frei geben. Eine Kranaufnahme von Latons Leiche beschließt die Szene – und erinnert ein wenig an Eastwoods Perfect World. Mit dem Machtwechsel im Kartell wird auch für Earl Stone die Welt weniger perfekt.
Die Handlungsstränge um die Fahnder und den Drogenkurier werden in klassischer Manier parallel erzählt, der Rhythmus verdichtet sich mit zunehmender Brisanz, auch wenn er zum Ende hin ein wenig holprig wird. Leider verzichtet Eastwood nicht auf alle Klischees, wenn etwa der sonst strahlende Sonnenschein beim Eintreffen der schlechten Nachricht von der schweren Erkrankung seiner Ex-Frau dem Regen weicht.
Großartige Schauspielerleistungen
Vor allem sind es die schauspielerischen Leistungen, die The Mule auszeichnen. Insbesondere Clint Eastwood selbst, der hier entgegen früherer Ankündigungen doch noch einmal auch vor die Kamera trat, kann mit seinem minimalistischen Spiel und seiner nuancierten Mimik voll überzeugen. Wie das kurze Innehalten, ein Aufflackern schlechten Gewissens, als er bei der Preisverleihung am Anfang des Films eine Hochzeitsgesellschaft beobachtet, und ihm einfällt, dass seine Tochter auch gerade heiratet. Was er aber mit der nächsten Lokalrunde gleich wieder zu vergessen versucht.
“Ich liebe sie”, sagt er später nicht über seine Familie, sondern über seine Taglilien. “Sie blühen nur einen Tag, und dann ist es zu Ende. Sie sind alle Zeit und alles Geld wert.” Seine Ex-Frau antwortet: “Genau wie die Familie.” Wenn sich später langsam das Begreifen seines Versagens in Eastwoods Gesicht widerspiegelt, ist das einfach großartiges Spiel.
Dies lässt den übrigen ebenfalls herausragenden Darstellern etwas wenig Raum. Aber was soll’s: Dies ist Eastwoods Show, vielleicht seine letzte als Darsteller. Man mag dem Film vorwerfen, die Drogenproblematik zu verharmlosen, zumal er die Gangster des Kartells als nette Kerle von nebenan zeichnet. Aber darum geht es in dem Film nicht. Es geht um Familie. “Alles andere ist Scheiße”, sagt Earl Stone.
Mein Fazit zu The Mule
Mit The Mule hat sich Clint Eastwood in einer mehr als würdigen Altersrolle zurückgemeldet und kann dabei in ganzer Linie überzeugen. Der Film ist spannend und witzig, kippt vielleicht gegen Ende ein wenig in Richtung Kitsch, worin sich ein schlechterer Regisseur aber bedeutend stärker gesuhlt hätte. Eastwood erzählt auch in der Tragik eher trocken, so dass die Taschentücher dies ebenfalls bleiben. Kleinere Mängel tun der Freude an diesem Alterswerk eines großartigen Regisseurs und Darstellers dementsprechend keinen Abbruch. Nur die Veröffentlichung von Warner hätte etwas mehr Bonusmaterial vertragen können.
The Mule ist seit dem 20. Juni für das Heimkino erhältlich!
Unsere Wertung:
© Warner Home Video