Nach dem knüppelharten Rape-and-Revenge-Film Revenge versucht sich die französische Autorenfilmerin Coralie Fargeat in Übersee. Kann auch der Ansatz des Body-Horrors im Hoheitsgebiet Hollywood überzeugen?
Titel | The Substance |
Jahr | 2024 |
Land | France |
Regie | Coralie Fargeat |
Genres | Horror, Science Fiction |
Darsteller | Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid, Edward Hamilton-Clark, Gore Abrams, Oscar Lesage, Christian Erickson, Robin Greer, Tom Morton, Hugo Diego Garcia, Daniel Knight, Jonathon Carley, Jiselle Henderkott, Akil Wingate, Vincent Colombe, Billy Bentley, Lennard Ridsdale, Jordan Ford Silver, Oscar Salem, Viviane Bossina, Matthew Luret, Jana Bittnerová, Olivier Raynal, Tiffany Hofstetter, Nicolas Royer, Nathan Rippy, Manon Arizmendi, Virginie Kotlinski, Brett Gillen, Charlotte Marquardt, Léa Hengl, Gaëlle Raymond, Claire Lemaire, Lila Boughoufala, Aurélien Lorgnier, Ivan Sellier, Philip Schurer, Christian Bourmier, Martin Graham, Christian Bordeleau, Patrick Hamel, Didier Dhondt, Jacques-Yves Dorges, Jean-Claude Matthey, Olivier Jarcin, Jean-Luc Magneron, Charlotte Murray, Aaron Kahn, Gabriela Arnon, Nancy Josephson Lahoussine, Andrew Eldridge, Denise Powers, Bryan Jones, Adam Carage, Maria McClurg, Andrew Desmond, Rebecca Lafont, Laura Puech, Ryan Chidester, Céline Vogt, Yannick Guérin, Jean Miel, Paul Descoings, Benoit Lévêque, Arthur Molinet, Manon Sachot, Bastien Jorelle, Kelly Hoarau, Michel Juskiewicz, Louise Greggory, Christophe Sartirano, Florent Torres, Romain Caldeira, Barthelemy Thomas, Axel Baille, Ashley Lambert, Ranjani Brow, Chase Fein, Shane Sweet, William Calvert, Michael Corbett, Stephen Apostolina, Yann Bean, Audjyan Alcide, Jonathan Jenvrin, Mimi Maury, Amelye Solange, Kévin Table, Laura Boera, Cissy Duc, Sophie Mercier, Marie Valton, Katrina Budzynski, Alicia Maury, Megane Adamik, Annalisa Pagnotta, Maelle Dantigny, Aleksandra Fontaine Kedzierska, Pauline Sagetat, Agustina Fitzsimons, Elena Shcheglova, Eve Marchant, Lola Donati, Kate Matthews, Ophélie Jonard, Pauline Richard, Laureen Cappelliez, Daria Panchenko, Delphine Beaulieu, Victoria Brun, Cara Chapman, Katharine Matthews, Alexandra Faget, Clémence Juville, Margot L'Entete, Hillary Sukhonos, Matthew Géczy, Namory Bakayoko, Gregory Defleur, Coralie Fargeat |
Länge | 141 Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: MUBI, MUBI Amazon Channel Kaufen: Apple TV, Amazon Video, maxdome Store Leihen: Apple TV, Amazon Video, maxdome Store, Freenet meinVOD |
Die Inhaltsangabe von The Substance
Elisabeth Sparkle (Demi Moore) war einst ein Superstar in Hollywood, doch gerät beruflich durch den Produzenten Harvey (Dennis Quaid), der als Verantwortlicher für ihre Aerobic-Sendung gilt, auf das Abstellgleis. Das Format soll durch ein neues Gesicht neuen Glanz bekommen. Mit der Hilfe einer dubiosen Substanz, die sich die alternde Schauspielerin daraufhin injiziert, wird ein zweites Ich geboren: ,,Sue‘‘ (Margaret Qualley) ist die junge, schöne Version von Elisabeth und beginnt parallel eine neue Karriere beim alten Auftraggeber. Allerdings müssen sich beide Versionen in einem strikten Rhythmus abwechseln, weil sonst die perfekte Balance verloren geht. Doch schon bald sabotieren sich die Frauen gegenseitig.
(Alb-)Traumfabrik
Hollywood als Ort der unbegrenzten Möglichkeiten. Dass die Traumfabrik auch ein Ort für schlechten Schlaf sein kann, wusste schon Norma Desmond aus Boulevard der Dämmerung. ‚,I am big. It’s the pictures that got small‘‘ gilt als berühmtes Zitat und ziert als Hilfeschrei über die einstige Schauspielikone. Ihr Alter hat die Karriere überholt, der Tonfilm wird der Traditionalistin zum Verhängnis. Bist du im kapitalistischen Mediensystem nicht mehr angesagt, wirst du ausgetauscht. So trifft es insbesondere die Frauen. Der personenbezogene Ruhm erlischt schneller als der beschmutzte Stern auf dem Walk of Fame leuchten konnte. Die Maschinerie läuft auch ohne dich weiter, ob das grenzenlose Ego diese Veränderung zulässt oder nicht.
Bereits das kreative Intro symbolisiert, dass Elisabeth Sparkle einst der gefeierte Star in Los Angeles war. In The Substance wird der alternde Star eines Aerobic-Formates von dem schleimigen Produzenten entlassen. Der Zuschauerschaft dürste es nach jungem, knackigem Fleisch. Die Medien sollen die Vollkommenheit suggerieren: Den straffen Körper kann man durch Disziplin und operativen Eingriffen erzwingen, das Alter lässt sich nicht aufhalten. Bis jetzt. Die ominöse Substanz ermöglicht Elisabeth Sparkle das Zurücksetzen ihrer Karriere durch ein neues, junges Ich. Leider gelten Ruhm und Aufmerksamkeit als die härteste Droge in Hollywood. Neben Kokain.
Blickpunkt Body-Horror
Die Verhandlung mit Schönheitsidealen und der Selbstvermarktung in der Filmbranche sind im Kinogeschichte keine Seltenheit, doch Fargeat glänzt bei ihrem zweiten Spielfilm nach dem Exploitationfilm Revenge mit Drastik und verpackt ihre Abrechnung in einen zynischen Body-Horror-Vertreter.
Dieses Subgenre wird oft in Verbindung mit Altmeister David Cronenberg gebracht, doch beim australischen Filmemacher war durchweg die Psychoanalyse internalisiert. Fargeat bedient einen modernen, feministischen Ansatz und erinnert eher an die Werke ihrer Landsfrau Julia Ducournau oder die norwegischen Medienschelte Sick of Myself.
Bei einer feministischen Auseinandersetzung mit der Filmbranche kann der ,,male gaze“ nicht unbeachtet bleiben. Eindeutig verhandelt wird das Phänomen in The Substance nicht, zeigt der Film nicht selten selbst den fragmentierten, entblößten Körper von Moores und Qualleys geteilten Charakter.
„Was bedeutet Schönheit und wo beginnt der scheinbare Ekel?“
Auf narrativer Ebene wird das eigentlich widersprüchliche Bedienen mit überstilisierten Aufnahmen durch medientypische Visualisierungsmerkmale kontrakariert. Beim Produktionsdreh wechselt das Bild zwischen Choreografie und Kameralinse hin und her. Die Perspektive des Blicks soll umgekehrt werden. Die Kamera verweist auf das Publikum. Doch die Provokationen entstehen insbesondere durch das grafische Körperkino. Der Film nimmt sich mit 140 Minuten jene Zeit, um die Transformation der Protagonistin im Detail vorzuführen. Das Organische tritt in den Dialog mit der anhaltenden Gier nach Fame, Jugend und Makellosigkeit. Was bedeutet Schönheit und wo beginnt der scheinbare Ekel?
Das Luxus-Appartement mit Blick auf die Werbetafel. Ein neues Sternchen posiert neben dem Schriftzug der Leinwand. Ein riesiges Porträt hängt an der Wohnzimmerwand. Die Blicke in den Spiegel häufen sich, bleiben an einzelnen Hautpartien hängen. Selbstwert entsteht durch die Bestätigung der Zuschauerschaft. Weiße Männer in maßgeschneiderten Anzügen und mit großen Fressen entscheiden, wen es anzuhimmeln gilt. Im Lichtspielhaus galt das männliche Alter stets als Zeichen für Weisheit und Standfestigkeit. John Wayne und James Stewart sind kernig Typen. An Ihrer Seite ein hübscher Co-Star, der den Schönheitsidealen entspricht.
Neugeboren für die Rolle
Der Name ‚,Elisabeth Sparkle“ lässt schon erkennen, dass ihre Persönlichkeit nur noch eine Marke darstellt. Eine Werbetafel mit Selbstzweifeln. Man könnte meinen, dass der Regisseurin die von Moore gemimte Figur nicht am Herzen liegt. Gönnt sie ihr nur einen hoffnungsvollen Moment, als sie sich für ein Date zurechtmacht. Als gäbe sie ihr eine Chance, jenes Unheil zu vermeiden. Doch Sue haucht ihr schon in den Nacken. Ich bin wieder dran.
Das Casting von Demi Moore kann auch als metatextuelles Gleichnis gesehen werden und erinnert an das erfolgreiche Comeback von Michael Keaton in Birdman. Letzter war in der Branche als Superheld bekannt geworden und mimt in Iñárritus Oscar-Gewinner einen abgehalterten Bühnenschauspieler. In The Substance ähnelt das Schicksal der Protagonistin an Moores wechselhafte Karriere. In den 1990er-Jahren noch als bestbezahlteste Schauspielerin im Olymp unterwegs, blieben die großen Jobangebote ab ihrem 40. Lebensjahr aus.
Spekulativ, ob sie aus persönlichen Gründen diese fordernde Rolle angenommen hat. Denn als einstiger Action-Star und Blockbuster-Garant agiert Moore in diesem Genre-Film auf durchaus unbekanntem Terrain. Mühelos changiert sie zwischen der routinierten TV-Persönlichkeit und der echten Verzweiflung einer Frau, die für ihren Status einiges geopfert haben muss. Für die obskur-anarchische Offenbarung der physischen Präsenz brechen schließlich alle Dämme.
Körperliche Offenbarung
Der mit dem besten Drehbuch in Cannes ausgezeichnete Beitrag findet die Symbiose aus erzählerischer Finesse und der radikalen Treue an das Genre. Damit ist nicht gemeint, dass der Body-Horror strikte Regeln implementiert, sondern die grafische Körperlichkeit nicht als Mittel zum Zweck verkommt.
Dennoch geht die französische Filmemacherin alles andere als zimperlich an die aufkeimenden Auswüchse heran und orientiert sich auch am europäischen Terrorkino der 00er-Jahre. Den Rezipierenden wird es überlassen, wie mit dem Ekel im Kontext des Schauens umgegangen wird. Die zynische Abhandlung findet ihren Bruch durch ironische Perversionen. Gleichzeitig wird dem grotesken Kino à la David Lynch und Horrorklassikern wie Carrie gehuldigt. The Susbtance vermag es sich mit eigenen Ideen weitgehend zu lösen, die Nähe zum Etablierten ist allgegenwärtig. Doch so ist Hollywood nun mal: Eine Sippschaft – bis jemand mal aus der Reihe tanzt.
Vorhang auf, Horror-Show
The Substance prangert nicht an, sondern kotzt auf den roten Teppich. Er ist sich seiner Teilhabe am verkommenen System bewusst, doch lässt die hässliche Fratze der Unterhaltungsbranche von Innen nach Außen stülpen. Dafür eignet sich jener Body-Horror ideal. Das ,,cinema du corps“ vereint Grenzdiskurse über den eigenen und den fremden Körper. Unter Einbauen des futuristischen Optimierungsapparates bedient sich der Film dieser Anschauung. Das Körperkino baut eine narrative Brücke zur Selbst- und Fremdbestimmung. Die Zügel liegen in der Hand, doch das Gelenk hängt an Marionettenseilen.
Entsprechend wird die von der Gesellschaft geforderte Metamorphose zur existentiellen Grenzerfahrung und kann als feministisches Programm stehen: Die Identitätskrise führt zu einer organischen Überfrachtung. Klatscht dir auf der Bühne niemand mehr zu und blickt auf dich entgeistert herab, leuchtet dein Stern am hellsten.
Unser Fazit zu The Substance
Geradliniger Body-Horror, der hält, was er verspricht: Coralie Fargeats neuestes Werk nimmt die Mechanismen des Genres an und lässt die tragische Farce der Unterhaltungsbranche in eine grotesk-vulgäre Transformations-Tortur münden. Der simplen Abrechnung mit den bekannten Abgründen Hollywoods kann die ironisierte Drastik entgegenwirken, bei der Demi Moore und Margaret Qualley zahlreiche Facetten (versteht ihr?) zur Schau stellen können.
The Substance läuft ab dem 19. September in den deutschen Kinos – und zuvor beim diesjährigen Fantasy Filmfest.
Unsere Wertung:
© Mubi