Nach all den reißerischen Eigenproduktionen von Netflix geht es in diesem neuen kammerspielartigen Thriller um einiges ruhiger zu. Tut diese Entschleunigung in Windfall der Qualität des Exclusives nun gut oder hat der Streamingdienst die Langsamkeit verlernt?
Titel | Windfall |
Jahr | 2022 |
Land | United States of America |
Regie | Charlie McDowell |
Genres | Thriller, Krimi, Drama |
Darsteller | Jason Segel, Lily Collins, Jesse Plemons, Omar Leyva |
Länge | 93 Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Netflix, Netflix basic with Ads |
Windfall – Die Handlung
Ein Einbrecher (Jason Segel) ist schon auf dem Sprung nach getaner Arbeit das entlegene Ferienhaus eines reichen Pärchens mit vollen Taschen zu verlassen, als er von den ankommenden Eigentümern überrascht wird. Schnell merken die Eheleute (Lily Collins und Jesse Plemons), dass auch der Verbrecher mit der Situation nicht gerechnet hat. Es folgen lange Stunden des Wartens, Verhandelns und Kennenlernens. Doch je mehr auch die Hausbesitzer in der Ausnahmesituation über sich selbst und sich gegenseitig lernen, desto mehr verändern sich die Fronten: Wer hat hier wirklich noch die Kontrolle über das Geschehen?
Kammerspiel zwischen Coen-Brüdern und Hitchcock
Netflix hat mit dieser Produktion erneut Mut bewiesen, denn Windfall ist definitiv für den gemeinen Netflix-Abonnenten wie ein Kulturschock. Extrem langsam erzählt, minimalistisch inszeniert und lediglich auf drei (bzw. vier) Figuren konzentriert, die sich in einer wirklich schönen Location in einer Ausnahmesituation wiederfinden und immer wieder ein Verhalten an den Tag legen, das weiter von der normalen Reaktion in dieser Lage nicht entfernt sein könnte. Der permanent gelangweilt wirkende Ehemann, der hier Opfer eines Verbrechens wird, reagiert nicht panisch oder verängstigt. Nein, diese Person versucht den Einbrecher zu belehren oder gar ihm seinen Job zu erklären. Und der Einbrecher, der eigentlich am längeren Hebel sitzt, wirkt erst überfordert und später weiß man gar nicht mehr, ob er nicht selbst schleichend in die Opferrolle gekommen ist.
Vieles wirkt hier komplett plausibel. Das liegt an der absolut nüchternen Abbildung des Geschehens. Doch wenn man als Zuschauer:in sich für einen Moment fragt, ob das Verhalten hier wirklich logisch ist, so merkt man irgendwann, wie surreal dieser Handlungsverlauf eigentlich ist. Das erinnert dann wirklich in aller bester Art und Weise an die frühen Werke der Coen-Brüder. Doch auch Assoziationen an Haneke-Filme werden hier mehrfach geweckt, denn der gesellschaftskritische Aspekt, der sich hier immer mehr Bahn bricht, hallt am Ende weit über den Film hinaus. Und nicht zuletzt ist auch die geistige Patenschaft Hitchcocks nicht unter den Teppich zu kehren, denn irgendwie schwelt trotz aller Absurdität die Spannung hier von Sekunde eins an immer mehr an.
Drei-Personen-Stück von höchster Qualität
Dass man hier alles so ernst nehmen kann und trotz des mangelnden Tempos die knapp 90 Minuten gebannt die Blicke nicht abwenden kann, liegt an der herausragenden Güte des Dreigespanns vor der Kamera. Jesse Plemons beweist einmal mehr, weshalb er nach Breaking Bad eine große Rolle nach der anderen an Land zieht. In Windfall schafft er es mit dem ersten Erscheinen sofort deutlich zu machen, dass er ein zutiefst verachtungswürdiger Charakter ist. Er spielt einen Stellvertreter einer ganzen Generation junger Selfmade-Millionäre, die nach außen hin Modernität und Nachhaltigkeit verkörpern wollen, aber tief im Inneren durch ihren Aufstieg jegliches Interesse verloren haben, sich mit der Realität der „normalen“ Gesellschaft auseinander zu setzen. Wenn ein Problem auftaucht, dann regelt man es mit Geld – oder warum sollte man sich sonst diesen Reichtum aufgebaut haben?
Im Gegenüber steht dann mit dem namenlosen Einbrecher, den Jason Segel verkörpert, so etwas wie die fleischgewordene Systemkritik. Woraus zieht er eigentlich seine Motivation? Das bleibt im Unklaren. Unzufriedenheit um der Unzufriedenheit Willen, Neid am Reichtum, aber nicht am emotionslosen Leben der High-Society. Segel, der schon in How I Met Your Mother immer etwas chronisch unbeholfenes ausstrahlte, schafft es auch hier wieder die Planlosigkeit seiner Figur perfekt nach außen zu kehren. Und wenn er dann auch noch zwischen die Fronten eines brodelnden Ehestreits gerät, dann tut einem dieser Verbrecher wahrlich sogar leid.
Und die dritte im Bunde ist dann Lily Collins, die sich mehr gegen die Vorurteile gegenüber ihrem Status als Angeheiratete eines Superreichen wehrt, als sie sich um ihre Besitztümer oder ihr Leben schert. Daraus entsteht eine faszinierende Ambivalenz, die durch das unaufgeregte und doch immer wieder sensible Spiel von Collins stark unterstrichen wird. Sie macht durch diese Situation eine beeindruckende Wandlung durch, der das Publikum nachvollziehbar beiwohnen darf.
Zwei Drittel dialoglastig, ein Drittel Kulmination
Länger als eine Stunde wabert der Thriller so vor sich hin und ergötzt sich in den messerscharfen Dialogen, bei denen insbesondere Plemons verbale Giftpfeile in alle Richtungen abfeuert und so das Schicksal immer mehr herausfordert. Dann kommt es jedoch zu einem ebenfalls Coen-liken WTF-Moment, der nahezu aus dem Nichts kommt. Von der einen auf die andere Sekunde ändert Windfall seine Stimmung und wird zu einem astreinen Suspense-Thriller. Dieser steuert dann auf ein wirklich überraschendes Ende hin, das zwar absolut logisch vorbereitet wurde und das Publikum doch eiskalt erwischt. Im Detail wird darauf natürlich nicht eingegangen an dieser Stelle, doch mit Sicherheit werden diejenigen, die sich dieses Kleinod bei Netflix ansehen auch im Anschluss noch darüber grübeln. Und das ist definitiv etwas, was man von den wenigsten Filmproduktionen des Streaminggiganten behaupten kann!
Unser Fazit zu Windfall
Windfall ist ein anachronistischer kleiner Kammerspiel-Thriller, der in eine ähnliche Kerbe schlägt, wie im vergangenen Jahr Beckett. Auch in diesem Fall fühlt man sich an Hitchcocks Werke erinnert und wer ein Faible für Fargo und Co. von den Coen-Brüdern hat, der wird diesen Film für seine Absurditäten und Überraschungen feiern. Des Weiteren ist die Regiearbeit von Charlie McDowell mit knapp 90 Minuten recht knackig und hört am perfekten Punkt auf. Das stärkste Argument findet man jedoch eindeutig im eindrucksvollen Schauspiel des Trios Collins, Plemons, Segel, die nur wenige Silben brauchen, um ihren Figuren die Komplexität zu verleihen, die es braucht, um in einen so geradlinigen Film diese Menge an Subtext zu verpacken, über den man viel nachdenken wird.
Windfall ist ab dem 18. März bei Netflix abrufbar!
Unsere Wertung:
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