In der twistreichen Agatha Christie Adaption Zeugin der Anklage führt Regisseur Billy Wilder den Zuschauer gerne in die Irre. Und wir lassen uns bereitwillig auf das Spiel ein…
Titel | Zeugin der Anklage |
Jahr | 1982 |
Land | United Kingdom |
Regie | Alan Gibson |
Genres | Krimi |
Darsteller | Diana Rigg, Ralph Richardson, Deborah Kerr, Beau Bridges, Donald Pleasence, Wendy Hiller, David Langton, Richard Vernon, Peter Sallis, Michael Gough, Frank Mills |
Länge | 97 Minuten |
Wer streamt? | Derzeit leider auf keinem Streamingdienst verfügbar. |
Die Handlung von Zeugin der Anklage
Als die wohlhabende Witwe Emily French (Norma Varden) ermordert wird, scheinen die Indizien ein klares Bild zu zeichnen. Der naive Leonard Vole (Tyrone Power), augenscheinlich aufgrund seiner Nettigkeiten eher in ein freundschaftliches Verhältnis mit der deutlich älteren French gestolpert, wird als Liebhaber der einsamen Dame angesehen. Vole beteuert vehement seine Unschuld, von der auch der angesehene Anwalt Sir Wilfrid (Charles Laughton) überzeugt ist. Doch Ehefrau Christine (Marlene Dietrich) wirkt nicht, als hätte sie vor, ihrem Ehemann zur Seite zu stehen – außerdem hätten Zeugenaussagen von Ehepartnern eh ein geringes Gewicht auf der Waage der Justitia –, weswegen auf eine Verhörung von Seiten der Verteidigung verzichtet wird. Zum Erstaunen aller erscheint sie doch im Gericht – als Zeugin der Anklage.
Spaß von Anfang an
Die Handlung basiert auf Agatha Christies Kurzgeschichte Traitor’s Hand, die Anfang der 1950er Jahre auch als Theaterstück umgesetzt wurde. Die Story wurde hierfür noch einmal um weitere Twists ergänzt und begeisterte Regisseur Billy Wilder so sehr, dass er den Stoff in ein eigenes, filmisches Werk übersetzen wollte. Dafür änderte er einige Passagen ab, führte Rückblenden ein, damit einhergehend neue Schauplätze und schuf mit der Krankenschwester Miss Plimsoll (gespielt von Charles Laughtons Ehefrau Elsa Lanchester) eine eigene Figur, die als Comic Relief gerade in der ersten Hälfte für den einen oder anderen Lacher sorgt.
Die sorgsame Pflegerin geht streng ins Gericht mit dem nach einem Herzinfarkt notorisch mürrischen wie zynischen Sir Wilfrid: Kein Alkohol, kein Tabak, viel Ruhe und bloß keine Arbeit. Naturgemäß ignoriert der gerissene Anwalt alle Anweisungen und versucht, fast wie ein schelmisches Kind, überall und wann es nur irgendwie geht, heimlich die verbotenen Genussmittel zu sich zu nehmen. Gemeinsam mit den für Wilders Komödien typischen pfeilschnell vorgetragenen und scharfsinnigen Dialogen sorgen diese Witzeleien für stetige Unterhaltung. Das wertet die im Grunde ernste Kriminalgeschichte gerade in der Vorbereitung des Falls auf, eine leichtfüßige Komödie wie Manche mögen’s heiß (1959), Das Appartement (1960) oder Eins, Zwei, Drei (1961) sollte man deswegen jedoch nicht erwarten.
Spannung bis zum Schluss
“It’s climaxed by the 10 breath-stopping minutes you ever lived! Don’t reveal the ending – please!”
Das Zitat stammt von einem originalen Poster aus dem Erscheinungsjahr des Filmes. Und tatsächlich: Das Ende sollte vor Sichtung niemanden verraten werden. Billy Wilder schafft es – aufbauend natürlich auf Agatha Christie –, den Zuschauer mehrfach in die Irre zu führen und Szenen verschieden interpretierbar zu lassen. Auffallend ist das bei der Rückblende nach Hamburg, wo sich Leonard und Christine kennengelernt haben. Den Eindruck, den man von den Charakteren hier gewinnt, wird nach erster und zweiter Sichtung fundamental anders sein, ein Meisterstück der Täuschung von Wilder. Der aus Österreich-Ungarn stammende Produzent, Autor und Regisseur wurde nicht umsonst in seinen Funktionen insgesamt 21 Mal für den Oscar nominiert, sechs Auszeichnungen bekam er. Seine Vita weist dabei neben den bereits genannten Filmen unter anderem die absolut zeitlosen Klassiker Boulevard der Dämmerung und Frau ohne Gewissen auf.
Wie bei diesen gelingt es dem Regisseur auch in Zeugin der Anklage, die Spannung konstant aufrecht zu erhalten. Zwar wirken die zahlreichen Wendungen gegen Ende etwas arg konstruiert, Spaß macht dieses Hin und Her aber dennoch jederzeit. Das liegt nicht zuletzt an der Schauspielerriege, die Wilder für das Gerichtsdrama verpflichten konnte. Charles Laughton als grimmiger, immer wieder ins Heitere abdriftender Anwalt (etwa wenn er Schnaps anstatt Kakao in die Thermoskanne getrickst hat), Marlene Dietrich als mysteriöse Femme fatale und Tyrone Power als naiv-liebenswürdiger Angeklagter geben ein packendes Dreiergespann. Doch auch bis in die letzten Nebenrollen – besonders nennenswert: John Williams (nicht der Komponist), Elsa Lanchester und Una O’Connor – ist Zeugin der Anklage außerordentlich gut besetzt.
Unser Fazit zu Zeugin der Anklage
Mit Zeugin der Anklage ist Billy Wilder ein besonders raffiniertes Gerichtsdrama geglückt. Die twistreiche Geschichte ist spannend bis zum Schluss, aufgelockert durch perfekt getimten Humor und die Schauspieler haben durch die (Gerichts-)Bank merklich Spaß, was sich letztlich auch auf den Zuschauer überträgt. Der lässt sich dementsprechend liebend gerne in die Irre führen.
Zeugin der Anklage erschien am 17. Juni 2022 im Mediabook auf Blu-ray und DVD bei Capelight Pictures.
Unsere Wertung:
© Capelight Pictures