Mit First Love legt Kult-Regisseur Takashi Miike wieder einmal einen Film vor, der vor grotesker Gewalt und schrägem Humor nur so strotzt. Ob das auch für den normalen Filmfan erbaulich ist, oder nur für Fans geeignet, erfahrt ihr in unserer Review![su_youtube url=“https://www.youtube.com/watch?v=EjvrskpPgUA“]
No data available.Worum geht’s in First Love?
Das junge Boxtalent Leo (Masataka Kubota) ist nicht nur bei seinem Kampf-Debüt erstaunlich schnell auf die Bretter gegangen, im Nachgang hat ihn sein Arzt außerdem mitgeteilt, dass er an einem schweren Hirntumor leidet. Dieser muss durch eine schwierige Operation entfernt werden, oder er werde schon bald daran sterben. An eine Boxkarriere wäre selbst im günstigsten Fall nicht mehr zu denken. Als er niedergeschlagen durch das nächtliche Tokio schlendert, kommt ihm die Prostituierte Monica (Sakurako Konishi) entgegen, die von einem Mann verfolgt wird. Sie bittet Leo um Hilfe, der ihren Verfolger sogleich niederstreckt. Der Mann stellt sich als Polizist Otomo (Nao Ohmori) heraus, doch die Angst vor der Polizei soll diese Nacht noch ihre kleinste Sorge sein.
Otomo steckt mit dem Yakuza Kase (Shôta Sometani) unter einer Decke. Der hat einen Dealer seiner eigenen Gang überfallen und wollte es der jungen Prostituierten und den konkurrierenden Triaden anhängen. Aber nicht nur die beiden sind nun hinter Leo und Monica her, denn Kase hat bei dem Überfall den Dealer umgebracht. Die Yakuza will ihre Drogen wiederhaben und schickt den berüchtigten, einarmigen Killer Wang (Yen Cheng-Kuo) aus. Auch die Triaden haben durch ihren Maulwurf Ishikawa (Jun Murakami) davon erfahren, dass sie im Verdacht stehen, ihre japanischen Verbündeten bestohlen zu haben. Und dann ist da noch Julie (Becky), die vollkommen durchgeknallte Freundin des toten Dealers, die ihren Liebsten um jeden Preis rächen will. Leo und Monica steht eine lange, hitzige und blutige Nacht bevor…
Liebe auf der Flucht
First Love greift eine Thematik auf, die so neu nicht ist. Zwei einsame Seelen, eine auf der Flucht, begegegnen sich zufällig in der Nacht. Und mehr noch als eine Zwangsgemeinschaft ist es etwas wie eine schicksalhafte Fügung, die die beiden – wie gesucht und gefunden – hier zusammengeführt hat. Da schwirren einem Assoziationen im Kopf wie der bezaubernde Kopfüber in die Nacht oder auch True Romance (1993), mit dem sich First Love den Umstand teilt, dass sich eine große Menge Drogen im Spiel befindet, die von verschiedenen Seiten Begehrlichkeiten weckt.
Der junge Boxer Leo hat gerade erfahren, dass seine Karriere wie auch sein Leben höchstwahrscheinlich schon vorbei sind, bevor sie so richtig angefangen haben. Er wird nicht nur der Retter in der Not, sondern auch Schutzbegleiter in der Nacht. Er ist der erste, der in Monica mehr sieht als nur ein Objekt. Sie war zuvor nur ein Ware, musste die Schulden ihres toten Vaters bei der Yakuza abarbeiten. Zudem leidet die drogensüchtige junge Frau unter einer Psychose und fühlt sich von einem nackten Mann verfolgt, sobald sie nüchtern wird.
Wie in jedem der artverwandten Filme wächst das Pärchen vor allem durch die immer größer werdende Dichte der durchgeknallten Verfolger zusammen. Und davon hat First Love gleich eine ganze Menge zu bieten. Zuerst sind da nur der korrupte Cop Otomo und sein Geschäftspartner Kase, ein juvenil wirkender Gangster mit Minderwertigkeitskomplexen. Dazu gesellen sich dann noch der einarmige Wang, dessen bevorzugte Waffe eine Pumpgun ist, und die knallharte Julie, gegen die kein Kraut gewachsen ist. Zu guter letzt gibt es dann noch die Triaden, angeführt von der resoluten Chiachi, die Leo als einzige richtig einzuschätzen weiß, da er sie schon als Gehilfe in einer Imbissbude kennengelernt hat.
First Love ist Mainstream à la Takashi Miike
Auch wenn der Japaner Takashi Miike seinen Ruf als Enfant terrible schon lange abgestreift hat, verbindet man mit seinem Namen gerade international immer noch verrückte Wendungen, absonderliche Situationen, durchgedrehte Charaktere und bisweilen auch unappetitliche bis unangenehme Darstellungen extremer Gewalt. All dies findet sich auch in First Love wieder, allerdings ohne ein für das Massenpublikum erträgliches Maß jemals zu überschreiten. Die beiden Protagonisten stolpern von einer gewalttätigen Auseinandersetzung in die nächste. Die Schießereien zeichnen sich dabei durch einen gewissen Hang zum Slapstick aus, der im großangelegten, 20-minütigen Finale voll ausgespielt wird. Hier wird der Regisseur seinem Ruf auch kurzzeitig gerecht und verlässt zumindest einmal die Pfade der herkömmlichen Narration. Allerdings beschleicht einen das Gefühl, dass er hier nur versuchte, eine schwache Passage im Drehbuch zu kaschieren. Das größte Aha-Erlebnis hebt sich der Film für den Schluss auf, wenn man endlich erfährt, was es mit Monicas Halluzination auf sich hat.
Für Takashi Miike typische Thematiken finden sich meist nur am Rande wieder. Etwa deutet der Name der Hauptfigur Leo darauf hin, dass er möglicherweise in zweiter Generation von einem amerikanischen GI abstammen könnte. Ausländer als Außenseiter in Japan sind nämlich so ein Steckenpferd Miikes. Auch die Darstellung der Triaden-Anführerin Chiachi, die Verständnis für Leo und die Lage der beiden Flüchtenden erübrigt, passt dazu. Eine weitere, selbsterklärte Maxime des japanischen Filmemachers ist es, unwichtige Personen dadurch aufzuwerten, dass er ihnen etwas Bemerkenswertes andichtet oder sie unerwartet agieren lässt. Kurioserweise läuft ihm hier das Drehbuch zuwider, denn es räumt eigentlich jedem Charakter angemessen Platz ein. Dass Julie, Wang oder Kase sich durch ihre schrulligen Eigenheiten ein wenig abheben, sorgt letztlich nur dafür, dass unsere beiden Helden blasser aussehen, als sie eigentlich gezeichnet sind.
Ein wenig Hintergrund
Takashi Miike ist seit den frühen 2000ern auch im Westen kein Unbekannter mehr. Seine Film Dead or Alive und Audition aus dem Jahre 1999 waren Festival-Renner rund um den Globus, wurden in Deutschland 2001 im Kino und auf Video veröffentlicht und beide sogar schon im TV gezeigt. Miike drehte damals um die fünf bis sechs Filme pro Jahr, bekannt wurden vor allem kontroverse Titel wie der Yakuza-Film Fudoh: The New Generation (1996) und die berüchtigte, in ihrer ungeschnittenen Form hierzulande beschlagnahmte Manga-Verfilmung Ichi the Killer (2000). Diese erlauben jedoch nur einen beschränkten Einblick auf das Schaffen eines Mannes, der bis jetzt an mehr als 100 Produktionen, u.a. auch TV-Serien und ein Theaterstück, beteiligt war. Es finden sich genauso Komödien, historische Dramen oder Liebesfilme darunter. In den letzten Jahren konzentrierte sich Miike auf größere, eher kommerzielle Projekte, was auch einen merklichen Einfluss auf die Höhe seines Outputs hat.
Das Skript zu First Love schrieb Masa Nakamura, der schon öfters mit Miike arbeitete. Die Musik stammt von seinem Hauskomponisten Kôji Endô und vereint einen klassischen Score mit wilden Rock-Songs. Auch Kameramann Nobuyasu Kita gehört seit einigen Jahren zu den ständigen Wegbegleitern des Filmemachers, hält auch hier die Jagd durch die Nacht in schnellen Kamerafahrten und auf kontrastreichen Bildern fest. Der Cast setzt sich dagegen fast durchgängig aus Miike-Neulingen zusammen, die sich ihre Meriten zuvor meist im japanischen TV verdienten. Nao Ohmori, hier als Polizist Otomo zu sehen, spielte einst die Titelrolle im bereits erwähnten Ichi the Killer. Und Shôta Sometani hatte eine Hauptrolle als Schüler Keisuke im schwarzhumorigen Amok-Thriller Lesson of the Evil (2012). Den bestechendsten Eindruck im Cast hinterlässt die japanisch-britische Entertainerin Becky als die gnadenlose Julie, sie entpuppt sich als wahres Energiebündel.
Unser Fazit zu First Love
Mit seinem inzwischen 96ten Spielfilm hält Takashi Miike weiter Kurs in den eher seichten Gewässern des Mainstream-Kinos. Er hat dabei seinen Trademarks noch nicht vollends Lebewohl gesagt, zügelt sich aber merklich dabei, ihnen allzu impulsiv nachzugeben. First Love erweist sich als spaßige, gelegentlich auch recht blutige Angelegenheit, die über fast zwei Stunden wirklich blendend unterhalten kann. Man muss auch nicht unbedingt Fan des Japaners sein, um hiermit eine gute Zeit zu haben. Manch einer wird vielleicht mit Wehmut auf die alte, die wilde Zeit des Takashi Miike zurückblicken. Doch auch Filme wie dieser, oder unkonventionelle und kontroverse Werke wie zuletzt Lesson of the Evil oder Yakuza Apocalypse: The Great War of the Underworld (2015) beweisen, dass der Kult-Regisseur noch lange nicht zum alten Eisen gehört und trotz seiner Mainstream-Filme nicht so angepasst ist, wie manch einer befürchtet.
First Love ist seit dem 5. Mai 2020 auf DVD & Blu-ray durch EuroVideo erhältlich!
Unsere Wertung:
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