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Auf dem Bild erkennt man Henry Sugar im Casino, wie er seine Fähigkeiten nutzt, um seine Glücksspiele für sich zu entscheiden.

Ich sehe was, was du nicht siehst

Nach der gefeierten Premiere in Venedig wird Wes Andersons neuer Kurzfilm Ich sehe was, was du nicht siehst bald auf Netflix verfügbar sein. Der Film hat bereits für rege Diskussionen und Lob gesorgt. Liefert der Regisseur hier seine beste Arbeit seit Jahren ab?

Ich sehe was, was du nicht siehst | Offizieller Trailer | Netflix

TitelIch sehe was, was du nicht siehst (OT: The Wonderful Story of Henry Sugar)
Jahr2023
LandUSA, Großbritannien
RegieWes Anderson
DrehbuchWes Anderson
GenreKomödie, Abenteuer
DarstellerBenedict Cumberbatch, Ralph Fiennes, Ben Kingsley, Dev Patel, Richard Ayoade
Länge39 Minuten
Altersempfehlungtba
StreamingdienstNetflix
Auf dem Poster sieht man Henry Sugar, wie er meditiert und dabei den Anschein erweckt, in seinem Zimmer zu schweben.
Das offizielle Poster zu „Ich sehe was, was du nicht siehst“ © Netflix

Ich sehe was, was du nicht siehst  – Die Handlung

Henry Sugar (Benedict Cumberbatch) führt ein unbeschwertes Leben als wohlhabender Junggeselle. Er nutzt seinen Wohlstand, um seiner Spielsucht nachzugeben und ihr zu verfallen. Eines Tages trifft er jedoch auf Imdad Khan (Ben Kingsley), einen Mann, der behauptet, durch dünne Gegenstände wie Karten hindurchsehen zu können. Dieses Treffen leitet für Henry Sugar eine spirituelle Reise rund um die Welt ein, um diese Fähigkeit zu erlernen. Nach seiner Rückkehr wagt er sich erneut ins Glücksspiel – mit Erfolg. Doch trotz seines neugewonnenen Reichtums verspürt er eine innere Leere, die ihm zum Verhängnis wird.

Wes Andersons subtile Neuausrichtung

Nach der Erstsichtung bei den Filmfestspielen am Lido war der Rezensent verblüfft, dass einige Stimmen von einem klassischen Werk im Stil von Wes Anderson sprachen. Die Figuren sind schrullig, die Bilder oft symmetrisch, und die Erzählweise wirkt wie aus einem Märchenbuch – Attribute, die man bereits in vielen seiner früheren Filme erkannte. Wes Anderson besitzt zweifellos eine einzigartige Handschrift, die nur wenige Regisseure unserer Zeit aufweisen können. In den letzten Jahren haben jedoch nicht nur Cinephile und Kritiker sein Profil in Spielfilmen erkannt, sondern auch die breite Masse. Während der Veröffentlichung seines diesjährigen Kinofilms Asteroid City wurde durch Plattformen wie TikTok das Bewusstsein für seinen Stil geweckt und mehrfach nachgeahmt.

Dadurch verlor Asteroid City an Wirkung und Besonderheit, da auch der Anschein erweckt wurde, dass der Filmemacher zu selbstbewusst an seinem Stil festhielt und sich möglicherweise optisch und erzählerisch in eine Sackgasse manövrierte. Doch nun widerlegt er seine Kritiker mit Ich sehe was, was du nicht siehst und liefert sein innovativstes Werk seit Grand Budapest Hotel ab.

Aufmerksamen Zuschauern dürfte beim Betrachten des Films aufgefallen sein, dass er auf subtile Weise mit den Sehgewohnheiten des Publikums spielt und sich nicht auf seinem gewohnten Stil ausruht. Nicht alles ist immer symmetrisch, es gibt kleine, nuancierte Verschiebungen im Bild, die Platzierung der Kamera ist oft nicht zentral, und die Sets bewegen sich ständig. Anderson steuert sein Schiff routiniert und innovativ in sichere Gewässer. Dank seiner ausgeklügelten Ideen zur Komposition neuer Bilder verfliegen die 39 Minuten wie im Flug.

Auf dem Bild erkennt man Henry Sugar im Casino, wie er seine Fähigkeiten nutzt, um seine Glücksspiele für sich zu entscheiden.
Henry Sugar nutzt seine Fähigkeiten aus, um großes Geld zu gewinnen © Netflix

Cumberbatch als erfrischender Neuling in Andersons Welt

Wie in jedem anderen Werk von Anderson, ist das Casting über jeden Zweifel erhaben. Diesmal gibt es jedoch einen kleinen Unterschied: Der Cast ist kleiner besetzt. Während in French Dispatch und Asteroid City jede noch so kleine Nebenfigur hochkarätig vergeben ist, dürfen hier die großen Schauspieler aus einem begrenzten Pool an Charakteren schöpfen, und einige spielen sogar Doppelrollen. Die sehenswerteste Performance wird von Benedict Cumberbatch getragen, der sich hervorragend in die Anderson’sche Spielwiese einfügt und nahezu perfekt hineinpasst. Als Henry Sugar verhält er sich durchtrieben, schrill, auffällig und nutzt jede Falte seines Gesichts, um eine neue Facette seiner Hauptfigur darzustellen.

Aber auch alle Nebendarsteller sind in bestechender Form. Ralph Fiennes tritt nicht nur als Erzähler Roald Dahl auf, sondern besticht auch als namenloser Polizist in einem denkwürdigen Monolog. Ben Kingsley als Imdad Khan überzeugt vor allem mit seinem komödiantischen Timing, das man schon lange nicht mehr vom Altstar gesehen hat. Dev Patel zeigt ebenfalls, dass er zu den unterschätztesten Schauspielern seiner Generation gehört; in jeder Szene, in der er zu sehen ist, nimmt er das Spielfeld ein und dominiert. Insgesamt wirkt Andersons Schauspielführung viel souveräner und zielsicherer als in vergangenen Projekten. Weniger ist bekanntlich oft mehr.

Auf dem Bild erkennt man Henry Sugar in seiner privaten Bibliothek, wie er ein Buch liest und schockiert in die Kamera starrt.
Benedict Cumberbatch als Henry Sugar in „Ich sehe was, was du nicht siehst“ – Netflix ©

Zwei erzählerische Welten treffen aufeinander

Die Vorstellung einer Wes Anderson-Verfilmung einer Roald Dahl-Geschichte klingt auf dem Papier wie eine äußerst passende Idee. Schließlich sind sowohl der Filmemacher als auch der Autor stets versessen darauf, neue, skurrile Welten zu erschaffen, die als Metaphern für sozialkritische Themen dienen und oft als Hommage an vergangene Epochen und mysteriöse Welten eingesetzt werden. Anderson selbst befindet sich derzeit in einer filmischen Epoche, die in den letzten Jahren die Filmwelt zu erobern scheint: der Metamodernismus. Nicht nur wird der Filmschaffende selbstreferentieller, sondern das Werk selbst wird zu einem Zitat, wie man es bei Asteroid City sehen konnte. Die nächste Stufe dieses Schaffens ist die Einbeziehung verschiedener Erzählebenen.

Wes Anderson schafft nicht nur eine Adaption einer Kurzgeschichte, sondern zitiert den Autor zu Beginn seiner Erzählung. Dieser erzählt dann die Geschichte von Henry Sugar, der wiederum zusätzliche kleinere Geschichten, wie die von Imdad Khan, weitererzählt. Das narrative Netz wird immer weiter gesponnen, und die Story dadurch immer komplexer. Anderson handhabt dies jedoch sehr übersichtlich, sodass alle Stränge innerhalb der kurzen Laufzeit zufriedenstellend abgeschlossen werden. Es ist beeindruckend zu sehen, wie die Metaebenen in seinen Filmen immer wieder neu geschaffen werden, sei es durch kleine Details wie die Dia- und Monologe der einzelnen Charaktere. Dev Patel zum Beispiel zitiert Dahls Geschichte Wort für Wort, wodurch die vierte Wand inmitten dieses Netzes fast vollständig zu verschwinden scheint. Um dies weiter zu erforschen, sind mehrfache Sichtungen notwendig und empfehlenswert.

Unser Fazit zu Ich sehe was, was du nicht siehst 

Ich sehe was, was du nicht siehst überzeugt in 39 Minuten mit einer dichten Story, herausragenden Darstellern und einer verspielten sowie innovativen Regie. Wes Anderson entfacht neues Feuer in seinem Schaffen, bringt seine Kritiker zum Schweigen und weckt hohe Erwartungen für die bereits angekündigten weiteren Kurzfilm-Adaptionen für Netflix. Man darf gespannt sein, was der quirlige Regisseur als nächstes aus dem Hut zaubert. Venedig und seine Fanbase wurden bereits verzaubert – zurecht – mit einem seiner besten Werke der letzten Jahre.

Ich sehe was, was du nicht siehst ist ab dem 27. September 2023 bei Netflix abrufbar.

Unsere Wertung:

 

 

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