Ein ästhetisch außergewöhnlicher Thriller in der Berlinale Special Sektion ist das neue Werk von Regisseur Cheang Soi. In dieser Kritik erfahrt ihr, ob Limbo außer mit starken Schwarzweißaufnahmen auch als Kriminalgeschichte überzeugt.
Titel | Limbo |
Jahr | 2021 |
Land | Hongkong, China |
Regie | Cheang Soi |
Drehbuch | Kin-Yee Au |
Genre | Thriller, Drama |
Darsteller | Lam Ka Tung, Liu Cya, Mason Lee, Hiroyuki Ikeuchi |
Länge | 118 Minuten |
FSK | tba |
Verleih | tba |
Die Handlung von Limbo
Der Jungpolizist Will Ren und sein erfahrener Partner Cham Lau sind einem obsessiven, besonders brutalen Frauenmörder auf der Spur. Um den Handfetisch-Täter zu ködern, wird die kriminelle Wong To benutzt, die ihre Schuld am Unfall von Chams Familie wiedergutmachen soll. Aber die junge Frau ist unberechenbar und widerspenstig. Umgeben von immer irrwitzigeren Gewaltspiralen und zunehmend in Gefahr, dem bestialischen Serienmörder zum Opfer zu fallen, kämpft sie mit eigenen Mitteln gegen die Traumata des Slums.
Typische Konstellation, die nie ihren Reiz verliert
Das Ermittlerduo, das in Limbo auf Mörderjagd geht, ist oberflächlich betrachtet eine klassische Good-Cop-Bad-Cop-Kombination. Zumindest anfangs bleibt man in eigentlich ausgetretenen Pfaden: Der unerfahrene Novize hält sich streng an Dienstvorschriften, sein moralischer Kompass ist noch intakt. Der Veteran im Team hat ein schweres persönliches Trauma erlitten und schafft es nicht, seine Emotionen in Ausführung seines Berufs unter Kontrolle zu halten. Doch sooft man solche Konstellationen auch schon gesehen hat, wenn die darstellerische Qualität stimmt und auch nur Nuancen an Variation für frische Würze im Leibgericht sorgen, so lässt man sich doch immer wieder auf das Szenario ein. Genau dieses gewisse Extra, dass es braucht, hat das Gespann Cham Lau und Will Ren.
Der Grund für die Verbittertheit von Cham Lau ist nachvollziehbar und auch wenn sein impulsives Naturell dann noch der Tropfen ist, der das Fass zum überlaufen bringt, so macht einem sein Schicksal es wirklich schwer, ihn für seine Brutalität zu verurteilen. In Verbindung mit dem ungleichen Partner und ihrer unerwarteten Unterstützerin durchläuft er einen extrem spannenden Heilungs- und Läuterungsprozess, der ihn auf vielen Ebenen Rehabilitation zugesteht. Die bittere Schlusspointe ist dadurch viel härter, als sie ohne die Wandlung des anfänglichen Unsympathen wäre.
Limbo hat wenige Figuren, die dafür fast alle Raum bekommen
Sein Konterpart ist ebenfalls sehr facettenreich gezeichnet und durchläuft einen Reifeprozess an der Seite des erfahrenen Altpolizisten. Die Reduktion auf die wenigen zentralen Figuren ist mitunter inhaltlich die große Stärke des Copthrillers. Der Fokus liegt auf den beiden Cops und der jungen Wong To. Auch sie wird in verschiedenen Szenen mit reichlich Hintergrund ausstaffiert, sodass ihr Leidensweg auch allumfassend nachvollzogen werden kann. Die drei Protagonisten werden in den nur knapp zwei Stunden Laufzeit zu komplexen Figuren, deren Motivationen keinen Zuschauer kalt lassen werden.
Dem hingegen hat man nicht ganz geschafft, auch einen Gegenspieler von gleichem Rang aufzubauen. Der Frauenmörder tritt erst recht spät aus dem Schatten und leider bleibt er mangels gut aufgebauter Charaktertiefe eher blass und austauschbar. Von Hiroyuki Ikeuchi bleibt höchstens seine markante Hasenscharte und seine Obsession für Frauenhände im Gedächtnis.
Ein Potpourri aus Genrevorbildern
Der uninspiriert geschriebene Antagonist ist ein wesentliches Merkmal, das Limbo von den Vorbildern unterscheidet, an denen sich Regisseur Cheang Soi ziemlich offenkundig orientiert hat. Die deutlichste Reminiszenz ist hierbei David Finchers Sieben. Trotz all der Parallelen, seien es die ähnliche Paarung der Ermittler oder das Eintauchen in die dunkelsten Ecken einer vermeintlich fortschrittlichen Metropole, wirkt es keineswegs wie eine dreiste Kopie. Vielmehr ist der Einsatz von Anspielungen an die Klassiker des Thrillergenres hier ein bewusst gewähltes Stilmittel. Die zahlreichen Referenzen kann man definitiv als Hommage oder gar Ehrerweisung einstufen, bei der man als Zuschauer jedes mal grinsen möchte, wenn man erkennt, wen der Regisseur hier hochachtungsvoll zitiert.
Ästhetisch in der höchsten Güteklasse
Nicht nur inhaltlich weckt Limbo einige Erinnerungen. Visuell wirkt die Schwarzweißoptik mit der leicht metallischen Anmutung fast etwas wie Sin City. Allerdings verzichtet dieser Thriller auf die Comicstilistik. Zeitlupen werden zwar ganz gezielt eingesetzt, jedoch ist hier weniger mehr, sodass die Akzentuierung nichts von ihrer Wirkung einbüßt. Die gestochen scharfen Bilder haben allesamt die Ästhetik von modernen HDR-Fotografien. Dadurch entstehen Aufnahmen, die sich gut und gerne als Postermotive eignen würde.
Das krasse Gegenteil zur technisch makellosen Bebilderung zeigt sich in der Darstellung Hongkongs. Davon, dass die Metropole eine der teuersten Städte der Welt ist, sieht man in Limbo in fast keiner Einstellung etwas. Der Thriller taucht nicht nur tief in menschliche Abgründe ein, sondern entblößt vor allem die Seiten einer Glamourstadt, die in der Regel unter den Teppich gekehrt wird. An der Seite der Polizisten geht es durch Müllhalden, innerstädtische Autofriedhöfe und slumartige Plattenbauten. Die enorme Bildschärfe lässt dabei kein Detail ausblenden, jede Schmeißfliege wird sichtbar und auch hörbar.
An dieser Stelle gilt es auch noch explizit die fantastische Kameraarbeit zu betonen. Durch Vogelperspektiven in Kombination mit langsamen Kamerafahrten in Bodennähe bei den Verfolgungsjagden werden die Gassen Hongkongs zu einem Labyrinth in einem endlosen Moloch.
Limbo braucht fast ein Warnsiegel
Wie man es von asiatischen Actionfilmen gewohnt ist, geizt auch dieser Genrebeitrag nicht mit Härte. Die Verfolgungsjagden und Kampfsequenzen sind stark choreografiert, die Schläge haben eine Wucht, die der Zuschauer mitfühlt. Der Höhepunkt ist dabei ein Showdown, der gefühlt ein Viertel des Films einnimmt und trotzdem keine Minute zu lang ist. Der immer stärker werdende Regen und die sich zuspitzende Konfrontation mit dem Mörder lassen den Film ohnehin wie im Flug vergehen. Lediglich für Leute, die ein Problem mit der Darstellung von Gewalt gegen Frauen haben, dürfte Limbo in mehreren Szenen übers Ziel hinausschießen. Die Szenen sind hart anzusehen und hätten in abgeschwächter Form wohl noch besser in das sonst stimmig komponierte Gesamtbild gepasst. Für diese unnötige Brutalität sollte man dem Thriller fast eine Triggerwarnung voranstellen.
Unser Fazit zu Limbo
Der neue Film von Cheang Soi ist ein ästhetisches Highlight auf optischer wie akustischer Ebene. Die schwarzweißen Bilder in Hochglanzoptik kontrastieren perfekt die abstoßenden Verbrechen. Inhaltlich verlässt man sich auf Altbewährtes, aber dies trägt mit höchster schauspielerischer Güte vor. Für Fans klassischer Copthriller mit melancholischem Einschlag, sowie für Anhänger des Hongkong-Kinos ist die Produktion eine glasklare Empfehlung, die man am besten auf der Leinwand erfahren sollte.
(Kleiner Fun-Fact zu Darsteller Mason Lee: Wem der junge Cop irgendwie bekannt vorkommt, der hat womöglich Hangover 2 gesehen. Im zweiten Teil der Kultreihe aus Hollywood hat der junge Darsteller den Schwager des Bräutigams namens Teddy gemimt, der in der Komödie in der thailändischen Hauptstadt gefunden werden muss)
Limbo läuft in der Sektion Berlinale Special auf der Berlinale 2021. Ein Kinostart ist noch nicht bekannt.
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