Filmtoast.de
Listen to me Marlon Copyright Universal Pictures

Listen to me Marlon

Method Writing

Die Rolle eines Schauspielers verändert sich mit jeder Geste, jedem noch so unscheinbaren Gesichtsausdruck, jedem Einnehmen eines Mundwinkels, einer Position der Augen, im Winkel der Kamera und dem Enthusiasmus der Person, die die Rolle spielt. Die Worte werden großzügig oder einfältig über Sekunden, Stunden und Bilder auf dem Bildschirm verteilt. Nicht, wie bei einem Stück Butter, aber wie ein Sturm, der wie ein Orkan über das Land fegt. Er sollte dich mitreißen, Kummer und gute Gefühle in dir erwecken. Er sollte dich bestürzen, dich an deiner Sicht auf die Dinge kritisch werden lassen, dich einnehmen, kauen und ausspucken. Das Schauspiel sollte nicht etwas sein, dass dich dein Leben lang unterhält, sondern auch etwas sein, dass dich in das Leben zurückholt, dass du jeden Tag mehr vergisst. Menschlichkeit.

„Now let your mind drift. Back. Way back in time. To a time when you were very young. When you used to wake up in the morning. Put on your clothes, while everyone was sleeping. Walk down the sidewalk in – Omaha – and sit underneath that big elm tree.“

Er sollte dich finden lassen, was du suchst, was du nicht sehen möchtest, wovor du dich fürchtest, dich vervollständigen können, kompensieren, einen Spiegel vorhalten, Trauern lassen und dich von der Schuld befreien, der Sünde, der Lüge, der Wahrheit, nach der du trachtest. Nach der ich trachte. Das Leben von Marlon Brando, Listen to me Marlon, hat eben dies getan. Er hat mich bestürzt, Trauern lassen, mich in den schrecklichsten Momenten meines Leben zurückkehren und Frieden einkehren lassen. Von Vergebung, Lüge, Schicksal und Leben.

Ich erinnere mich an viele Momente allerlei Filme. Ich erinnere mich, wie ich nach einem Actionfilm, als ich noch jünger war und auch noch heute, so tat, als würde ich humpeln, meine Stimme verstellte, mich lächerlich machte, nachahmte, mit mir selbst so wenig anzufangen wusste, dass ich versuchte, mich ertappte und schuldig fühlte, jemand anderes zu sein, als ich selbst. Mir selbst etwas vorzuspielen und mich dabei hemmungslos und betrügerisch selbst zu belügen.

„All of you are actors, and good actors; because, you’re all liars.“

Ich erinnere mich, dass ich hier sitze, wo ich jetzt sitze und mich an die letzten Sekunden an meiner Tastatur, in meinem kleinen Zimmer, mit dem zu großen Lederstuhl meines wundervollen Opa’s, seitlich dem luxuriösesten Stück in meinem Zimmer, einer Ledercouch meines Opa’s, ertappe, wie ich über jemanden, nein, über mich schreiben wollte, anders, als ich bin. Man sollte nie jemand anderen spielen, als sich selbst.

Ich erinnere mich an jedem Tag meines Leben an Jemanden, der die Gesten, die Bewegung eines Mundwinkels, Emotionen in den Augen der Menschen, analysiert, sieht, was andere verbergen wollen, was andere nicht sehen, hören oder fühlen wollen und es mir abends, spät abends, sehr schlecht geht, weil ich oft nicht weiß, was es ist, dass die Menschen bewegt, was sie interessiert, weil ich ein sehr verschlossener, nachdenklicher und nach außen unehrlicher Typ bin, der selten bis gar nicht preisgeben kann, was er fühlt, denkt, was er möchte, was er sich wünscht und wie er mit sich immer im Reinen sein kann. Ich möchte einmal weniger Method Writing betreiben und im Sinne und dem Gedenken an Marlon Brando ehrlich sein. Ich möchte die Tränen nicht verbergen, mich nicht verstecken, entschuldigen oder rechtfertigen. Ich möchte den Hass, den ich manchmal in mir spüre Ausdruck verleihen, dem Film etwas entnehmen, einem ganzen Leben voller Wahrheit.

„Everybody’s got a story to tell, something they’re hiding“

„We develop the technique of acting, very, very early. Even from the time we’re a kid, where we’re throwing our oatmeal on the floor, just to get attention from our mothers. Acting is survival.“

Marlon Brando hat in jungen Jahren den einzigen stichhaltigen Zufluchtsort seiner Selbst verloren. Seine Mutter. Ich habe mit jungen Jahren den einzigen Zufluchtsort vor dem Schicksal Zuhause, meines Vaters und seiner 25 Jahre jüngeren, labilen und zerstörerischen neuen Frau, verloren. Irgendwie mich selbst. Marlon Brando sagt, dass man sein eigener Analytiker sein muss. Und er hat Recht. Kein Psychologe wird jemals in deinen Kopf, deine Gedanken oder deine Seele eindringen können. Du sollst die Wahrheit sagen. Die Wahrheit kann nur sein, dass der Psychologe dir Dinge über dich erzählt, die nicht stimmen, die du aber gerne hören und an dir selbst ausprobieren oder erkennen wollen würdest. Aber das weißt du alles schon, weil du dich selbst lange genug hinterfragt hast, bevor du dich entschlossen hast, dir helfen zu lassen.

Es ist ein ehrenwerter Beruf. Einem Menschen gute Strategien der Selbstfindung nahe zu bringen, ein besseres Leben gedanklich zu realisieren und mit deinen Gedanken zu experimentieren. Leichte Gemüter können das ertragen. Ich würde alles hinterfragen, mich fragen, ob ich etwas Neues mitgenommen habe oder mir selbst helfen könnte. Aber ich habe etwas gefunden, dass die zerbrochenen Gefühle meines Ich’s, meiner Selbst, zusammenfügt und die gebrochene Reflektion meines Lebens wieder an einen festen Platz bringt. Ab und an schreibe ich einen ehrlichen Kommentar, der niemanden außer mich so sehr bewegen kann, wie ich es fühle, der aber vielleicht die Wahrheit sagt und inspiriert.

„There’s something absurd about it. That people go with hard earned cash into a darkened room, where they sit and they look at a crystaline screen, upon which images move around and speak.“

Im Vordergrund steht trotzdem ein Film. Ein Film, der dir erklären möchte, weshalb du aus deinem Leben in einen dunklen, großen Saal mit perfekter Ton- und Bildanlage fliehst. Du kompensierst etwas in dir selbst. Vielleicht Verlust, Scham oder wie ich, die fehlende Eigenschaft der Offenheit. Die meisten Probleme, die ich mag, sind die der Menschen, die mir etwas bedeuten. Ich möchte, dass ich anderen helfen kann. Ich wünsche es mir. Nichts ist mehr Wahrheit, als Ehrlichkeit und Liebe. Im Kino sehe ich, was ich gerne wäre. Ein Superheld, mit unschätzbaren Kräften, Geld, Macht und Mut. Von allem besitze ich nur kleine Portionen. Eben der Wert der Filme für das Leben.

„And the reason they don’t have light in the theater is because you are there with your fantasy. The person up on the screen is doing all the things that you want to do. They’re kissing a woman you want to kiss. Hitting the people you want to hit. Being brave in a way you want to be brave.“

Der Lederstuhl, der viel zu kleine Schreibtisch, die Taschentücher, die für den schlimmsten Fall immer bereit liegen und meine Tastatur, in der ich eingeben kann, was ich möchte und schlussendlich der Maus, mit der ich abspeichern kann, was meine Wahrheit ist. Ich bin lange ein sehr gebrochener junger Mann gewesen, der nichts in seinem Leben wahrhaftig fand, nichts, was Glück hieß, denn was ist Glück? Nichts, das Zufriedenheit hieß. Keine Lichter an der Wand, die mich beglückten, keine Hände, die im Schatten des Lichts ein Kaninchen bildeten, über das ich lachen konnte, über das ich lachen wollte. Und doch erkenne ich in allem ein bisschen Wahrheit. Überall Schönheit und überall etwas, dass mir beim Kompensieren, Filtern und Rationalisieren meiner Gefühle hilft. Ich kristallisiere. Ich habe ein ungesundes, aber ehrliches und empfindsames Gleichgewicht gefunden, dass mich manchmal sehr glücklich macht. Es befindet sich gleich hier drin. Du musst nur genau hinschauen. Kein Method Writing.

„If you took some kid and you put him up in Tahiti, he’s a completely different kid. He wouldn’t have this cruel, mean society killing him every day, killing the life out of him. All these kids of mine are filled with love from Tahiti.“

Marlon Brando, eine immer und über alles währende Legende, den vermutlich die Fragen an Leben, Gerechtigkeit und Wahrheit in den unendlichen Abgrund der Seele geführt haben. Ihn ereilte ein Schicksal, von dem aus er nicht mehr über das Denken und Handeln der Menschen, die Boshaftigkeit und die Ungerechtigkeit, hinwegsehen konnte. Er setzte sich für die Rechte der Schwarzen ein, arbeitete mit Martin Luther King zusammen, lehnte einen Oscar ab, weil die Indianer in allen Filmen der Welt als verwahrlostes und brutales Volk unehrlich dargestellt werden, er verlor seine Mutter, seine Tochter und auch irgendwie seinen Sohn. Er wollte das Gute und gewann nur Spott und Verachtung. Er wollte das Gute, aber konnte allein nicht viel bewirken. Sein Vermächtnis aber kann das. Wenn es doch nur kein Vermächtnis wäre… Er brachte die Wahrheit ans Licht und erzählte die Geschichte seines Lebens. Eigentlich die Geschichte unseres Lebens. Das hier soll eine kleine, keine große Würdigung sein, denn diese liegt im Film selbst, in seiner Stimme, seinen Worten und seinen Taten.

Ein langer Weg ist es von Tag 1 bis zum Ende.

Jedes Leben wird einmal an den Punkt kommen, an dem es seinen Weg umschlagen muss. Der Punkt, der den Menschen verändern kann.

Bist du angekommen?…

„Halte dich nicht an Gedanken fest. Halte dich an gar nichts fest. Da sind alte Bänder, nicht mehr brauchbar, nicht mehr sinnvoll. Wirf sie weg. Leg sie weg, du brauchst sie nicht. Du bist da. Du bist angekommen. Dein Geist wird ruhiger und immer ruhiger. Glückseligkeit überkommt dich. Jetzt. Bis zum nächsten Mal. Schlaf.“

Bist du angekommen?

© Universal Pictures

11 Kommentare

  • Hands down. Einer der besten und ehrlichsten, selbstreflexierenden Texte, die ich jemals gelesen habe. In vielem habe ich mich selbst wiedererkennen können.

    Marlon Brando selbst dürfte wohl mit einer der faszinierendsten Menschen überhaupt gewesen sein, nicht nur wegen seiner Eigenarten und Exzesse, sondern weil er ein Mensch war – mit vielen Höhen und vielen Tiefen, aber vor allen Dingen zog er sein Ding durch. Und vernachlässigte neben dem Intellekt auch niemals Emotionen.

    Was bleibt schom am Ende über, wenn wir zwar alles haben, aber es mit niemandem teilen können? Richtig: Nichts von Bedeutung

  • Ich bin jetzt zwar kein „Fan“ von Marlon Brando, würde mir die Doku bar trotzdem anhören, denn ich finde es wahnsinnig interessant alles um so einen berühmten Menschen zu erfahren…sicher erfährt man sehr viele Dinge die man vorher noch nicht wusste und dann sieht man gleich viel mehr von dem Wahren Menschen.

  • Mit Marlon Brando bin ich noch nie weiter in Berührung gekommen, ich schaue aber gern Dokumentationen. Deine ehrlichen Worte und deine Verbindung zu Brando berühren sehr, das hast du schön geschrieben.

  • Ein schöner Beitrag und tiefgreifender Text, der zum Nachdenken anregt <3! Ich habe mich mit Marlon Brando noch nie auseinandergesetzt und wusste gar nicht, dass er sich für so viele wichtige Themen eingesetzt hat. Aber typisch ist, dass man zu Lebzeiten nicht gewürdigt wird und nach dem Tod dann plötzlich alle applaudieren. Traurig eigentlich …

    Liebe Grüße
    Verena

  • Brando hat sehr viel von DiCaprio, bzw. ist es ja eher umgekehrt. Sowohl rein optisch, als auch was die Wahl der jeweiligen Rollen angeht. Immer extrem geschickt ausgewählt und phantastisch gespielt. Solche Schauspieler werden nur einmal in 10 Jahren geboren denke ich. Danke für den Beitrag!