Netflix bringt uns mit Malcolm & Marie einen während des Corona-Lockdowns kurzfristig erdachten und realisierten Film auf die heimischen Fernseher. Ist Sam Levinsons Zweipersonenstück ein spontanes Meisterwerk oder ein belangloser Schnellschuss?
Titel | Malcolm & Marie |
Jahr | 2021 |
Land | USA |
Regie | Sam Levinson |
Drehbuch | Sam Levinson |
Genre | Drama, Romanze |
Darsteller | Zendaya, John David Washington |
Länge | 106 Minuten |
FSK | ab 12 Jahren freigegeben |
Verleih | Netflix |
Malcolm & Marie – Wahnsinnig verliebt
Sam Levinson arbeitete für dieses schmerzlich romantische Filmdrama mit Zendaya und John David Washington zusammen. Darin kommen ein Filmemacher (Washington) und seine Partnerin (Zendaya) nach einer Filmpremiere nach Hause, die seiner Ansicht nach sicher nur ein absoluter Erfolg werden kann – bei den Kritikern ebenso wie finanziell. Der Abend nimmt eine plötzliche Wende, als Offenbarungen über die Beziehung der beiden ans Tageslicht kommen, die deren Liebe auf eine harte Probe stellen. Gemeinsam mit dem Kameramann Marcell Rév hat Levinson dabei einen Film von seltener Originalität geschaffen, der nicht nur die großen Hollywood-Romanzen feiert, sondern auch ein inniger Ausdruck des Glaubens an die Zukunft des Mediums selbst ist.
Minimalismus, der polarisieren wird
Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Malcolm & Marie ist wieder einmal ein Werk, an dem sich die Geister scheiden werden. Um einen Vergleich zum vorangegangenen Film mit Washington Tenet zu ziehen: Zuschauer wie Kritiker könnten auch diesem Film vorwerfen, dass es sich mehr um eine ambitionierte Fingerübung eines egozentrischen Filmemachers als um einen Genrebeitrag mit Mehrwert handelt. In dieser Besprechung möchte ich jedoch ein Stück weit versuchen, herauszustellen, weshalb in diesem theaterartigen Drama mehr als ein Aufeinandertreffen eines zweifelsohne herausragenden Dialogdrehbuchs mit überragenden darstellerischen Leistungen steckt.
Rundumschlag gegen die Toxizität des modernen Zusammenlebens…
Es dauert nicht lange bis der erste Streit vom Zaun gebrochen wird. Auslöser ist, so sieht es zumindest oberflächlich betrachtet erst einmal aus, dass Malcolm allen außer seiner Geliebten in seiner Dankesrede gedankt hat. Aus dem Frust über die Nichtbeachtung heraus entsteht eine impulsive Generalanklage Maries, die extrem verletzend ist und weit unter die Gürtellinie abzielt. Doch ihr Gegenüber ist nicht minder abartig in seiner harten Situationsanalyse, mit der er alte Wunden wieder aufreißt, um die eigene Kränkung zu parieren.
Das Dialogfeuerwerk schmerzt selbst beim einfachen Zuhören sehr. Vielfach fühlt sich der Zuschauer ertappt, weil man hier exzellent den Spiegel vorgehalten bekommt, wie tief ins Fleisch unbedachte Worte schneiden können. Die Streithähne in diesem Drama steigern sich dann teils aus Hilflosigkeit, aber teils auch aus dem Gefühl heraus, als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen zu müssen, immer weiter in ihren Beleidigungen. Exemplarisch sieht man daran, welche Eigendynamik ein Streit entwickeln kann. Beginnt es mit einer eigentlich schnell mit einer Entschuldigung auszuräumenden Banalität, so werden peu à peu plötzlich Dinge zur Debatte, die mit dem Ausgangsszenario wenig zu tun haben. Levinson gelingt es hierbei exzellent zu demonstrieren, wie ein Konflikt kulminieren kann, wenn Dinge zu lange unausgesprochen schwelen.
Inhaltlich ist in den langen Monologen und Wortwechseln dabei so viel der zeitgemäßen Beobachtungsgabe Levinsons zu sehen, dass man wohl mehrere Sichtungen braucht, um alle tangierten Themen zu erfassen. All das wird verpackt in einem von außen betrachtet hysterischen Beziehungsstreit. Ohne zu politisch zu werden, gelingt es, Diskussionsansätze und Sichtweisen aufzuzeigen und die Streitfragen vom Bildschirm heraus ans Publikum weiterzugeben. Die große Kunst ist, dass – trotz der teilweise absurd werdenden Anschuldigungen von Malcolm und Marie – die Essenz ihrer Argumentation klar bleibt.
… und die Hassliebe zwischen Filmemachern und Kritikern
Ganz nebenbei trägt Malcolm am selben Abend noch einen weiteren Kampf aus, ebenfalls in einer Art Stellvertreterfunktion. Die Rolle, die Washington in Malcolm & Marie übernimmt, ist die eines Regisseurs und Autoren, der auch nach der gefeierten Premiere seines Films noch auf heißen Kohlen sitzt. Denn wie schnell kann sich die Stimmungslage zu einem Werk in unserer Zeit doch ändern, wenn eine gewichtige Stimme mit großer Plattform Gegenwind aufkommen lässt. Die angespannte Situation zwischen den beiden Verliebten ist nicht nur auf die unausgesprochenen Störfaktoren in der Beziehung zurückzuführen. Speziell Malcolm leidet unter dem Erwartungsdruck, den er sich selbst durch seine künstlerischen Ansprüche aufbürdet. Und natürlich kann man nicht von der Hand weisen, dass der Regisseur des Films durch sein Pendant im Film auch sein Seelenleben zum Ausdruck bringen will.
Schwingt sich in einer der bemerkenswerten Monologsequenzen der afroamerikanische Regisseur zum Verteidiger seines Schaffens und seiner Zunft auf, so verteidigt er in dieser Szene nicht nur sich selbst gegenüber einer beispielhaften Kritikerstimme, sondern gleichzeitig auch den Macher dieses Films gegenüber allen, die schon kräftig in die Tasten hauen, um ihren Senf in Form von Interpretationsversuchen hinzuzufügen. Dazu kommt aber noch eine weitere Ebene. Malcolms utopischer Anspruch ist es, unabhängig von seiner Hautfarbe bewertet zu werden, obwohl er sich hierbei selbst sichtlich schwer tut.
Malcolm & Marie ist ein überaus ambivalenter Versuch, mit einer auf die Spitze getriebenen Argumentation auf Schwächen der zeitgenössischen Diskussionskultur aufmerksam zu machen. Sowohl im privaten, aber auch im öffentlichen Raum, landen unbedachte Worte oftmals auf der Goldwaage und ehe man sich versieht zieht ein Shitstorm herauf, dessen Schaden niemand herbeiführen wollte.
Malcolm & Marie verzichtet auf Farbe, aber nicht auf Atmosphäre
Unabhängig von all der Härte in den Tiraden von Malcolm und Marie ist der neue Film von Levinson optisch jedoch wunderschön geraten. Die Kameraarbeit von Marcell Rév ist eine virtuose Komposition von Schwarzweißaufnahmen, die allesamt als Poster an die Wand passen würden. Die Weitläufigkeit der Traumvilla, die dem Pärchen von der Produktionsfirma gestellt wurde, wird perfekt eingefangen. Gleichzeitig wirkt die Location doch seltsam einengend. Man kann sich zwar nach einem Streit aus dem Weg gehen, aber spürt doch die Aura des anderen weiterhin. Die Bilder fangen perfekt die Aussage Levinsons ein: Dieser Konflikt war unausweichlich und durch die räumlichen Begebenheiten kann man sich nicht aus der Affäre ziehen, ehe eine kathartische Aussprache stattgefunden hat.
Die Atmosphäre untermalt eine treffend gewählte Auswahl an Jazz- und Klaviermusik, die zwischen den Streithöhepunkten in gewisser Weise dafür sorgt, dass auch das Publikum wieder etwas runterkommen kann. Die Höhepunkte hier sind die Gesangseinlage Maries zu Get Rid of Him und die Wahl des Songs Liberation von Outkast zum Abspann.
Zendaya ist Marie
Natürlich muss man bei einer Romanze, in der nur zwei Figuren auftauchen, auch auf die Schauspielleistung eingehen. Doch wer Zendaya bereits in Euphoria gesehen hat, der wird wissen, dass der ehemalige Kinderstar längst die Disney-Fesseln abgelegt hat. Auch in Malcolm & Marie stellt sie eindrucksvoll unter Beweis, wie leichtfüßig sie zwischen den extremen Gefühlslagen ihrer Rolle hin und her wechseln kann. Sie spielt eine gescheiterte (?) Schauspielerin, die ihrer Karriere mehr hinterher trauert, als sie wohl zugeben mag. Doch wie fantastisch sie agiert, stellt man erst fest, wenn sich die Doppelbödigkeit ihrer Darbietung offenbart. Weder Zuschauer noch ihr Freund im Film können sich bis zuletzt sicher sein, ob sie nicht die ganze Zeit über etwas vorspielt. Dazu kommen dann noch mehrdeutige Blicke und ein souveräner Umgang mit ihrem Körper, wie man ihn wohl auch bei deutlich älteren Hollywoodstars vielfach vergeblich sucht.
John David Washington ist Malcolm
Schon in Tenet hat John David Washington beweisen können, dass er die großen Fußstapfen seines Vaters auszufüllen vermag. Im Schauspielduett mit Zendaya kann er nun mit ungleich mehr Dialogszenen als im Nolan-Film aufwarten. Dabei gelingt es ihm, die bedeutungsschwangeren Appelle mit Nachdruck abzufeuern, ohne, dass es zu gewollt wirkt. Wie seine Kollegin strahlt auch Washington eine sehr angenehme Form von Selbstsicherheit aus, die ihn einerseits sympathisch macht, aber auch in den richtigen Momenten das Ekel abkaufen lässt.
Getreu dem Sprichwort „Was sich liebt, das neckt sich“ funktioniert Malcolm & Marie in meinen Augen deshalb so gut, weil die Stars es plausibel darstellen, dass sie trotz der verachtenswerten Anschuldigungen und Beschimpfungen wissen, dass sie füreinander bestimmt zu sein scheinen. Es ist gelungen herauszuarbeiten, dass es für die beiden Liebenden eine heilende Wirkung hat, sich durch einen Streit apokalyptischen Ausmaßes ihrer ureigenen Stärken bewusst zu werden. Und diese Stärken sind es letztlich, die Malcolm und Marie an sich gegenseitig lieben und die die Differenzen aufwiegen können.
Unser Fazit zu Malcolm & Marie
Malcolm & Marie ist eine Romanze der etwas anderen Sorte. Das Netflix-Original braucht keinerlei Farben, lediglich einen Drehort und nur zwei Darsteller, um eine enorm dichte Atmosphäre aufzubauen, Diskussionen anzufachen und sich mit Wucht ins Langzeitgedächtnis des Zuschauers zu manövrieren. Sam Levinson beweist, dass er den Zeitgeist versteht und kanalisieren kann – und das mit einfachsten Mitteln. Manch einem mag das zu prätentiös anmuten. Fans seiner früheren Werke und Freunde des dialoglastigen Kammerspiels haben mit diesem Drama aber möglicherweise schon im Februar einen ihrer Lieblingsfilme des Jahres gefunden.
Malcolm & Marie ist ab dem 5. Februar 2020 bei Netflix abrufbar.
Unsere Wertung:
104 Bewertungen | Kundenbewertungen |
© Netflix
Kommentar hinzufügen