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De Sades schärfster Kritiker steckt zwischen seinen Beinen | MARQUIS © 1989/2008 – YC ALIGATOR FILM – TCHIN TCHIN PRODUCTION

Marquis

Marquis bietet sexuell und politisch aufgeladenes Puppentheater für Erwachsene.

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TitelMarquis
Jahr1989
ProduktionslandFrankreich
RegieHenri Xhonneux
DrehbuchHenri Xhonneux, Roland Topor
GenreKomödie, Animation
DarstellerFrançois Marthouret, Valérie Kling, Isabelle Wolfe, Michel Robin, Vicky Messica, Nathalie Juvet
Länge79 Minuten (uncut)
FSKab 16 Jahren freigegeben (uncut)
VerleihBildstörung
Cover des DropOut #3 | MARQUIS © 2008 BILDSTÖRUNG
Cover des DropOut #3 | MARQUIS © 2008 BILDSTÖRUNG

Donatien Alphonse François wusste schon zu Lebzeiten, wie man die Gesellschaft verstört und schockiert – der Lohn hierfür? Etwa die Hälfte seiner Lebensjahre durfte er aufgrund seines skandalträchtigen Lebens und Schaffens hinter Gittern verbringen. So verkannt, verachtet und mitunter auch gefürchtet François auch war, die große Anerkennung blieb ihm zu Lebenszeiten verwehrt. Als Philosoph nicht massentauglich, als Poet nicht ausreichend talentiert und als Schriftsteller zu abstoßend. Dennoch blieb sein Schaffen mitnichten ohne Spuren.

Die Fußstapfen des Marquis – unverfilmbare Exploitation?

Der bürgerliche Name trügt leicht über den Umstand hinweg, mit welcher Figur der französischen Geschichte man es zu tun hat: Es handelt sich um keinen Geringeren als den unfreiwilligen Namensgeber des Sadismus, den Marquis de Sade! Seine Ausschweifungen, sowohl literarischer als auch praktischer Natur, biedern sich gerade zu an, exploitativ umgesetzt zu werden. Die wohl bekannteste Verfilmung stellt Pasolinis Die 120 Tage von Sodom dar, in welchem eines sehr deutlich wird: Überhaupt nur eine andeutungsweise werkgetreue Umsetzung des Stoffes lässt sich mit gängigen moralischen Normen und Werten nicht vereinbaren. Wer sich einmal mit der literarischen Vorlage auseinandergesetzt hat, wird bemerken, dass bei allem Ekel und aller Perversion in Pasolinis Werk nur, und wenn überhaupt, die Spitze des Eisberges angekratzt wird.

In den Kellergewölben der Bastille werden auch Jungfrauen nicht von der Folter verschont | MARQUIS © 1989/2008 – YC ALIGATOR FILM – TCHIN TCHIN PRODUCTION
In den Kellergewölben der Bastille werden auch Jungfrauen nicht von der Folter verschont | MARQUIS © 1989/2008 – YC ALIGATOR FILM – TCHIN TCHIN PRODUCTION




Diesem Umstand müssen sich Henri Xhonneux und Roland Topor sehr wohl bewusst gewesen sein, da ihre Verfilmung des sadschen Stoffes einen gänzlich anderen Weg beschreitet. Auch wenn sich der hier besprochene Marquis mit Werken und Leben de Sades befasst, tut er dies auf eine erfrischende, fantasievolle, spielerische – kurzum surreale Art und Weise. Man kann diesen Umstand einerseits auf die Unverfilmbarkeit der Vorlage oder andererseits auf die Wegbegleiter Topors zurückführen. Dieser hatte mit niemand geringerem als Jodorowsky und Arrabal das Mouvement Panique gegründet.

Tierisches Kabarett

So oder so wurde sich bewusst dazu entschieden, zwar Schauspieler agieren zu lassen, jedoch keine Menschen darzustellen, sondern ganz im Sinne der Fabel vermenschlichte Tiere die Charaktere spielen zu lassen. Angelehnt an de Sades Intentionen und Philosophie wird so der Priester zum Kamel; der Revolutionstreiber zum Wolf; der Garnisonschef zum eitlen Gockel. Der Marquis höchstselbst wird ironischerweise zu einer der wenigen moralischen Figuren in Form eines treuen und verlässlichen Cockerspaniels. Der kritische Geist de Sades wurde somit auf herrlich subversive Art in den Zuordnungen der Persönlichkeiten und Tiere eingefangen und konserviert.

Auch die Kirche steckt mitten im intriganten Ränkespiel | MARQUIS © 1989/2008 – YC ALIGATOR FILM – TCHIN TCHIN PRODUCTION
Auch die Kirche steckt mitten im intriganten Ränkespiel | MARQUIS © 1989/2008 – YC ALIGATOR FILM – TCHIN TCHIN PRODUCTION

Inhaltlich wird sich teils mit de Sades Biografie als auch seinen Werken auseinandergesetzt, die Handlung wird aus inszenatorischen Gründen an den Vorabend des Sturms auf die Bastille verfrachtet und füttert diesen stärker mit einer aktiven Rolle de Sades an. Während er sich der Literatur und Schreiblust hingibt, liegt er oft mit seinem engsten und zugleich ärgsten Kritiker namens Colin im Clinch: Sein übergroßes Gemächt meldet sich stets mit messerscharfer Kritik zu Wort. Während der Marquis möglichst in aller Ruhe seinen Schriften nachgehen möchte, braut sich um ihn herum eine Verschwörung auf, die wohl in einer Revolution gipfeln könnte…

Dabei entstanden ist letztendlich ein fabulöser Politthriller, der sich verspielt und herrlich schwarzhumorig gibt, aber dennoch nicht davor zurückschreckt, sich de Sades Grausamkeiten zu stellen. Allerdings wird auch hier wieder bewusst Distanz ermöglicht, in dem diese Passagen als Stop-Motion-Knetanimationen eingestreut werden. Bei all der Verfremdung fällt es schwer von klassischer Spielfilmschauspielerei zu reden. Vielmehr punkten pointierte Dialoge, Szenarien und nicht zuletzt die teils übertriebene, aber immer dem Zweck entsprechende Gestik der Darsteller.

Ausflüge in die Gedankenwelt des Marquis

Höhepunkte sind zum einen die intelligent versteckte Kritik an Kirche und Gesellschaft, zum anderen all die Liebe zum Detail bei der Gestaltung der Sets, den Tiermasken und den Persönlichkeiten. Man könnte sogar attestieren, dass vielmehr das Unsichtbare und Intendierte den Film zu solch einem Genuss werden lässt. Abgerundet wird alles durch die herrlich bissigen Dialoge mit ihrer verfremdeten und dennoch bizarren brodelnden Sexualität. Ich verspreche: Die Hummerszene wird niemand vergessen.

Es bleibt festzustellen: Kindlich anmutendes Tiertheater, was man jedoch aufgrund seines Subtextes und der doch gar garstigen Grausamkeiten (trotz aller bizarrer Verfremdung) wohl eher älteren Zuschauern empfehlen sollte.

De Sades schärfster Kritiker steckt zwischen seinen Beinen | MARQUIS © 1989/2008 – YC ALIGATOR FILM – TCHIN TCHIN PRODUCTION
De Sades schärfster Kritiker steckt zwischen seinen Beinen | MARQUIS © 1989/2008 – YC ALIGATOR FILM – TCHIN TCHIN PRODUCTION

 

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