Die Roaring Twenties waren auch in der Metropole Berlin eine wilde Zeit. Auch damals strömten Menschen am Sonntag an die Seen und in die Parks. Hier konnte man den Stress hinter sich lassen und sich den schönen Dingen des Lebens hingeben…
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No data available.Das wilde Berlin der 1920er – Menschen am Sonntag
1929, Ende der Goldenen Zwanziger, ist Berlin eine blühende Metropole. In dem hektischen Treiben auf seinen Straßen gehen die Menschen über die Woche ihrem Tagewerk nach. Und die meisten freuen sich auf das Wochenende, wo sie ausspannen können. Wo man dann sich den schönen Dingen zuwendet. Da trifft man Freunde und unternimmt etwas zusammen. Für Menschen am Sonntag ist der Nikolassee ein beliebtes Ausflugsziel, an dem sich Jung wie Alt tummeln. Hier wird gebadet, geflirtet oder einfach die Seele baumeln gelassen. Dabei können die Ausflügler ihren Stress und ihre Sorgen für einige Stunden hinter sich lassen.
Genau hierfür verabreden sich die Kumpels Erwin und Wolfgang mit den beiden Mädels Christl und Brigitte. Erwin, ein Taxifahrer, ist eigentlich mit Mannequin Annie liiert. Doch die beiden haben sich abends zuvor gezofft, ob einer Kleinigkeit. Und so geht Erwin als Flügelmann für Wolfgang, dem Lebemann und Weineinkäufer, auf die Pirsch. Am Badesee angekommen, versucht Wolfgang gleich sein Glück bei der forschen Christl. Aber die Filmkomparsin ist nicht so leicht zu haben. Bei Brigitte, einer gefallsüchtigen Schallplattenverkäuferin, kann er dagegen landen. Also suchen die beiden ein abgelegenes Waldstück auf, um der schönen Zweisamkeit zu frönen…
Menschen am Sonntag – Ein Film ohne Darsteller
Menschen am Sonntag entstand aus einer Laune heraus. Die spätere Hollywood-Legende Billy Wilder und einige seiner jungen, deutschen Kollegen hatten die Idee dafür beim gemütlichen Kaffeetrinken. Anhand des Beispiels einer Handvoll junger Menschen wollten sie das Lebensgefühl im Berlin dieser Zeit zum Ausdruck bringen. Darauf schrieb Wilder mit den Brüdern Curt und Robert Siodmak das Drehbuch. Als Regisseure fungierten offiziell Edgar G. Ulmer und Robert Siodmak. Allerdings sollen wohl auch Curt Siodmak, der erfahrene Ausstatter Rochus Gliese und Kamera-Assistent Fred Zinnemann einige Szenen inszeniert haben. Für die Kamera war Eugen Schüfftan zuständig, der zuvor schon für Fritz Lang (Die Nibelungen, Metropolis) arbeitete. Das Geld für die Produktion trieben sie selbst auf und drehten an mehreren Sonntagen im Sommer 1929. Dabei stellten sie vorwiegend Laien vor die Kamera, die unter ihren eigenen Namen agierten. Einzig Christl Ehlers, die hier auch eine Filmkomparsin darstellt, hatte berufliche Erfahrung darin.
Die Macher nannten Menschen am Sonntag später auch einen „Film ohne Darsteller“. Denn die Handlung war zwar fiktiv, aber aus dem Leben gegriffen. Eingebettet ist dies in Dokumentaraufnahmen des Nikolassees und der Stadt Berlin, die im selben Zeitraum entstanden. Zwischen diesen Aufnahmen entstand ein fließender Übergang, sodass die Spielszenen sich genauso echt anfühlten wie der dokumentarische Rahmen. Dadurch ist man immer nah bei den Figuren, nimmt ihre Erlebnisse als real auf. Der Film gibt sich sehr natürlich, nichts wirkt gekünstelt. Dementsprechend benehmen sich die jungen Leute auch so, wie man es selber als Twen kennt. Für die beiden jungen Männer dreht es sich am Wochenende um Spaß und Ausgelassenheit. Und im Mittelpunkt von vor allem Wolfgangs Interesse stehen natürlich Frauen-Bekanntschaften. Auch hier gibt sich der Film kaum prüde. Obwohl man natürlich nicht wirklich etwas zeigt, lässt man keinen Zweifel daran, was Wolfgang und Brigitte im Wald getrieben haben.
Zwischen Leichtlebigkeit und großer Not
In dieser Unbekümmertheit und filmischer Freiheit erwächst auf diese Weise ein zu damaligen Zeiten unbekannter Realismus. Es war ein großer Schritt aus dem metaphorischen Schatten des vorherrschenden Expressionismus. Damit zählt Menschen am Sonntag zu den letzten großen Werken der sogenannten Neuen Sachlichkeit, die im aufkeimenden Nationalsozialismus ihr Ende fand. Dessen ungeachtet war die Independent-Produktion, die erst nach dem Börsencrash vom 24. Oktober 1929, dem berüchtigten Schwarzen Freitag, ins Kino kam, ein Überraschungserfolg. Genauso fand der Film im Ausland große Beachtung und wird als einer der Vorbilder des italienischen Neorealismus (1943-54) benannt. Hingegen dem Berlin-Porträt sollte sich dieser dann aber durch seine Trostlosigkeit auszeichnen, aus der sich ihre starken Hauptpersonen zu erheben suchen.
Fünf Filmemacher ziehen aus, ihr Glück zu finden
Als dann in Deutschland kurze Zeit später die NSDAP unter Adolf Hitler nach der Macht griff, wandten sich die jungen Filmemacher hinter Menschen am Sonntag von der Republik ab. Samuel „Billy“ Wilder wurde einer der großen Starregisseure Hollywoods. Bei 21 Nominierungen konnte er sechsmal den Oscar, 1960 alleine derer drei für Das Appartement, mit nach Hause nehmen. 1987 wurde er von der Academy für sein Lebenswerk geehrt. Auch Curt und Robert Siodmak siedelten in die Staaten über. Curt arbeitete weiter als Autor, schrieb Drehbücher für Horrorfilme wie Der Wolfsmensch (1941) oder Ich folgte einem Zombie (1943). Sein bekanntester Roman war Donovan’s Brain (1942), der dreimal verfilmt wurde. Sein älterer Bruder Robert machte sich als Regisseur vor allem um den Film Noir verdient, drehte Klassiker wie Unter Verdacht (1944) und Rächer der Unterwelt (1946), der ihm eine Oscar-Nominierung einbrachte.
Fred Zinnemann, der jüngste im Bunde, erschuf mit Zwölf Uhr Mittags (1952) einen legendären Western-Klassiker. Dazu gewann er noch vier Oscars, einen für das Kriegs-Melodram Verdammt in alle Ewigkeit (1953). Dagegen war es Edgar G. Ulmer nicht vergönnt, in Hollywood große Epen für die Ewigkeit zu schaffen. Er setzte seinen Fuß schon vor allen anderen auf kalifornischen Boden, es zog ihn schon 1926 mit Friedrich Wilhelm Murnau (Nosferatu) nach Hollywood. Dort assistierte er diesem beim Liebes-Drama Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen, das für viele Cineasten als einer der besten Kinofilme aller Zeiten gilt. Seine Rückkehr nach Amerika sollte in den 30er-Jahren nicht von Erfolg gekrönt sein. Ulmer inszenierte schon bald B-Movies für kleine Studios, die sich an erfolgreiche Trends der großen Studios hängten. Sie hießen The Man from Planet X (1951) oder Die Totengruft des Dr. Jekyll (1957).
Der Tod ereilt die Künstler, ihr Werk lebt weiter
Aber eins war den fünf Herren aus Deutschland und Österreich-Ungarn gemein; sie kehrten nie wieder zurück in die Heimat. Ulmer verstarb 1972 in Kalifornien, Robert Siodmak 1973 in der Schweiz. Sein Bruder Kurt wurde 98, bevor er im Jahre 2000 ebenfalls in Kalifornien verschied. Fred Zinnemann erlitt 1997 schon 89-jährig einen Herzanfall in London, den er nicht überlebte. Als letzter verließ Billy Wilder die Traumfabrik, mit 95 Jahren ging er 2002 in Beverly Hills dahin. Es war eine ganze Generation mitteleuropäischer Filmemacher, die in der Ferne ihr Glück suchen mussten und es größtenteils auch fanden.
Menschen am Sonntag gilt in seiner ursprünglichen deutschen Kinofassung als schon lange verschollen. Auf Grundlage einer Kopie aus dem Nederlands Filmmuseum hat die Deutsche Kinemathek diese nun weitestgehend rekonstruiert. Dazu mussten Fehlstellen aus anderen Fassungen aufgefüllt werden. Allerdings waren einige Teile schlicht nicht mehr aufzutreiben. Demgemäß stellt die vorliegende Fassung zu ungefähr 90 Prozent die Ursprungsfassung dar, die zudem mit neuer Musik unterlegt wurde. Atlantis Film hat diese restaurierte Fassung am 26. Oktober in einem schön gestalteten Mediabook veröffentlicht. Im informativen Booklet wird ausführlich auf die Geschichte der Restauration und anschließenden Rekonstruktion dieses Stummfilmklassikers eingegangen. Somit konnten sie und die Deutsche Kinemathek ein seltenes, ja einzigartiges Stück deutscher Filmgeschichte für kommende Generationen erhalten.
Unsere Wertung:
© Atlantis-Film