Michel Franco lässt in New Order – Die neue Weltordnung die Unterschicht Mexikos gegen die Reichen und Mächtigen aufbegehren. Provokant schildert er blutige Aufstände, an deren Ende es nur Verlierer gibt. Ob der Film ebenso spannend zu unterhalten wie aufzurütteln vermag, erfahrt ihr im Folgenden!
Die Handlung von New Order – Die neue Weltordnung
In einer nahen Zukunft erschüttern blutige Aufstände unter den ärmeren Gesellschaftsschichten Mexikos Metropolen. Die Welt der Reichen und Mächtigen, die in ihren ummauerten Villen vom Rest der Gesellschaft abgeschirmt leben, bleibt davon zuerst unberührt. Doch dann wird die Hochzeitsfeier von Christian (Fernando Cuautle) und Marianne (Naian González Norvind) von wütenden Plünderern gestürmt. Skrupellos treiben sie die Hausherren und ihre Gäste zusammen und berauben sie ihrer Wertsachen. Währenddessen versucht Marianne mit einem besorgten Angestellten, seine Frau in ein Krankenhaus zu bringen. Doch in den Straßen herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände. Dann wird Marianne verschleppt und auch noch nach der Niederschlagung der Aufstände gefangen gehalten…
Zeiten des Aufruhrs…
Ungeschönt und direkt schildert Regisseur Michel Franco einen Aufstand der gesellschaftlich benachteiligten Unterschicht. Provokativ steigt er mitten in die Unruhen ein, versucht gar nicht erst die Gründe dafür aufzuzeigen, die das Fass zum Überlaufen brachten. Und so entsteht folglich kein wirklich schmeichelhaftes Bild gewalttätiger Plünderer, denen es eine Freude scheint, ihren Aggressionen freien Lauf zu lassen. Allerdings lässt er auch die Opfer dieses Überfalls in keinem guten Licht erscheinen. Bevor die Gewalt sie erreicht, nutzen die Eltern Mariannes die Festlichkeiten, um Beziehungen zu pflegen, u.a. zu einem Richter, der ihnen auch in Zukunft wohlgesonnen sein soll. Sie sind keine unschuldigen Opfer, auch wenn das die brutalen Überbegriffe keinesfalls rechtfertigt.
Die einzige, die irgendwie nicht in die jenseits moralischer Bedenken lebenden Oberschicht passt, ist die Braut Marianne. Sie nimmt sich am Tag ihrer Hochzeit, trotz bestehender Unruhen, die Zeit, sich um andere zu kümmern. Sie ist der Fixpunkt für das Publikum, der emotionale Andockpunkt. Genau sie überstellt das Drehbuch dann in die Hand von Erpressern. Plötzlich fühlen wir uns als Zuschauende haltlos, denn ihr Schicksal ist ungewiss. Wir werden Zeuge, wie sie von vermeintlichen Ordnungskräften in Gewahrsam genommen und dann wie Vieh, mit einer Nummer auf der Stirn, zusammen mit anderen Geiseln gefangen gehalten wird. Und am Ende scheint ihr Schicksal wieder untrennbar mit den Machenschaften ihrer Familie verknüpft.
Dazwischen werden immer wieder die Auswirkungen des Tumults sichtbar. Die Straßen sind gesäumt mit den Hinterlassenschaften der vorausgegangenen Demonstrationen, verbrannte Autos und kaputte Ladenfronten bestimmen das Szenario. Auch in der Villa von Mariannes Eltern bietet sich ein Bild der Verwüstung, zudem ist der Boden übersät mit den Leichen vieler Gäste.
…und wir sind mittendrin
Die radikale Herangehensweise von New Order – Eine neue Weltordnung polarisiert. Franco kündigt die Katastrophe in Form von grüner Farbe an: im Vorspann, als Marianne das Brautkleid aussucht, bei der Hochzeit, als es kurzzeitig aus dem Wasserhahn fließt, und in der Stadt, wo es gegen die Windschutzscheibe von Mariannes Auto fliegt. Es kündet nicht vom Ansturm der geknechteten Massen, sondern von der Geiselnahme der Unschuld und der Hoffnung.
Das Chaos regiert schon von der ersten Sekunde an, doch die Gesellschaft hinter den vermeintlich sicheren, hohen Mauern der Villa ignoriert es, wie sie die Not der sozial Schwachen schon seit Jahrzehnten nicht wahrnehmen wollte. Wenn er die vom Zorn verzerrten und teils wie mit Kriegsbemalung farblich verschmierten Gesichter der Räuber zeigt, geht es Franco nicht um Relativierung, sondern um die ungefilterte Zurschaustellung von ohnmächtiger Wut. Letzten Endes werden aber sie, die eigentlich nichts mehr zu verlieren hatten, noch weiter in Abhängigkeiten und Repression gedrängt werden.
Bei der Stürmung der Villa, Angesicht des sich entladenen Zorns an der Hochzeitsgesellschaft, wie auch bei der Entführung Mariannes und ihrer Gefangenschaft gönnt uns Michel Franco keinerlei Ablenkung, keine Verschnaufpause. Alles ist auf Konfrontation gebürstet. Denn die Kamera, die Schnitte und auch das Sounddesign lassen einfach keine Distanz zum Geschehen zu.
Der vielleicht effektivste Kniff von New Order – Eine neue Weltordnung ist aber, dass er weder weit in der Zukunft spielt noch von den bestehenden Zuständen entfernt. Es ist eine alternative Geschichtsschreibung, die derart nah an der Wirklichkeit angesiedelt ist, dass wir sie kaum zu unterscheiden vermögen. Wir kommen gar nicht drum herum, als emotional auf das Gesehene zu reagieren.
Unser Fazit zu New Order – Die neue Weltordnung
Michel Franco hat mit New Order – Die neue Weltordnung gewiss keinen einfachen Weg eingeschlagen. Seine unangenehme Darstellung der bürgerkriegsartigen Zustände und die fehlende Parteinahme für das unterdrückte Volk wird sicherlich einigen bitter aufstoßen. Provokation gehört freilich zu seinem Repertoire an Stilmitteln. Aber letztlich zeigt er mindestens zwei wichtige Dinge auf – Wie nahezu unlösbar sich die reale Situation festgefahren hat, und warum Gewalt zwar kurzfristig zur Entladung von Frustrationen dienen, aber sich kaum langfristig als Mittel zur Erzwingung und Sicherung von Freiheit eignen kann. Darüber hinaus schärft der Film im besten Fall unser Bewusstsein, dass die von ihm entworfene Dystopie, die in einem totalitären Militärstaat endet, nur einen kleinen Schritt entfernt ist. Ob die Wahl der Mittel seinem Anliegen vielleicht dabei im Wege steht, muss man wohl für sich selbst entscheiden. Es ist jedenfalls eine Film, den man nicht so schnell vergisst.
New Order – Eine neue Weltordnung startet am 12. August 2021 in den deutschen Kinos!
Unsere Wertung:
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