Die kanadische Regisseurin Danis Goulet zeichnet in Night Raiders das düstere Bild einer dystopischen Zukunft Nordamerikas, in der eine Mutter verzweifelt versucht, ihr Kind aus den Fängen eines Militärregimes zu befreien. Ob sich das spannend und mitreißend gestaltet, erfahrt ihr hier!
Night Raiders – Handlung
In der nahen Zukunft herrscht ein totalitäres Militärregime über Nordamerika. Kinder werden den Eltern schon in jungen Jahren entrissen, um für den Kampf für die Obrigkeit gedrillt zu werden. Die meisten Erwachsenen siechen dagegen in Ghettos gepfercht vor sich hin. Die Cree-Indianerin Niska (Elle-Máijá Tailfeathers) ist mit ihrer elfjährigen Tochter Waseese (Brooklyn Letexier-Hart) in den Wäldern auf der Flucht vor den Drohnen des Regimes. Als das zähe Mädchen sich verletzt, suchen sie bei Niskas alter Freundin Roberta (Amanda Plummer) Unterschlupf, deren Sohn schon vor Jahren verschleppt wurde. Doch die Wunden des Kindes entzünden sich, Niska muss eine harte Entscheidung treffen, und Waseese den Häschern des Regimes überlassen, im Wissen, dass sie dort zumindest medizinisch versorgt wird.
Der Alltag im Ghetto ist trist, die Lebensmittel rationiert, die Nächte sind einsam. Aber anstatt sich dem Werben des charmanten Randy (Shaun Sipos) nachzugeben, schließt Niska sich einer Gruppe indianischer Freiheitskämpfer an. Sie hat die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihrer Tochter noch nicht aufgegeben. Waseese wird derweilen im Ausbildungslager trainiert und konditioniert. Die Ausbilder versuchen alles, um sie zu brechen, doch das zähe Mädchen entwickelt gar übernatürliche Kräfte…
Naive Science Fiction mit nativen Hintergrund
Die Grundkonstellation von Night Raiders hört sich so schlecht nicht an. Die Dystopie vereint Totalitarismus mit dem Blickwinkel nativer Amerikaner und übernatürlichem Naturglauben. Das gebe schon einmal einen Punkt für Originalität, wenn denn das Skript wirklich was damit anzufangen wüsste. Der Aspekt dient vor allem dazu, über diese Symbolik hinaus das Anrecht der Cree auf ihr Fleckchen Erde und natürlich ihre Blutlinie zu untermauern. Dass davon alle Einwohner Nordamerikas betroffen sind, wird zwar anhand von Roberta nicht außer Acht gelassen, aber dennoch schleicht sich das Gefühl ein, dass eine gewisse Neigung der von Siedlern abstämmigen Amerikaner zur Unterwerfung suggeriert wird. Denn Waseese nimmt zwar den Wettbewerb unter den anderen unfreiwilligen Rekruten an und erkämpft sich dort eine Stellung, doch lässt sie sich nicht von den Ausbildern manipulieren.
Waseeses Kräfte scheinen sich als eine Reaktion auf die Repressalien zu entwickeln. Sowieso fehlt hier ein wenig der Unterbau, denn der Film wirft dem Zuschauer nur einige Brocken Mystik vor die Füße, die einfach geschluckt werden wollen. Und das funktioniert einfach nicht. Man bekommt hier nicht das Gefühl, einem von langer Hand unterschwellig angekündigten Gamechanger beizuwohnen. Das Mädchen siegt schließlich über die Technik der Unterdrücker, die Tradition besiegt den Fortschritt, befreit den Mensch von unterdrückender Technik. Gerade weil der Film selbst als eine Art Origin-Storyline schließt, als Beginn einer Legende, ist das, was uns Regisseurin und Autorin Danis Goulet serviert, schlichtweg zu wenig.
Der Kampf um Souveränität
Als klein budgetierter SF-Film hält Night Raiders seine Vision im kleinen Rahmen, Goulet weißt genau, was sie zeigen kann und was nicht. Ein Großteil der Handlung spielt in den Wäldern, passend zum nativen Hintergrund sammelt sich hier der Widerstand. Die Bilder aus dem Ausbildungslager der Kinder sind trist, ihr Alltag ist geprägt von militärischen Drill. Dort werden sie vorbereitet für ein Leben als Soldaten und viele von ihnen fügen sich schnell. Die Erwachsenen leben hier scheinbar im Großstadt-Ghetto oder in kleinen Kolonien davor. Die Geschichte interessiert sich nicht wirklich dafür, wie diese Welt funktioniert.
Es geht der Filmemacherin sichtlich mehr um Idealismus, um Gerechtigkeit und die Standhaftigkeit, diese zu erzwingen. Es geht nicht um die Befreiung der Gesellschaft als Ganzes, sondern nur um die Wiedererlangung der Souveränität der Ureinwohner. Denn im Grunde ist Night Raiders eine, vom heutigen Standpunkt aus, ziemlich reaktionäre Erlöser-Geschichte, die das Heil des Naturvolkes in der Isolation sieht. Die Widerstandsgruppe der Cree heißt nicht umsonst First Nations, sie untermauert im Namen schon ihren Anspruch auf dieses Land. Die Diktatur, die Fesseln der Technik, das überlassen sie nur zu gerne dem weißen Mann, der sie jahrhundertelang unterdrückt hat.
Technisch lässt sich dem Film, der von Taika Waititi produziert wurde, kaum was vorwerfen. Die Bilder sind stimmig, die Atmosphäre ist unterkühlt, über weite Strecken hoffnungslos. Die Schauspieler sind überzeugend, allen voran Hauptdarstellerin Elle-Máijá Tailfeathers (Blood Quantum), wenn sie ihr Kind schweren Herzens zurücklassen muss. Danis Goulet sieht ihren Film selbst in der Tradition zeitnaher SF wie Children of Men. Allerdings fehlt dem Film im Vergleich dazu dann doch der Scope und vor allem die universelle Botschaft. Denn die Botschaft von Night Raiders setzt auf Separation, nicht auf Vereinigung und Inklusion.
Unser Fazit zu Night Raiders
An und für sich ist Night Raiders sicherlich ein bemerkenswerter kleiner SF-Film, der auch zum Nachdenken anregt. Allerdings ist der idealistische Unterbau der Geschichte mehr als fragwürdig und hinterlässt einen grimmigen Nachgeschmack der Verbitterung. Unterhaltungstechnisch wird eh auf kleiner Flamme gekocht, denn Danis Goulet verschleppt immer wieder das Tempo. Gewalt, und damit Action, wird hier entweder als Mittel der Unterdrückung oder der Erlösung eingesetzt. Der Film differenziert hier wenig bis gar nicht, was es umso schwerer macht, Sympathien für das transportierte Anliegen zu hegen.
Night Raiders läuft auf der Berlinale 2021 im Segment Panorama!
Unsere Wertung: