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Okja

Schon bei seiner Weltpremiere in Cannes sorgte Joon-ho Bongs „Okja“ für Wirbel, jetzt ist die schräge Satire um ein genmanipuliertes Riesenschwein auf Netflix frei verfügbar. Aber wird der Film seinem Hype gerecht?

TitelOkja
Jahr2017
ProduktionslandUSA/Südkorea
RegieJoon-ho Bong
DrehbuchJoon-ho Bong, Jon Ronson
GenreKomödie/Drama
DarstellerSeo-Hyun Ahn, Tilda Swinton, Paul Dano, Lily Collins, Jake Gyllenhaal, Giancarlo Esposito, Shirley Henderson
Länge118 Minuten
FSKAb 12 Jahre freigegeben
VerleihNetflix
Plakat zu Okja
Plakat zu Okja aus 2017 von ©Netflix

Handlung

Tilda Swinton in Okja
Tilda Swinton in Okja aus 2017 von ©Netflix

2007: Lucy Mirando (Tilda Swinton), frischgebackene Präsidentin der Mirando Corporation, verkündet bei ihrer Amtseinführung eine Revolution in der Nahrungsmittelindustrie: Eine neue Generation an eigens herangezüchteten „Superschweinen“ soll den Markt erobern und das Konzernimage mit einem fortschrittlichen Bio-Label kräftig aufpolieren. Dafür erhalten Schweinehirten in 26 Ländern rund um den Globus  je eines dieser Hochleistungsferkel, damit sie unter deren Obhut und in natürlicher Umgebung heranwachsen können. Nach 10 Jahren soll dann das schönste Exemplar bei der „Superschwein-Parade“ vor der ganzen Welt medienwirksam gekürt werden.

Jake Gyllenhal in Okja
Jake Gyllenhal in Okja aus 2017 von ©Netflix

2017: Zehn Jahre später lebt das Riesenschwein „Okja“ bei dem Bauernmädchen Mija (Seo-Hyun Ahn) und ihrem Großvater (Hee-Bong Byun) in der Abgeschiedenheit der Berge Südkoreas, als eines Tages der berühmte TV-Naturexperte Johnny Wilcox (Jake Gyllenhaal) mit seinem Kamerateam anrückt, um das Tier zu begutachten und für den Wettbewerb mit in die USA zu nehmen. Mija aber, die sich mit dem knuffigen Geschöpf über die Jahre angefreundet hat, schlachtet kurzerhand ihr Sparschwein und will nur noch eins: Okja zurückholen…

Kritik

Bei wohl keiner Filmveröffentlichung in diesem Jahr trat die zunehmende Bedeutung von Video-on-Demand Plattformen für die Filmindustrie und die wachsende Missgunst der klassischen Kinoketten, Studios und Verleihe darüber so deutlich zutage wie bei „Okja“ von Joon-ho Bong. Als erste Netflix-Eigenproduktion bei den Filmfestspielen von Cannes, erntete der Beitrag des südkoreanischen Regisseurs bei Einblendung des Schriftzugs des Streaming-Giganten Buhrufe und Häme. Während dieses Eklat zwar 120 Minuten später mit Standing Ovations quittiert wurde, stellten sich südkoreanische Kinobetreiber quer, den Film parallel zur Veröffentlichung auf Netflix am 28. Juni zu zeigen.

Steven Yeun in Okja
Steven Yeun in Okja aus 2017 von ©Netflix

Nun kann man von dieser Marktpolitik der verhärteten Fronten und dem Aufstieg von Streaming-Portalen sicherlich halten, was man will. Feststeht allerdings, dass ein Film wie „Okja“ ohne den Wagemut der Verantwortlichen und Produzent Brad Pitt mit seinen zahlreichen (und wenig kinderfreundlichen) „Fucks“ wohl nie vom einem großen Studio als vermeintlich massentauglicher Familienfilm genehmigt worden wäre.

Vorweg: Auch wenn die ersten Momente des Trailers und weite Teile der ersten Filmhälfte  auf genau so einen schließen lassen, ist „Okja“ kein weiterer fluffiger Zwischendurchfilm geworden über ein süßes Mädchen und sein putziges, zu groß geratenes Haustier. Regisseur Joon-ho Bong begibt sich nach seiner düsteren Science-Fiction Dystopie „Snowpiercer“, mit der der Koreaner erstmals internationales Kino-Parkett betrat, keineswegs in die leicht bekömmlichen Gefilde formelhaften Kinder-Kitschkinos.

Steven Yeun, Paul Dano und Devon Bostick in Okja
Steven Yeun, Paul Dano und Devon Bostick in Okja aus 2017 von ©Netflix

Ebenso wie bei der in poppiger Independent-Trickfilmästhetik gehaltenen Präsentation und dem permanenten Zahnspangengrinsen von Tilda Swinton ist schnell klar, dass sich hinter der rosaroten Wohlfühloptik des Vorspanns weitaus mehr verbergen muss.  Die leise, ungute Vorahnung hallt selbst dann noch nach, wenn „Okja“ nach einem Zeitsprung einmal mehr von der innigen Freundschaft zwischen Mensch und Tier erzählt. Ausgelassen skurril, unaufdringlich, feinfühlig zeigt Bong das Verhältnis zwischen dem Mädchen Mija und dem famos animierten Riesenschwein Okja, das man als urigen Genpoolmix irgendwo zwischen Flußpferd, Hund und eben Schwein augenblicklich ins Herz schließt.

Gleichzeitig steht das titelgebende Mastschwein aber auch stellvertretend für den gesamten Film, der bisweilen ähnlich behäbig und ungeschickt dahertrottet, nur um dann im nächsten Moment unkontrolliert herumzutollen. Joon-ho Bong vermischt in wilder Experimentierfreude die Genres, erinnert in seiner launig unangepassten, schrägen Herangehensweise an Themen wie Massentierhaltung und-misshandlung, Gentechnik und Lügen-PR an die Verschrobenheit seiner US-Kollegen Wes Anderson oder Tim Burton, erbt aber ebenso unverkennbar deren Schwächen. So kommt „Okja“ zwischendrin trotz des mitunter hohen Tempos nicht gänzlich ohne Längen aus und will sich  nie so recht zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügen. Handwerklich und visuell lässt sich der Netflix-Produktion wenig vorwerfen, mit rund 50 Mio. Dollar Budget und Kameramann Darius Khondji steht man handfesten Hollywoodfilmen in kaum etwas nach.

Stark ist der Film immer dann, wenn er sich zwischen einer turbulenten Verfolgungsjagd durch Seoul, später durch New York Auszeit nimmt für ruhigere, emotionale Momente zwischen Mija und Okja oder aber in unerwartet düsteren, beklemmenden das hässliche Ausmaß von Massentierhaltung darlegt, was einmal mehr die Frage aufwirft, an welches Publikum sich der Film richten soll. Für Kinder ist er zu verstörend, für Erwachsene sind die überdeutlichen satirischen Spitzen allzu einfach und albern geraten.

Lily Collins in Okja
Lily Collins in Okja aus 2017 von ©Netflix

Da hilft es zudem wenig, wenn sowohl Tilda Swinton als süffisant-berechnende Konzernchefin als auch ihr Untergebenenstab (mit Ausnahme vielleicht von Giancarlo Esposito, der hier beinahe eine Variante seines Gustavo Fring aus der Erfolgsserie „Breaking Bad“ mimt) überwiegend als bloße Karikaturen gezeichnet werden. Inbesondere Jake Gyllenhaal als abgehalfteter Wildlife- Steve-Irwin Verschnitt strapaziert mit seinem immerzu penetranteren Overacting zeitweise die Nerven. Etwas gemäßigter, aber nicht weniger unglaubwürdig geht es bei dem Team um Paul Dano und Lily Collins als Tierbefreiungsfront zu (Produzent Brad Pitt und „Twelve Monkeys“ lassen grüßen).

Giancarlo Esposito in Okja
Giancarlo Esposito in Okja aus 2017 von ©Netflix

Seo-Hyun, die fast durchgehend in ihrer Muttersprache Koreanisch spielen darf, steht schließlich als die Unschuld vom Lande zwischen den Stühlen. Sie ist es, die dem überdrehten Geschehen bei allem Brimborium immer wieder die nötige Erdung verleihen und „Okja“ zu einem sehr intimen, aufrichtigen und auch berührenden Film machen kann, was ihm aber widerum gerade am Ende zum Verhängnis wird. Es ist zwar schön, dass man aus dem koreanischen Mädchen in der Fremde im Verlauf weder eine Werbefigur, noch im Handumdrehen eine glühende Aktivistin macht, dennoch lässt gerade das die Geschichte auf einer recht persönlichen Note ausklingen, die doch allzu versöhnlich und handzahm daherkommt.

Fazit

„Okja“ ist, wie sein drolliges Titeltier, in erster Linie ein Experiment. Ein Versuch, Joon-ho Bong nach seinem Hit „Snowpiercer“ auf der internationalen Bühne zu etablieren und den hochwertigen Netflix-Eigenproduktionen weiter den Weg zu ebnen. Diese erreichen zwar mit Hollywoodstars mehr und mehr Kinoformat, inhaltlich fehlt es dem satirisch angehauchtem Genremix aber an Feinschliff und Biss. Vielmehr als über die Machenschaften der Nahrungsmittelindustrie darlegen tut der Film jedoch, wenn auch unfreiwillig,  über die aktuelle Krise des Kinos und die Angst der alteingessenen Studiogiganten vor Wagnissen, Risiken und Nebenwirkungen abseits der eigenfahrenen Mechanismen von Massenunterhaltung.

Unsere Wertung:

 

© Netflix

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