In Petite maman hat sich Céline Sciamma nach ihrem Erfolg Porträt einer jungen Frau in Flammen der Begegnungen zweier Generationen in einer unaufgeregten Zeitreisegeschichte gewidmet. Ob sie uns dabei wieder für sich einnehmen konnte, erfahrt ihr hier!No data available.
Petite maman – Handlung
Nelly ist mit ihren Eltern im Haus ihrer gerade verstorbenen Oma, um deren Haushalt aufzulösen. Das spült bei ihrer Mutter Erinnerungen an die Oberfläche, und sie lässt Mann und Tochter dort allein. Als das junge Mädchen am nächsten Tag den Wald erkundet, trifft sie auf ein gleichaltriges Mädchen, das dort aus Ästen und Blättern eine Hütte baut. Sie heißt Marion, genau wie Nellys Mutter, die in ihrer Kindheit genauso etwas im Wald gebaut hat. Außerdem wohnt sie auf der anderen Seite des Waldes, in einem Haus, das dem der Oma zum Verwechseln ähnelt. Nelly und Marion freunden sich schnell an, doch ihre gemeinsame Zeit hier ist nur sehr kurz…
Eine Zeitreise ohne Erklärung
Auch wenn es für eine gewisse Zeit unausgesprochen bleibt – Für den Zuschauer wie auch die Protagonistin ist schnell klar, dass es sich bei Marion tatsächlich um Nellys Mutter handelt. Céline Sciamma macht sich auch nicht die Mühe, hier irgendeine Form von Erklärung anzubieten. Wozu auch? Das „Warum“ spielt in diesem Zusammenhand schlichtweg keine Rolle. Diese isolierte Umgebung, dieser ganz eigene Kosmos, den sie in Petite maman erschafft, bildet den Rahmen für ihre unaufgeregt ruhige Geschichte. Und in der geht es der Regisseurin mehr um die Art, wie ihre kleine Protagonistin ihre (familiäre) Umgebung reflektiert. Nelly hat mit der Großmutter einen geliebten Menschen verloren, gleichsam weiß sie ihre Beziehung zu ihrer eigenen Mutter nicht richtig einzuordnen. Diese leidet schon seit Längerem unter Depressionen und verkraftet den Tod ihrer Mutter offenbar nicht gut, weswegen sie nun auch absent ist.
Das kluge Mädchen ist sich ihrer Umwelt sehr gewahr und reflektiert im Umgang mit Marion ganz allmählich ihr Verhältnis zu ihrer eigenen Mutter. Denn sie ist sich anfangs nicht sicher, ob sie selbst vielleicht ein Grund für deren Depressionen sein könnte. Die junge Marion scheint zwar grüblerisch, aber in ihrer Kindheit sehr glücklich gewesen zu sein. Doch auch sie wird in diesem Alter schon von Selbstzweifeln geplagt. Und so wird Nelly mit der Zeit bewusst, dass ihre Mutter auch einst ein Kind war wie sie und dass alles, was sie seitdem erlebt, die Person geformt hat, die heute ihre Mutter ist. Wir erleben damit eine wichtige Station im Leben eines heranwachsenden Kindes, das erkennt, dass auch die Eltern mal Kind waren. Dass diese einen Entwicklungsprozess durchliefen, den sie noch vor sich hat.
Eine ruhige Geschichte, die langsam aufblüht
Céline Sciamma, die 2019 mit Poträt einer jungen Frau in Flammen für Aufsehen sorgte, inszenierte Petite maman ausgesprochen bedächtig. Schnitt und Kameraführung vermitteln eine fast schon meditative Ruhe, auch der weitläufige Verzicht auf Musik lenkt die Aufmerksamkeit des Zuschauers immer wieder auf die Feinheiten der Geschichte. Es fällt so auch viel leichter, sich auf das Spiel der Geschwister Joséphine und Gabrielle Sanz einzulassen. Die beiden sind im Umgang miteinander sehr natürlich, was ihren Charakteren Glaubwürdigkeit verleiht. Die geht in Geschichten, in denen sich, wie hier, Kinder sehr abgeklärt geben, gerne mal verloren. Aber die beiden nehmen den Zuschauer schnell für sich ein, da beide anfangs ruhig und introvertiert scheinen, aber dann gemeinsam aufblühen.
Das Ambiente selbst, in dem Petite maman angesiedelt ist, wirkt schon für sich sehr zeitlos. Das kleine Haus, das idyllisch am Wald gelegen ist, vermittelt das Gefühl von Melancholie. So, wie es sich im Laufe des Films immer weiter leert, scheinen verblassende Erinnerungen immer wieder zum Greifen nah. Sciamma erzeugt gekonnt Stimmungen und lenkt so den Zuschauer mit Mitteln, die über das reine Erzählen hinaus gehen. Alleine, dass sie dies im Rahmen eines eher kleinen, intimen Films so zelebriert, zeugt von großem Selbstbewusstsein wie auch meisterhaftem Geschick.
Unser Fazit zu Petite maman
Nach der großen, medialen Resonanz des kraftvollen Vorgängers hält sich Céline Sciamma in Petite maman nur scheinbar vornehm zurück. Denn auch wenn das Drama intimer und weniger relevant erscheint, beweist die Regisseurin erneut ihr großes Können und ihr Gespür für tief sitzende Emotionen. Sie nimmt den Zuschauer an die Hand und versetzt ihn ein Stück weit in seine eigene Kindheit, denn die Nöte der jungen Nelly sind an den entscheidenden Andockpunkten universell, sodass es leicht fällt, die Welt für eine kurze Zeit wieder durch Kinderaugen zu erleben.
Petite Maman lief auf der Berlinale im Wettbewerb um den Goldenen Bären!
Unsere Wertung:
© Lilies Films