Mit seinem Debüt Pornostar zeichnet Regisseur Toshiaki Toyoda ein düsteres Bild der japanischen Gesellschaft, in dem ein junger Mann radikal gegen die alteingesessene Yakuza vorgeht. Ob der Film in Machart und Aussage überzeugt, erfahrt ihr in unserer Review!
Pornostar – Handlung
Gekleidet in Jeans und einer dunkelgrünen Regenjacke, das Gesicht durch die Kapuze verdeckt, bahnt sich ein junger Mann unbeirrt seinen Weg durch die Rush Hour auf den Straßen von Shibuya. Er heißt Arano (Chihara Junia) und trägt hier seine Wut spazieren. Speziell auf die Yakuza, die hier überall und öffentlich ihren Geschäften nachgehen, hat er es abgesehen. Als er zwei von ihnen tötet, begegnet er Kamijo (Onimaro), der ihn ermorden soll. Stattdessen schleppt er ihn mit zu seiner Gang. Denn er ist kein eiskalter Killer. Arano begleitet die Junggangster nun bei ihrem Tagesgeschäft, wobei er wieder tötet.
Nebenher lernt er auch die hilfsbereite Skaterin Alice (Rin Ozawa) kennen. Sie lebt in den Tag hinein und geht für den ambitionierten, aber wenig skrupellosen Kamijo anschaffen. Dieser erhofft sich von seinem schweigsamen, neuen Freund, dass er anstelle seiner den Gangster Matsunaga (Tetta Sugimoto), einen Konkurrenten seines Bosses (Akaji Maro), tötet. Doch Arano hat kein Interesse daran, ihm gefällig zu sein. Sein Ziel ist es, gegen die Alltäglichkeit des Verbrechens ein Zeichen zu setzen…
Ein Anti-Yakuzafilm
Entgegen vieler seiner japanischen Kollegen lag dem damaligen Debütanten Toshiaki Toyoda nichts ferner, als das Leben der Yakuza zu romantisieren. Während etwa Takeshi Kitano oder Takashi Miike die Rolle der alteingesessenen Gangsterbanden in der Gesellschaft zwar kritisieren, aber auch ihre Funktion darin teilweise akzeptieren, gebiert sich Pornostar als grimmiger Rundumschlag gegen ein von innen her verrottetes, überholtes System. Als unterdrückte Stimme einer bürgerlichen Jugend, die dies nicht länger hinnehmen will, geht Arano auf die Straße, um dieses Übel auszumerzen. Das ist ein durchaus radikaler Ansatz, der dazu aufruft, statt Worten nun Taten sprechen zu lassen. Entsprechend wortkarg und entschlossen gibt sich der Protagonist.
Doch es sind nicht nur die Yakuza, die ihm zuwider sind, genauso ist es die japanische Leistungsgesellschaft. Gleich zweimal steht Arano einem jungen Skater bei, als dieser von erwachsenen Anzugträgern auf offener Straße brutal gemaßregelt wird, weil er sie aus Versehen angerempelt hat. Umso enttäuschter muss er später feststellen, dass auch diese Kids ihre Zukunft im organisierten Verbrechen sehen. Und es gibt noch Alice, mit der er sich eine Weile treiben lässt. Sie träumt von einem besseren Leben, entflieht aber eigentlich nur der Wirklichkeit mit Hilfe von Drogen. Dies sind alles Episoden am Rande, die allerdings durch ihre Einbettung in die fast schon banale Krimi-Handlung um die Jung-Yakuza geschickt hervorgehoben werden.
In dieser Haupthandlung, die sich um Arano und Kajima dreht, spinnt sich eine Spirale der Gewalt fort, die sich schleichend auch auf die Figuren in den Nebenhandlungen ausweitet. Augenscheinlich beginnt sie hier bei eben dem Mord an den beiden Yakuza (der aber auch im Off stattfindet). Aber das Bild, das sich am Ende von Pornostar ergibt, zeigt auf, dass unsere Schlüsselfigur in der Regenjacke diese Gewalt eben nur zur Quelle returniert.
Ein Blick in den Abgrund
Toshiaki Toyoda präsentiert sein Erstlingswerk in schmutzigen Bildern, die oftmals mit bewegter Kamera eingefangen wurden. Es dominieren harte Schwenks in den Gewaltszenen, was das scheue Wegblenden solcher Gewalt innerhalb der Gesellschaft nachzuäffen scheint. Direkt im Anschluss präsentiert er das Resultat, die Kamera fährt ruhig über den Tatort und hält bei den Toten kurz inne. Gönnte uns der Schnitt zuvor noch die Distanz, sucht das Bild danach die Konfrontation mit dem Tod. Das ist unangenehm und irritiert. Desgleichen funktionieren auch lange statische Aufnahmen, wenn sich Arano wie ein Fremdkörper durch die belebten Straßen bewegt. Er weicht nicht zurück, eckt an. Besonders beeindruckend gelungen ist hier die Eingangssequenz des Films, die ihn eine hochfrequentierte Straßen überquerend zeigt, direkt auf die Kamera zu. Daneben experimentiert Toyoda mit verschiedenen Kamera-Winkeln und Ausleuchtungen. Wenn es kurz vorm Ende dann Messer vom Himmel regnet, wird es sogar kurzzeitig surreal.
Die Geschichte in Pornostar spielt sich auch nicht in der Interaktion der Figuren ab. Sie sind bloß ein Abbild für verschiedene Seiten der Gesellschaft. In den jungen Skatern sehen wir die hoffnungsvoll zu den Yakuza aufschauenden Jugendlichen. Sie rebellieren gegen die Aussicht auf monotone Arbeitstage und Überstunden. Und gegen das Defizit an Aufmerksamkeit durch ihre Eltern, das diese mit sich bringen. Kamijo ist quasi ein Gangster in Ausbildung, er steht am Scheideweg. Noch kann er umkehren, er hadert noch mit sich. Sein alter Boss ist ein Rückblick auf das romantisierte Gangsterleben, oder auf das, was davon noch übrig ist. Der Kampf gegen seinen Rivalen dagegen spiegelt die blutige, unbarmherzige Realität dessen wider. Über allen hängt dabei das Damoklesschwert der Leistungsgesellschaft, die Menschen zu frustrierten Arbeitskräften degradiert. Es ist die Geschichte von aktiver wie passiver, aber in jedem Fall andauernder Gewalt.
Unser Fazit zu Pornostar
Toshiaki Toyodas Erstling wirkt immer noch so bedrückend und bitter-komisch wie zu seiner Erstveröffentlichung vor mittlerweile 19 Jahren. Die Neuauflage des Films kann man daher nur begrüßen, auch wenn das (kurze) Bonusmaterial von damals fehlt. Denn Pornostar verdient definitiv eine Wiederentdeckung, gerade weil er heute vielleicht noch aktueller als zuvor erscheint. Seit dem Ende der „Bubble-Economy“ hat sich gesellschaftlich nicht viel geändert. Die Yakuza sind seither viel tiefer in Wirtschaft und Politik vorgedrungen, während auf den Straßen die Gewalt durch neue, junge Banden stetig zunimmt. Es können sich zwar immer wieder junge Leute in neuen Nischen der Leistungsgesellschaft entziehen, jedoch fordert diese im Gegenzug der verbliebenen Majorität noch mehr Aufopferung ab. Und es gibt nur wenige Filme, die diesen verheerenden Kreislauf so konsequent abbilden, wie dieser.
Pornostar erschien am 29. Oktober als No. 21 der Reihe „Selected by Rapid Eye Movies“ auf DVD!
Unsere Wertung:
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