Der neue Film vom experimentellen taiwanischen Regisseur Tsai Ming-Liang ist auf der diesjährigen Berlinale für den goldenen Bären nominiert. Der sehr eigensinnige Filmemacher schuf mit Rizi erneut einen Film, der von vielen mit den höchsten Lorbeeren überschüttet wird und andere ratlos zurücklässt. Im Folgenden könnt ihr Genaueres über den Film ohne Drehbuch lesen.
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No data available.Worum geht es in Rizi?
Die Handlung von Rizi ist mitunter gar nicht so leicht zu beschreiben, weshalb hier nur eine kurze Inhaltsangabe genügen soll. Kang leidet an Verspannungen und benötigt Ruhe. Er erhält außerdem eine Akupunktur und muss eine Halskrause tragen, während sein Alltag relativ eintönig vonstatten geht. Währenddessen bereitet Non bei sich zuhause thailändische Spezialitäten zu. Etwas später treffen die beiden in einem Hotelzimmer aufeinander und verbringen eine gemeinsame Nacht zusammen – eine Nacht, die auch noch über sich hinauswirken wird. Die Geschichte wird dabei vollständig ohne Worte und Sprache erzählt.
Zwischen Dokumentation und Spielfilm
Ein Mann sitzt auf einem Stuhl und starrt aus dem Fenster, während es zuerst langsam und dann immer stärker zu regnen beginnt, bis es schließlich auch fast wieder aufhört. Währenddessen entzündet ein jüngerer Mann zwei Herdplatten und beginnt ein spezielles thailändisches Gericht zuzubereiten. Bereits mit diesen ersten beiden Szenen, die ungefähr die ersten 20 Minuten von Rizi einnehmen, macht der Streifen klar, in welcher Art und Weise er uns seine Geschichte erzählen möchte: langsam und mit viel Ruhe. Der Regisseur Tsai Ming-Liang ließ seine Aufnahmen teilweise stundenlang laufen, um schließlich nur einen kleinen Bruchteil davon zu verwenden und reiht sich damit in den Stil seines bisherigen Œuvres ein. Dennoch kommt einem dieser in Anbetracht der sonstigen Sehgewohnheiten wie eine Ewigkeit vor und in diesem Sinne ist der Streifen ein ausgesprochen spezielles Seherlebnis, welches nicht allen zusagen dürfte, aber durchaus auch sein Fans erreichen wird.
Dadurch befindet sich Rizi letzten Endes in einem Stadium zwischen Dokumentation und Spielfilm. Das geht soweit, dass es für den Film kein Drehbuch gab. Die beiden Darsteller trafen sich zum Essen, um dieses gemeinsame Dinieren stundenlang zu filmen. Beide bringen auch persönliche und private Erfahrungen ein. Anong Houngheuangsy beispielsweise ist kein hauptberuflicher Schauspieler, sondern bereitet in Bangkok tatsächlich thailändisches Essen zu, während Lee Kang-Sheng, der schon öfter mit Regisseur Ming-Liang gearbeitet hat, tatsächlich an irreparablen Nackenproblemen leidet, weshalb er eine Halskrause tragen muss.
Ganz viel Ruhe
Es fühlt sich fast schon wie ein Gegenentwurf zu unserer hektischen, informationsüberfrachteten Welt an, was Ming-Liang hier auf die Leinwand bannt. Fokus, Konzentration und Ruhe sind Zustände, die nur selten in unserer Gesellschaft von Bedeutung sind, erst recht während so trivialer Handlungen wie der Essenszubereitung und der Beobachtung des Wetters. Doch gerade diese Elemente machen Rizi zu einer ungemein sinnlichen Erfahrung, die durchaus ihr Ziel erreichen kann, wenn man bereit ist, sich der sanften Atmosphäre und der extremen Langatmigkeit hinzugeben. Das Zentrum des Streifens nimmt dabei die ausgiebige Massage der beiden Protagonisten ein, die sich zur sinnlichsten Szene des gesamten Festivals heraufschwingt. Es geht Ming-Liang um die mögliche Wahrnehmung jeder einzelnen Bewegung und jeden einzelnen Details im Bild. Bilder sollen nicht nur zweckgebunden und darstellend sein, sondern auch sinnlich erfahrbar werden, wie er auf der Pressekonferenz erklärt. Das benötige Zeit, weshalb es keinen anderen Ansatz für ihn geben könnte.
Was für eine Geschichte wird in Rizi erzählt?
Doch ist es nicht nur das Bild, das spricht. Schließlich handelt es sich hier nicht um einen Stummfilm. Auch wenn es zwar weder Text noch Musik in Rizi gibt, so existiert dennoch eine Tonspur, die sogar einen großen Teil der erzielten Wirkung ausmacht. Doch lässt sich der Film wirklich ausschließlich durch seine sinnlichen Erfahrungswert verstehen und kann diese Herangehensweise einen über zweistündigen Film gestalten und ausfüllen? Inhaltlich bietet der Streifen nämlich relativ wenig.
Kang scheint ein Mann zu sein, der unter enormer Anspannung steht. So sieht man ihn beispielsweise mit einer Halskrause die Straße entlanglaufen oder wie er eine elektrisch verstärkte Akupunktur über sich ergehen lässt. Es scheint ihn nach Ruhe zu verlangen, wohingegen Non ständig in Aktion ist. Ming-Liang baut gezielt zwei gegensätzlich Pole auf, die sich in ihren zunächst parallelen Handlungsebenen gegenseitig umwickeln, bis sich die beiden schließlich im Hotelzimmer im wahrsten Sinne des Wortes gegenseitig näher kommen und zärtlich umarmen. Alt und jung, arm und reich, entspannt und unentspannt, thailändisch und taiwanisch. Der Regisseur spielt mit diesen Polen und lässt sie sich letzten Endes vereinen, ohne dass auch nur ein Wort nötig wäre. Dadurch bleibt die tiefer liegende Symbolik und Deutung zwar vage, aber auch offen und vielfältig.
Dennoch kann man dem Streifen aber auch Gehaltlosigkeit vorwerfen. Es wirkt fast so, als müsse sich der Zuschauer oder Zuschauerin eher die eigene Bedeutung suchen, als dass genügend Anhaltspunkte geliefert werden. Falls man mit einer solchen Herangehensweise nicht anfangen kann, wird man einen überaus zähen und wahrscheinlich sogar langweiligen Film mitansehen müssen.
Meditation im Kino – Geht das?
Man kann sich auch fragen, inwieweit die meditative Energie, die von Rizi ausgeht, für den Kinosaal geeignet erscheint. Der Film strahlt eine solche Ruhe aus, dass man sich beinahe lieber in einer liegenden Position befinden möchte, als in einem möglicherweise engen Kinosaal, um diese Ruhe auch wirken zu lassen. Außerdem lädt allein die Räumlichkeit eines Kinosaal eher weniger dazu ein, eine solche Art der Stimmung wirklich in sich aufnehmen zu können. Daher ist es durchaus fraglich, wie viele der Bilder und Töne sich letzten Endes entfalten können. Ein solches Stimmungskino wirkt fast schon eher geeignet für ein Entspannungsstudio. Hat man nämlich einmal die Herangehensweise verstanden, was nach spätestens einer halben Stunde der Fall ist, so ergeben sich in Anschluss daran weitere 90 Minuten, die nur gelegentlich für echte Aufmerksamkeit sorgen können. Besonders durch die Länge des Streifens kann der gewünschte Effekt also auch nach hinten losgehen.
Unser Fazit zu Rizi
Zusammenfassend betrachtet stellt Rizi ein wirklich bemerkenswertes Experiment dar, dass Mut zur Ruhe und Konstanz beweist und seine Inszenierung dabei unglaublich authentisch vermitteln kann. Die beiden Darsteller, die viele persönlichen Elemente in ihre Rollen einfließen lassen, können überzeugen und auch handwerklich ergibt sich eine faszinierende Ästhetik. Doch ist es vor allem eine sinnliche Erfahrungsreise, die je nach Zuschauer oder Zuschauerin aufgehen kann, oder auch nicht. Die einen werden sich vollständig in den Bildern und Tönen verlieren können, während andere sich über den minutenlangen Standeinstellungen zu Tode langweilen werden. Beides ist durchaus nachvollziehbar, weshalb es sich als durchaus schwierig gestaltet, diesem Film ein abschließendes Urteil abzuringen, doch vielleicht könnte man es so formulieren: Rizi versucht, die sinnliche und sanfte Beziehung zweier Männer ohne Worte zu fassen zu bekommen und läuft dabei doch Gefahr, seine Botschaft nicht vermitteln zu können. Das hängt allein vom Sprachverständnis des Zuschauers oder der Zuschauerin ab.
Der Film feierte am 27. Februar auf der diesjährigen Berlinale seine Premiere und läuft seit diesem Zeitpunkt auf dem Festival. Ein offizieller deutscher Kinostarttermin ist noch nicht bekannt.
Unsere Wertung:
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