In Ratched hat Sarah Paulson zuletzt als mysteriöse Krankenschwester überzeugt. Nun spielt sie in Run eine Mutter, die ebenfalls nicht ganz ohne eine dunkle Seite daherkommt. Ob der neue Film vom Regisseur von Searching wieder Spannung mit dem gewissen Etwas bietet, erfahrt ihr in dieser Filmkritik.
Die Handlung von Run – Du kannst ihr nicht entkommen
Eigentlich kann sich Chloe Sherman (Kiera Allen) glücklich schätzen, eine Mutter wie Diane (Sarah Paulson) zu haben. Der Teenager hat nicht nur große Einschränkungen durch diverse Krankheiten wie Diabetes oder Asthma, sondern ist auch an den Rollstuhl gebunden und muss täglich unzählige Medikamente einnehmen. Ohne eine Mutter, die sich bereitwillig für ihre Tochter aufopfert, könnte Chloe wohl nicht wie gewöhnliche Jugendliche langsam dem College entgegenfiebern.
Seltsamerweise bekommt sie jedoch auf ihre Unibewerbungen keine Antworten und als ihre Mutter eines Tages vom Einkaufen nach Hause kommt, entdeckt Chloe, dass auch mit einer Tablettendose etwas nicht stimmt. Langsam beginnt sie an den Geschichten, die ihre Mom ihr auftischt, zu zweifeln. Verheimlicht die Übermutter etwas vor ihrer kranken Tochter? Es beginnt eine Suche nach der Wahrheit hinter den Medikamenten, ihrer Krankheit und ihrer Vergangenheit.
Langsam bröckelt die idyllische Zweisamkeit
Zu Beginn erfahren wir, dass es schon bei der Geburt von Chloe Komplikationen gab. Daraus resultiert eine tiefe Verbundenheit, die weit über ein normales Mutter-Tochter-Verhältnis hinausgeht. Das zerbrechliche Mädchen wird zuhause unterrichtet, mit zig Medikamenten therapiert und fast komplett von der Außenwelt abgeschirmt. Nichtsdestotrotz schlummert selbst in einem Teenager mit solch außergewöhnlicher Kindheit der Wunsch nach Selbstständigkeit und Freiheit. Doch genau davor, dass dieses Begehren in Chloe zu stark wird, hat Diane die größte Angst. Mit dem zunehmenden Hinterfragen bestimmter Dinge durch Chloe, wächst auch beim Zuschauer immer mehr die Skepsis gegenüber der Rechtschaffenheit der Mustermutter. An dieser Stelle müsste man eigentlich eine Parallele zu einer Serie aus dem vorletzten Jahr, die leider zu offensichtlich ist, ansprechen. Dies soll aus Spoiler-Gründen jedoch erst am Ende des Textes kurz geschehen.
Kammerspiel mit Genreelementen
Run ist in erster Linie ein kurzweiliger Psychothriller, der sich größtenteils im Haushalt von Mutter und Tochter Sherman abspielt. Nur wenige Szenen finden an anderen Schauplätzen statt und selbst dann konzentriert sich der Film weiterhin komplett auf die Protagonistinnen. Über die Nebendarsteller muss man deswegen auch gar nicht groß sprechen. Dass man trotz einiger vorauszusehenden Wendungen und wenigen Überraschungen einigermaßen gebannt bei der Sache bleibt, liegt insbesondere daran, dass das Kammerspiel mit Elementen verschiedener Filmgattungen angereichert wird. Dabei gibt es Szenen, bei denen einem vor Spannung kurz der Atem stockt – wie typischerweise bei Werken aus dem Psychohorrorbereich. Genauso können auch ein paar Sequenzen durchaus glänzen, mit denen Run an die Atmosphäre von klassischen Ausbruch-Thrillern erinnert. In den ersten zwei Dritteln gelingt es dabei gut, Suspense aufzubauen und aufrecht zu halten.
Run zeigt eine engagierte Newcomerin,…
Das liegt auch an der überaus starken Performance der Jungdarstellerin Kiera Allen, an deren Seite man Schritt für Schritt beginnt, die Mutter in ihrer Wahrhaftigkeit zu hinterfragen und letztlich gar die Angst mit ihr zu teilen. Die Leistung weiß man zumal umso mehr zu schätzen, wenn man bedenkt, dass Allen auch im echten Leben im Rollstuhl sitzt. Dieser Fakt im Hinterkopf lässt bestimmte Szenen mit anderen Augen sehen. Ebenfalls ist es gelungen, dass die Entscheidungen, die Chloe treffen muss, größtenteils nachvollziehbar sind. Nur wenige Male kann man sich weniger konstruierte Alternativen vorstellen. Alles in allem ist es vor allem der Sympathie für die junge Frau geschuldet, dass das Interesse bis zum Schluss bleibt.
… aber nichts Neues von Sarah Paulson
Die Gegenspielerin spielt einmal mehr Sarah Paulson mit ihrer schauspielerischen Extraklasse. Ihr gelingt es fast von Beginn an, eine Mutter zu spielen, bei deren Erscheinen im Bild sich sofort Unbehagen einstellt. Ihre Aura ist angsteinflößend, ihre Blicke sind voller Bedrohlichkeit und die Ruhe, mit der sie einige Abscheulichkeiten begeht, macht sie zu einer perfekt besetzten Psychopathin. Das klingt alles sehr positiv und ist auch wieder ein starker Pluspunkt des Films. Jedoch könnten sich beim Zuschauer schon leichte Ermüdungserscheinungen einstellen, wenn man Paulson auch in ihren letzten Rollen gesehen hat. Die Interpretation einer psychopathischen Mutter erinnert schon in einigen Nuancen stark an ihre Darstellung der eiskalten Krankenschwester in Ratched. Fans ihres Schauspiels kommen also voll auf ihre Kosten, dem neutralen Publikum offenbart sich hier leider keine neue Facette.
Die Tempoverschärfung ruiniert die unbehagliche Stimmung
Was dem über weite Strecken spannenden Psychothriller das Genick bricht, ist ein völlig überhastetes Schlussdrittel. Der nur knapp über 80 Minuten lange Streifen bereitet in den ersten 60 Minuten mit bewusst verschlepptem Tempo ein finales Duell zwischen Mutter und Tochter vor, bei dem die Sympathien genauso ungleich verteilt scheinen, wie die körperlichen Mittel der Kontrahentinnen. Jedoch entlädt sich die aufgebaute Spannung dann so hektisch und nach Schema F, dass der Rest an Glaubwürdigkeit bei aller Konstruiertheit gar abhanden kommt. Durch den faden Eindruck, den das Ende hinterlässt, verspielt der Film viel des Kredits, den man sich durch soliden Spannungsaufbau erarbeiten konnte.
Unser Fazit zu Run – Du kannst ihr nicht entkommen
Mit seinem neuen Film hat der Regisseur von Searching zu sehr auf konventionelle Muster des Thrillergenres gesetzt. Die Innovation des Desktop-Krimis tauscht er gegen eine behutsam angelegte Kammerspielgeschichte aus, deren Spannungsgerüst durch ein überhastetes Ende komplett in sich zusammenfällt. Dass man dennoch einen Blick wagen darf, liegt an der einnehmenden Leistung einer starken Newcomerin und an der routinierten Präsenz von Sarah Paulson, die einmal mehr ihre Qualität in einer psychopathischen Rolle unter Beweis stellt.
Auch Erinnerungen an den Stephen King Klassiker Misery werden unweigerlich geweckt. Über die diabolische Darbietung von Kathy Bates wird noch in etlichen Jahren gesprochen werden, über diesen Film spricht wahrscheinlich schon in einem halben Jahr niemand mehr.
!!! Achtung Spoiler zum Film und zur Serie The Act !!!
Bereits nach wenigen Minuten kommt in Run ans Licht, dass die Mutter gezielt mit Medikamenten die eigene Tochter krank macht. Es handelt sich also um einen Fall des sogenannten Münchhausen-Stellvertretersyndroms. Bereits im Jahr 2019 konnte eine Serie mit dieser heiklen Thematik für Furore sorgen. In The Act wurde sich dem realen Fall von Dee Dee Blanchard gewidmet, die, nachdem ihre Tochter von den Taten ihrer Mutter erfahren hatte, diese mit einem Freund zusammen ermordet haben soll. Im Gegensatz zum hier besprochenen Film gelingt es über die Lauflänge der Serie viel besser ein Bild dieser psychischen Krankheit zu skizzieren und trotzdem einen packenden Thriller zu erzählen. Auch die Verbindungen, die die isolierte Tochter zur Außenwelt aufbaut, werden in The Act gut eingesetzt, um ein stimmigeres Gefühl dafür zu bekommen wie es ist, wenn man in einer solchen Blase sozialisiert wird. Daher sei die Serie für Interessierte an diesem Phänomen empfohlen.
Run ist bereits digital erschienen sowie als Blu-Ray und DVD seit dem 15. Januar 2021 erhältlich.
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