Goldgräberstimmung 3.0? Vermutlich vom Yellowstone-Hype angeschoben stürzt sich auch Netflix wieder verstärkt aufs Western-Genre. Nach Territory kommt nun direkt mit American Primeval eine weitere hoch ambitionierte Produktion zum Streaming-Riesen. Sind die Claims inzwischen abgesteckt oder behauptet sich der Sechsteiler gegen die schlagkräftige Konkurrenz?
Titel | American Primeval |
Jahr | 2025 |
Land | United States of America |
Genres | Western, Drama, Action & Adventure |
Darsteller | Taylor Kitsch, Betty Gilpin, Dane DeHaan, Saura Lightfoot Leon, Derek Hinkey, Joe Tippett, Jai Courtney, Preston Mota, Shawnee Pourier, Shea Whigham |
Länge | Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Netflix, Netflix basic with Ads |
American Primeval – Die offizielle Handlung
Amerika im Jahre 1857: Nicht nur gelten völlig neue Gesetze, auch das Elend ist groß. Unschuld und Besonnenheit werden langsam, aber sicher von Hass und Angst verdrängt. Nur wenige wollen Frieden, noch wenigere haben Anstand – und nur die wenigsten zeigen Erbarmen. In diesem rauen und gefährlichen Land gibt es nur ein Ziel: zu überleben. American Primeval basiert auf wahren Begebenheiten und beleuchtet die gewaltvolle Kollision von Kulturen, Religionen und Gemeinschaften, bei der Männer und Frauen um die Herrschaft über dieses Land kämpfen – selbst, wenn das ihren Tod bedeutet.
Mini- statt langlebige Serie
Während vielen Projekten von Beginn an der Mehrstaffel-Plan anzumerken ist, ist nun mit American Primeval ein Serienformat am Start, das eindeutig als abgeschlossene Miniserie angelegt und vermarket ist. Das ist beim maßgeblich verantwortlichen Regisseur des Ganzen auch keine Überraschung, ist Peter Berg doch, auch wenn er zuletzt schon für Netflix’ Painkiller auf dem Stuhl Platz nahm, eigentlich ein ausgewiesener Kinofilm-Experte. Deepwater Horizon, Boston, Mile 22 – insbesondere die fruchtbare Zusammenarbeit mit Mark Wahlberg hat in den letzten Jahren in den weltweiten Kinos ihre Spuren hinterlassen. Es ist schon fast überraschend, dass Wahlberg hier nun nicht mitwirkt. Dafür hat er aber einen anderen Darsteller mitgebracht, mit dem er bereits mehrfach, unter anderem bei Painkiller oder Friday Night Lights zusammengearbeitet hat: Taylor Kitsch.
Und auch abgesehen vom Cast, merkt man hier eindeutig die Berg-Handschrift, obwohl der Action-erfahrene Filmemacher bislang noch keine Erfahrung im Western-Bereich vorzuweisen hat. Das entsättigte Farbschema, der treibende Score im Hintergrund, das allgemein hohe Tempo und die überdurchschnittliche Härte – das alles bringt Berg mit in sein Western-Debüt und sorgt so schon einmal dafür, dass diese Miniserie sich von allen Genre-Titeln der letzten Jahre stilistisch abhebt. Die Tendenz zur Rastlosigkeit bedingt dann wiederum, dass das Schauen, verglichen mit beispielsweise eben Yellowstone und Co. anstrengender ist, sich mehr nach Film anfühlt – nur eben sechsgeteilt. Damit ist die Länge sowohl der Inszenierung, aber auch der Handlung entsprechend angemessen gewählt. Dieser Stoff hier ist eindeutig Material für ein kompaktes Format, keine Story, die sich über Staffeln strecken ließe. Zum Glück hat Netflix dies von Beginn an erkannt.
Inhaltlich ziemlich klassisch, …
Die Konflikte, die in American Primeval thematisiert werden, könnten formelhafter kaum sein: Cowboys und Siedler gegen Indigene, Vertreter des protestantischen Christentums gegen Mormonen, Gut gegen Böse. Aber sind wir mal ehrlich: von einem klassischen Western erwartet man doch auch gar nichts anderes. Viel wichtiger sind dann interessante Figuren, deren tragische Schicksale, und dass man auch im heimischen Wohnzimmer beim Zuschauen mitten im rauen wilden Westen wähnt. Und hier schafft es Peter Berg tatsächlich fast wunschlos glücklich zu machen – insofern man eben mit der richtigen Erwartungshaltung an die Sache rangeht.
Ähnlich wie Kevin Costners Horizon ist das Spannende an diesem Projekt, dass man ein und die selbe Geschichte schon vor 50 Jahren hätte erzählen können, aber durch die moderne Technik und deren forcierten Einsatz entsteht doch der Eindruck, dass man etwas beiwohnt, was man so eben noch nicht erlebt hat. Man hat schon Dutzende Mal in Filme und Serien zusehen können, wie ein Mensch skalpiert wird, aber so intensiv und realistisch, sah das eben vor wenigen Jahren noch nicht aus. Berg macht sich die Möglichkeiten anno 2024 zunutze, um die Härte, die man von ihm aus modernen Stoffen kennt, auf das Western-Genre zu übertragen.
… eigenwillig fotografiert, …
Die Kameraarbeit fällt dabei besonders aus dem Genre-typischen Raster: Der Look ist ziemlich deutlich digital ausgelegt, immer wieder gibt es weitwinklige Nahaufnahmen, die einen äußerst unruhigen Eindruck vermitteln und die hektische Atmosphäre unterstreichen. Der gesamte Schnitt ist extrem hochfrequentiert, sodass Fans langer Einstellungen hier binnen Minuten Kopfschmerzen bekommen werden. Auch wenn die Story fast zeitgleich zum Yellowstone-Prequel 1883 angesiedelt wurde und auch hier Begegnungen zwischen verschiedenen Parteien mit Gebietsbesitzansprüchen im Zentrum stehen, könnte der Kontrast zum fast romantischen Sheridan-Western nicht größer sein. Dort weite Landschaften, die das Pioniersein umrahmen, hier nun Bilder, die Enge erzeugen, um zu vermitteln, wie begrenzt trotz der unendlichen Weiten doch der Handlungsspielraum ist, wenn man kaum Mittel, wenig Nahrung und viele Feinde hat.
… aber teils auch etwas anachronistisch
Das mag zwar dann erstmal wie ein Kulturschock wirken, ist man eben die Sheridan-Optik und -Handschrift gewöhnt, doch es funktioniert über weite Strecken erstaunlich gut, eine immersive Wirkung durch diese Inszenierung zu erzielen. Eher vergleichen kann man dann American Primeval sogar mit dem Oscar-prämierten Rache-Western The Revenant, mit dem erbarmungslosen Brimstone oder mit der ebenfalls bei Netflix erschienenen Miniserie Godless. Doch was der Berg-Serie verglichen mit den besagten Referenzen etwas die Glaubwürdigkeit untergräbt, sind die ein oder andere Regie- und Darstellungsentscheidung, die doch zu sehr nach Jetztzeit wirken. Ein Beispiel hierfür ist das auffällig professionelle Verhalten der Taylor Kitsch Figur, das fast wirkt, als hätte ebenjener eine Navy-Seal-Ausbildung genossen und wäre nicht lediglich durch die harte Schule der Natur ausgebildet worden.
Bei den Dialogen wiederholt sich dieser Eindruck nochmal, denn manche Gespräche werden so geführt, wie man ihnen auch heute noch beiwohnen könnte und nicht authentisch wie in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Hier hat seinerzeit Deadwood einen wesentlich akkurateren Trip in die Vergangenheit vermittelt. Hat man sich aber auf die kleinen Anachronismen eingestellt und lässt fünfe grade sein, dann stört auch der manchmal etwas zu expositionelle Unterton in der ein oder anderen Gesprächszeile nicht wirklich. Es ist eben alles in allem doch eine Thrillerserie im Western-Gewand als eine Zeitreise mit Augenmerk auf historischer Korrektheit.
Betty Gilpin MVP
Wenn man sich von den Feinheiten nicht herausreißen lässt, kann man sich auch besser an den doch wieder durch die Bank starken Schauspielleistungen der beteiligten Hochkaräter erfreuen. Manch einer neigt zwar dazu seine Rolle leicht theatralisch, fast klischeehaft zu interpretieren. Insbesondere bei den Schurken fällt das schon immer wieder auf. Doch dann taucht eben Betty Gilpin auf, nimmt die ganze Szene in Beschlag und lässt die Schwächen der Kollegen in Windeseile vergessen. Schon in G.L.O.W. war sie eine Entdeckung, in The Hunt die halbe Miete in einem spaßigen Trip und in Mrs. Davis eine absolute Offenbarung – wortwörtlich. An diese Performances schließt sich diese in American Primeval nahtlos an. Sie schlüpft damit in die Fußspuren von starken Frauenfiguren in Western-Geschichten, wie Rosamund Pike in Hostiles oder Dakota Fanning in Brimstone. Ihr Leiden geht unter die Haut, ihr Durchhaltevermögen inspiriert.
Protagonist Kitsch strahlt auch viel aus, man nimmt ihm durch seine Körperlichkeit den fast übermenschlich starken Kämpfer ab. Auch in der ruhigen Szenen, wenn er mal Emotionen zeigen muss, überzeugt der John-Carter-Darsteller. Ebenfalls bemerkenswert sind die Darbietungen zahlreicher indigener Darsteller:innen in der Miniserie, die hier sogar verhältnismäßig ambivalent in Erscheinung treten und nicht in die Klischeefalle tappen, wie es noch vor wenigen Jahren regelmäßig der Fall war. Es gelingt sogar ziemlich gut, hin und wieder Verständnis für deren Lebensweise zu vermitteln, ohne dabei in die Romantisierung abzugleiten. Ein starker Schritt in die richtige Richtung, der sich schon in Costners Horizon oder der Serie The English zuletzt angedeutet hatte.
Unser Fazit zu American Primeval
In modernen Bildern, mit Wucht inszeniert und ohne ausufernde Verschnaufpause geschrieben, bringt Peter Bergs American Primeval frischen Wind ins wieder aufflammende Western-Serien-Genre. Für Fans klassischer Cowboy-und-Indianer-Geschichten mag der Titel zwar inhaltlich stimmig daherkommen, womöglich aber durch die Optik rausreißen. Nicht jeder wird hier Anklang finden, aber wen der Auftakt überzeugt, der wird vermutlich alle Folgen am Stück bingen.
American Primeval startet am 9. Januar 2025 bei Netflix.
Unsere Wertung:
© Netflix