Aus Mangel an Beweisen zeigt uns wieder eine neue Seite von Jake Gyllenhaal, denn diesmal muss er als Anwalt, der selbst in Verdacht gerät, seine eigene Unschuld beweisen. Ein gelungener Justizthriller oder ein langweiliger Ausflug ins Gericht?
Titel | Aus Mangel an Beweisen |
Jahr | 2024 |
Land | United States of America |
Genres | Drama, Mystery |
Darsteller | Jake Gyllenhaal, Ruth Negga, Bill Camp, O-T Fagbenle, Chase Infiniti, Elizabeth Marvel, Nana Mensah, Renate Reinsve, Peter Sarsgaard, Kingston Rumi Southwick |
Länge | Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Apple TV Plus |
Aus Mangel an Beweisen – Die Story
Der leitenden stellvertretende Staatsanwalts Rusty Sabich (Jake Gyllenhaal) ermittelt in einem schrecklichen Mordfall, der die Staatsanwaltschaft von Chicago in Aufruhr versetzt, als einer ihrer eigenen Leute des Verbrechens verdächtigt wird. Aus Mangel an Beweisen handelt von Besessenheit, Sex, Politik und der Stärke und den Grenzen der Liebe, während der Angeklagte darum kämpft, seine Familie und seine Ehe zusammenzuhalten.
Erneut ein ganz anderer Gyllenhaal
Man reibt sich schon etwas ungläubig die Augen, wenn man sich darüber bewusst wird, dass DAS der selbe Darsteller ist, der sich vor kurzem bei der Konkurrenz von Amazon Prime selbstironisch mit Conor McGregor geprügelt hat. Aber wir hatten ja bereits ein Special über die Wandlungsfähigkeit von Jake Gyllenhaal veröffentlicht und dementsprechend sollten unsere treuen Leser vorgewarnt gewesen sein, wie schnell aus dem Darsteller nun ein seriöser, gebrochener Anwalt werden konnte. Und auch wenn man ihm in Road House ja wirklich den Spaß von Sekunde eins an ansehen konnte, so wird hier deutlich, dass er doch weitaus mehr auf dem Kasten hat, als rein physisch schon beeindruckende Rollen zu übernehmen. Gyllenhaal ist eben auch ein begnadeter Charakterdarsteller, wenngleich er immer wieder die Grenzen zum Over Acting auslotet – so auch in Aus Mangel an Beweisen.
Nun ist er also ein Familienvater, ein Staatsanwalt – und recht schnell auch ein Mensch, der sich den Trümmern seiner Existenz gegenübersieht. Die Krimi-Adaption, hinter der unter anderem auch die Produktionsschmiede von J.J. Abrams steckt, hat eine extrem dichte Atmosphäre, vom ersten Bild an. Düster, abgründig und irgendwie doch süchtig machend – so kann man Thriller wie diesen beschreiben, die sich ohne einen Hauch von humoristischer Auflockerung voll und ganz dem Ernst der Situation verschreiben. Das bedeutet, dass diese Miniserie alles in allem ein Charakterstück ist, bei dem die Psychen der Handlungsträger in den Mühlen des Justizsystems in ihre Einzelteile zerlegt werden und das Publikum dem mit Hochspannung beiwohnen darf.
Zweite Verfilmung eines Welterfolgs
Die Geschichte per se ist quasi ein Klassiker des Genres. 1987 von Scott Turow veröffentlicht, wurde Aus Mangel an Beweisen bereits 1990 unter anderem mit Harrison Ford in der Gyllenhaal-Rolle schon einmal adaptiert. Damals als zweistündiger Film, nun eben als achtteilige Miniserie. Damals von Alan J. Pakula, jetzt von zwei äußerst versierten Serienregie-Spezialisten. Schon damals mit einem starken John-Williams-Score und heute mit einem modernen, fesselnder Soundtrack, der die Spannung noch zu verstärken vermag. Ob man nun die Ford-Version des Protagonisten oder die Neuinterpretation besser findet, ist wie so oft Geschmacksache. Fest steht aber objektiv betrachtet, dass die Neufassung von Apple TV+ die zeitlose Grundgeschichte ins Hier und Jetzt übersetzt hat und damit für heutige Sehgewohnheiten wesentlich leichter zu konsumieren ist.
Wie bei den meisten Krimis sollen hier – obwohl ja bereits die Vorlage und die alte Verfilmung einige Jahre auf dem Buckel haben – weder Wendungen noch der Ausgang verraten werden. Der Weg dorthin hingegen darf durchaus analysiert, bewertet und mit dem 1990er-Film verglichen werden. Wie gesagt, ist der Stoff per se, beziehungsweise die moralischen Dilemmata und Fragen an die Zuschauenden zeitlos und auch in der deutlich längeren Version der Serie nicht zu umfassend abgehandelt, um nicht noch Spielraum für individuelle Einschätzungen zu lassen. Dank der nun aber deutlich längeren Zeit, die man mit den Protagonisten verbringt, werden diese in ihren Motiven viel greifbarer und wachsen zu besseren Identifikationsfiguren heran. Was hingegen für den Film im direkten Vergleich spricht, ist zweifelsohne sein Tempo, denn verglichen damit ist das Pacing der Serie doch „Slow Burn“ – wenn auch im besseren Sinne.
Modern, ausdrucksstark und zum Niederknien gut gespielt
Ob man auch in der 2024er-Version dem Ende der Vorlage folgt, oder ob man davon merklich abweicht, wird natürlich auch nicht verraten. Man darf jedoch festhalten, dass die moderne Inszenierung – die unterkühlte Farbgebung, die Kamerawinkel, das Spiel mit Unschärfe – der Tonalität gut zu Gesicht stehen und das permanent Unwohlsein beim Schauen katalysieren. Modern ist des Weiteren, dass man einige gesellschaftlich bedingte Rollenzuweisungen aus der Vorlage aufgebrochen und zeitgemäß umgemodelt hat. Im Endeffekt ist Aus Mangel an Beweisen aber trotzdem kein Twist-Feuerwerk und kein Thriller, der mit wenigen Paukenschlägen auf Krawall gebürstet ist, sondern einer der sich der Devise „In der Ruhe liegt die Kraft“ verschrieben hat und durch die schrittweise Sezierung der Umstände allmählich das Puzzle zusammenstückelt und dabei immer wieder Nadelstiche ins Nervenkostüm der Zuschauer zu setzen vermag.
Dass hier die Rädchen so gut ineinandergreifen und man selbst als Kenner des Stoffs mitgerissen wird, liegt dann vor allem an einem sensationell guten Ensemble. Ja, Gyllenhaal ist hier natürlich zu nennen. Denn auch in der Rolle eines Mannes unter Mordverdacht, der von allen in die Ecke gedrängt wird, glänzt der Mime. Doch er kann sich eben auch auf seine Mitspieler verlassen, die in weiten Teilen ambivalente Charaktere aufbauen, die sich nie komplett in die Karten schauen lassen. Ob Bill Camp als Mentor und Freund von Rusty, Ruth Negga als seine Gattin, die im Rahmen der Ermittlungen vor schreckliche Tatsachen gestellt wird oder aber auch Lily Rabe als Psychologin – hier liefert jede und jeder im Cast ab!
Wer sollte sich Aus Mangel an Beweisen nicht entgehen lassen?
Hierfür gibt es einige Referenztitel, die tonal Anhaltspunkte liefern, um zu entscheiden, ob man sich auch hierauf einlassen können wird. Zuvorderst kann man direkt die ebenfalls bei Apple TV+ erschienene Thriller-Serie Defending Jacob mit Chris Evans nennen, in der es ebenfalls um die Frage nach Schuld und Unschuld in einem familiären Kontext geht. Auch an The Undoing mit Nicole Kidman und Hugh Grant werden sich Kenner erinnert fühlen, zumal auch dort Lily Rabe eine Nebenrolle innehatte. Und wer die dichte Atmosphäre der HBO-Miniserie The Night Of zu schätzen wusste, wird vergleichbar packende Szenen auch in Aus Mangel an Beweisen sehen.
Unser Fazit zu Aus Mangel an Beweisen
Mit Sicherheit gibt es ausgetüfteltere Kriminalfälle, aber nicht viele sind moralisch so herausfordernd wie die Story in Aus Mangel an Beweisen. Das hat im Buch funktioniert und in der Filmadaption mit Harrison Ford – und es funktioniert vor allem für das heutige Publikum auch in der modernisierten Fassung, die uns Apple TV+ hier nun mit einem sensationellen Cast serviert. Man muss sich auf ein langsames Pacing einlassen können und abstrahieren, dass Jake Gyllenhaal hier einmal ganz bewusst schauspielerisch auf die Bremse tritt. Dann aber laden acht Folgen dazu ein, dass man nägelkauend auf dem Sofa sitzt und einer markerschütternden Enthüllung beiwohnen darf.
Aus Mangel an Beweisen startet am 12. Juni 2024 bei Apple TV+ mit zwei Folgen und geht danach im Wochenrhythmus weiter!
Unsere Wertung:
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