Die Mini-Serie Escape at Dannemora erzählt die wahre Geschichte von zwei verurteilten Mördern, die im Jahr 2015 aus einem Hochsicherheitsgefängnis im Bundesstaat New York entflohen. Ob Regisseur Ben Stiller mit diesem ernsten Thriller-Drama über seinen eigenen Schatten als Klamauk-Komödiant springt, erfahrt ihr im Folgenden.
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Titel | Escape at Dannemora |
Jahr | 2018 |
Land | United States of America |
Genres | Drama, Krimi |
Darsteller | Benicio del Toro, Paul Dano, Patricia Arquette, David Morse, Eric Lange, Bonnie Hunt, Gregory Dann |
Länge | Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Paramount Plus, Paramount+ Amazon Channel, Paramount Plus Apple TV Channel Kaufen: Apple TV, Amazon Video |
Worum genau geht’s in Escape at Dannemora?
2015, Das Hochsicherheitsgefängnis Clinton Correctional Facility in Dannemora, New York: Die beiden verurteilten Mörder Richard Matt (Benicio del Toro) und David Sweat (Paul Dano) planen akribisch einen Gefängnisausbruch. Diesen wollen der skrupellose Matt und der gewissenhafte Sweat mit Hilfe der Gefängnisangestellten Tilly Mitchell (Patricia Arquette) realisieren, welche, genervt von ihrem Ehemann, mit beiden ein sexuelles Verhältnis pflegt. Auch der harte, aber faire Gefängniswärter Gene Palmer (David Morse) wird gekonnt von Matt um den Finger gewickelt. Während Sweat angestrengt einen komplexen Fluchtweg über unterirdische Gänge, klaustrophobisch enge Belüftungsrohre und durch die düstere Kanalisation entwickelt, sorgt Matt für die dafür notwendige Materialbeschaffung mittels Tilly, die sich vom grauen Alltag weg hin zu spannenden Abenteuern wünscht. Wie die wahre Geschichte, welche 2015 durch alle US-amerikanischen Medien raste, bereits bekannt gab, gelingt den Kriminellen als aller erstes in der Geschichte des Gefängnisses der spektakuläre Ausbruch. Doch ab da beginnt die eigentliche Flucht erst…
Ben Stiller als ernstzunehmender Geschichtenerzähler
In diesem Fall sollte man sich vom Namen Ben Stiller, der eher für alberne Komödien bekannt ist, nicht abschrecken lassen. Die viel zu unbekannte Mini-Serie des Senders Showtime ist ein über 425 Minuten mit aller Ruhe und Präzision aufgebautes Charakter-Drama. Gerade die ersten Episoden dienen der Figureneinführung und sind fast schon als langatmig zu bezeichnen, wenn da nicht von Anfang an die Gewissheit unter der Oberfläche lauert, dass etwas passieren wird, und zwar schon sehr bald.
Am spannendsten gestaltet sich der zweite Akt, an dem die Serie durch die Fluchtvorbereitung und dessen anschließender Ausführung ihren Höhepunkt erreicht. Wie Sweat zum ersten mal die Luft der Freiheit schnuppert, gestaltet Stiller zu Beginn der fünften Episode als minutenlange Plansequenz, deren Schnitte und Kamerafahrten so genial platziert sind, dass nicht ansatzweise auffällt, dass zwischen den Locations teilweise mehrere hunderte Kilometer liegen. Auch abseits dieser Meisterleistung besteht Escape at Dannemora immer wieder aus präzise aufgebautem Erzählkino. Langsam bewegt sich die Kamera durch die Korridore, an Zellen vorbei, durch Gitterstäbe hindurch und bleibt nicht selten an den Gesichtern der fabelhaften Darsteller hängen, deren Mimik allein ausreicht, um die Story in manchen Teilen voranzutreiben. Auch außerhalb des Gefängnisses entstehen immer wieder kompositorisch wunderschöne, aber dennoch realistische Bilder. Stillers Regie agiert als nüchterner Beobachter der Ereignisse. Dem Zuschauer etwas mittels Dialogen vorzukauen liegt ebenso wenig in seinem Interesse wie eine Wertung jeglicher Art.
Sympathische Mörder
Besonders raffiniert gestaltet sich dabei der stetige Aufbau von Sympathie mit den Mördern Sweat und Matt. Im Laufe der Serie fiebert man mit diesen beiden Ausbrechern nämlich tatsächlich immer mehr mit, was nicht zuletzt an den tadellosen darstellerischen Leistungen liegt. Benicio Del Toro setzt hier abermals seinen psychopathischen Blick auf, der nicht selten an Jack Nicholson in The Shining erinnert. Andererseits weiß er mit seiner charmanten Art den Zuschauer ebenso um den Finger zu wickeln wie es seine Figur mit Tilly macht. Diese wird ebenbürtig von Patricia Arquette als weinerliche, vom Ehe- und Arbeitsleben frustrierte Gefängnismitarbeiterin verkörpert. Auch Paul Dano hat schon oft sein schauspielerisches Talent unter Beweis gestellt, hier verkörpert er überzeugend einen intelligenten und gewissenhaften Mann, der sich ebenso mit seiner ungleichen Freundschaft zu Matt deutliche Sympathiepunkte verdient.
Doch dann folgt Episode 6, welche die Vergangenheit dieses Dreiergespanns beleuchtet, und schon müssen jegliche Sympathien in Frage gestellt werden. Denn es hat einen Grund, warum Matt und Sweat im Gefängnis sitzen. Gerade bei einer eher ruhigen Person wie Sweat ist sowas in den vorherigen Episoden immer weiter in den Hintergrund gerückt. Selbst eine nicht inhaftierte Person wie Tilly ist kein Unschuldslamm, auch sie besitzt eine düstere Vergangenheit. Mit dieser Dekonstruktion der Figurenbilder will Stiller vor potentiell aufkeimender Identifikation mit diesen verkommenen Persönlichkeiten warnen. Dies gelingt ihm auch auf schockierende Weise, jedoch ohne belehrend den Zeigefinger zu erheben. Der Blickwinkel auf die Ereignisse bleibt weiterhin neutral, auch wenn man die Charaktere nach jener Episode mit anderen Augen betrachtet.
Stille Spannung und kleine Makel
Um es nochmal zu betonen: Escape at Dannemora ist mehr Charakterdrama als Gefängnisthriller. Spannung ist zwar vorhanden, diese wird jedoch sehr bedacht und nicht mit dem Holzhammer aufgebaut. Auch hektische Action sucht man hier vergebens, stattdessen liegt der Fokus klar und deutlich auf eine neutrale, möglichst wahrheitstreue Rekonstruktion des Falles. Dazu trägt unter anderem die zurückgenommene Musikuntermalung bei, die oftmals nur als Teil der Handlung auftritt und zudem noch völlig konträr eingesetzt wird (Tilly hört immer wieder gerne moderne Pop-Musik aus den Charts). Auch die Tatsache, dass viele Szenen merkbar improvisiert sind, gibt den darstellerischen Interaktionen und Dialogen einen ungemeinen Realismus. Und nicht zuletzt die Besetztung von am echten Fall beteiligten Personen und echten Gefängnisinsassen lässt Escape at Dannemora vollständig zu faktentreuen, ruhigen, aber nicht unspannenden Schauspiel-Kino werden.
Lediglich im letzten Drittel, wenn Matt und Sweat durch die Natur Richtung Kanada flüchten, schleichen sich kleine Längen ein. Diese resultieren unter anderem daraus, dass zu oft der eigentlich spannende Fokus auf die beiden Flüchtenden immer wieder abdriftet und den weniger interessanten Plotteil um Tilly und andere Nebenfiguren beleuchtet. Das nimmt dem bis dahin wunderbar harmonischen Erzählfluss des Öfteren den Wind aus den Segeln, und man hätte sich mehr Konzentration auf die eigentliche Handlung gewünscht.
Fazit zu Escape at Dannemora
Ben Stiller reißt sich mit aller Kraft von seinem alten Image los und etabliert sich mit Escape at Dannemora als erstzunehmender Geschichtenerzähler. Dieses mit Ruhe und Präzision aufbereitete Thrillerdrama überzeugt mit langen, genauestens durchkomponierten Kameraeinstellungen und einer sehr detailgetreuen Nacherzählung der wahren Ereignisse. Die großartigen Darstellerleistungen von Benicio Del Toro, Paul Dano und Patricia Arquette tragen zur bewegenden Inszenierung bei. Wer die etwas schleppende Einführung hinter sich hat, wird mit dem im Mittelpunkt stehenden, schweißtreibend inszenierten Gefängnisausbruch belohnt, und selbst wenn der dritte Part erzählerisch leicht schwächelt, so ist Escape at Dannemora unterm Strich dennoch ruhiges, beeindruckendes Charakterdrama. Besonders raffiniert gestaltet sich dabei der Kniff, den Zuschauer mit den sympathischen Protagonisten mitfiebern zu lassen, ohne diese Mörder dabei in irgendeiner Art und Weise zu glorifizieren. Chapeau, Herr Stiller. Chapeau.
Paramount Pictures veröffentlichte die DVD zu Escape at Dannemora am 20.06.2019. Enthalten sind drei Disks, wovon die ersten beiden jeweils drei Episoden enthalten und die dritte die siebte Episode, welche in zwei Teile aufgeteilt wurde. Bild und Ton sind für DVD-Verhältnisse annehmbar und während die ersten zwei Disks nur Audiokommentare der Filmcrew bereithalten, stellt die dritte Disk immerhin ein kurzes Making-Of sowie ein Behind-the-Scenes zur Verfügung, das sich auf die wahnsinnig aufwendige Fluchtszene von Episode 5 konzentriert.
Unsere Wertung:
© Paramount Pictures