Britische Coming-of-Age-Dramen genießen den Ruf, am Puls der Zeit zu sein. Mit Everything Now gibt es fortan eine neue Serie bei Netflix, die sich sensiblen Themen annimmt. Kann sie auch dem Ruf gerecht werden?
Titel | Everything Now |
Jahr | 2023 |
Land | United Kingdom |
Genres | Komödie, Drama |
Darsteller | Sophie Wilde, Lauryn Ajufo, Harry Cadby, Noah Thomas, Sam Reuben, Niamh McCormack, Jessie Mae Alonzo, Robert Akodoto, Vivienne Acheampong, Alex Hassell, Stephen Fry |
Länge | Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Netflix, Netflix basic with Ads |
Everything Now – Die offizielle Handlungsangabe
Nach einer längeren Auszeit zur Behandlung einer Essstörung wird die 16-jährige Mia schnell wieder vom chaotischen Schulalltag eingeholt. Sie muss jedoch feststellen, dass das Leben in der Oberstufe auch ohne sie weitergegangen ist. Gewappnet mit ihrer sich ständig ändernden Lebenswunschliste und ihren drei besten Freund*innen stürzt sich Mia Hals über Kopf in die Welt des Datings, der Partys und der ersten Küsse. Auch ein neuer Schwarm lässt nicht lange auf sich warten. Doch bald merkt sie, dass man im Leben nicht alles planen kann.
Erster Eindruck zu Everything Now
Der Beitrag befasst sich mit den ersten beiden Folgen der Netflix-Serie und soll Anhaltspunkte liefern, ob der Auftakt genug bietet, um Zuschauer zum Dranbleiben zu motivieren.
Ein neuer Fisch im Coming-of-Age-Becken
Einerseits könnte man meinen, ausgerechnet an Coming-of-Age-Serien sei der Bedarf eigentlich gedeckt. (Siehe auch unser Special zu diesem Thema) Andererseits aber sind viele der Geschichten zeitlich limitiert zu produzieren, weil die Darsteller nach wenigen Jahren ihren Rollen entwachsen. Und außerdem ändern sich die Themen, die man in diesen Szenarien verhandeln kann in unserer schnelllebigen Welt ja auch nahezu im Monatstakt. Dementsprechend gibt es so viele Nuancen und Nischen zur Diversifikation, dass für neue, innovative Ansätze immer noch Platz im Genre ist. Die Frage, die sich jedoch zwangsläufig bei allen neuen Wettbewerbern um die Gunst der jugendlichen Zuschauern stellt, ist, was macht eben diese Serie anders und wo ordnet sie sich tonal im breiten Spektrum ein?
Parties, Drogen und Sex – das ist die neue Realität.
Wo ordnet sich also Everything Now ein? Nun, das ist nach den ersten beiden Folgen schon gut einzugrenzen. Erzählerisch geht man mit dem Fokus auf eine Protagonistin, die auch noch als Erzählstimme ihre Gedankenwelt kommentiert, Wege, die bereits oft im Genre gegangen wurden. Doch die Gedanken von Mia sind durch ihre Probleme mit der Essstörung derweilen andere als man sie sonst oft mitbekommt. Das sorgt für neues Verständnis für diese psychische Erkrankung. Gleichzeitig ist es aber auch direkt ein Merkmal, das eindeutig unterstreicht, dass diese Story eher Schattenseiten eines Teenager-Lebens thematisiert.
Trotz Downer-Thema poppig und lebensbejahend
Dem Anorexie-/Bulimie-Komplex haben sich mit Flesh and Bone und To the Bone bereits vor ein paar Jahren zwei Serien angenommen. Diese waren jedoch deutlich niederschmetternder in ihren Grundausrichtung. Obwohl hier immer wieder das Thema zur Sprache kommt, ist Everything Now doch eine Serie, die in ihrer Tonalität an die heiteren Genre-Vertreter anknüpft, die in den vergangenen Jahren den Nerv von Teenies weltweit getroffen haben. Deswegen ist das Netflix-Projekt trotz aller Ernsthaftigkeit kein Stimmungskiller, sondern gleichzeitig reif und erwachsen und doch – mit kindlicher Naivität angereichert – auch immer wieder komisch und pointiert.
Alles wird viel leichter.
Neben dem Magersucht-Thema kommen auch zig weitere typische Teenie-Probleme vor. Das Gimmick, dass die Protagonistin durch ihre monatelange Abwesenheit vieles in Kürze nachholen muss/will, sorgt auch im Erzählfluss für Tempo und macht den Auftakt zum Sprung ins kalte Wasser. Die Überdosis an Gefühlen und Eindrücken, die die Ich-Erzählerin im Rekordtempo erfährt, schwappt aufs Publikum über. Das wird noch unterstützt durch die Party-Momente im Auftakt.
Fantastische Hauptfigur wird gestützt von buntem Ensemble
Sophie Wilde ist eine extrem gute Identifikationsfigur und glaubhafte Sympathieträgerin als Mia. Die junge Darstellerin hat in diesem Jahr vor allem in Talk to Me schon Aufsehen erregt, aber hier zeigt sie einmal mehr ein facettenreiches Spiel zwischen jugendlicher Unsicherheit, FOMO und der Suche nach dem Platz in der Gesellschaft. Wie die meisten aktuellen Genre-Beiträge setzt man auch in Everything Now auf einen diversen Cast, verzichtet auf die Klischee-Schönlinge, die in vergangenen Jahrzehnten im Coming-of-Age oftmals für falsche Vorbilder gesorgt haben. Den Schauspielerinnen und Schauspielern nimmt man sowohl die individuellen Rollen zu einhundert Prozent ab als auch die Freundschaften und Beziehungen untereinander. Das junge Ensemble glänzt, die erwachsenen und namhaften Crew-Mitglieder bleiben, zumindest zu Beginn der Serie, noch im Hintergrund. Doch wenn Stephen Fry und Co. auftauchen, dann verleihen sie der Show zweifelsohne allein durch ihre Präsenz nochmals eine Aufwertung.
Wenn du Scheiße baust, dann so richtig.
In Szenen, in denen Intimität vordergründig wird, erlaubt sich die Serie den humorigen Unterton noch ein Stück zurückzuschrauben. So wird den seriösen Belangen, die mutmaßlich auch ein Gros im Publikum beschäftigen, gut Rechnung getragen. Der tonale Spagat gelingt gut, sorgt aber auch ein Stück weit dafür, dass die Serie nicht wirklich als reine Wohlfühl-Show zu genießen ist. Man muss sich definitiv darauf einlassen und gedanklich mit den ernsten Themenfeldern auseinander setzen wollen.
Wer sollte sich Everything Now nicht entgehen lassen?
Stellt man sich eine Skala von niederschmetternd, rauschhaft und pessimistisch wie Euphoria bis lebensfroh, utopisch und selbstironisch wie Sex Education vor, dann ist Everything Now so ziemlich genau in der Mitte. Mit der psychischen Verfassung und der Unsicherheit der Protagonistin schlägt man die ernsten Töne an, verpackt diese aber durch eine nicht wirklich geringe Gag-Dichte dann so, dass das Gesamtprodukt zugänglicher wird. Wer Heartstopper, It’s a Sin oder Love, Victor mochte, der wird hier auf jeden Fall eine weitere sehr gute Genre-Serie vorfinden. Nach dem Ende von Sex Education kommt das britische Original also genau zum richtigen Zeitpunkt.
Unser vorläufiges Fazit zu Everything Now
Die ersten beiden Folgen von Everything Now ziehen das Publikum sofort rein in die Seelenwelt von Mia und in ihre Lebenswelt in England. Es gibt heitere Momente, ernste Szenen und vor allem im Hinblick auf das Magersucht-Thema auch authentische Einblicke, die zur Aufklärung beitragen und nachdenklich stimmen. Die tonale Mischung stimmt, die Darsteller*innen sind fantastisch und durch die überschaubare Episodendauer, ist auch keine Langeweile zu befürchten. Netflix hat schon viele Coming-of-Age-Erfolgsformate verantwortet und hier ein weiteres Mal ein Händchen bewiesen.
Everything Now läuft ab dem 5. Oktober 2023 bei Netflix!
Unsere Wertung:
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