Nach seiner Oscar-reifen Performance in Banshees of Inisherin und vor seinem zweiten Auftritt als Pinguin in einer eigenen Show wird Colin Farrell für Apple TV+ vor der Kamera des City-of-God–Machers zum klassischen Detektiv. Das weckt Neugier. Zurecht?
Titel | John Sugar |
Jahr | 2024 |
Land | Ireland |
Genres | Drama, Mystery |
Darsteller | Colin Farrell, Kirby Howell-Baptiste, Amy Ryan, Dennis Boutsikaris, Nate Corddry, Alex Hernandez, James Cromwell |
Länge | Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Apple TV Plus |
John Sugar – Die Story
Colin Farrell spielt John Sugar, einen amerikanischen Privatdetektiv, der dem mysteriösen Verschwinden von Olivia Siegel, der geliebten Enkelin des legendären Hollywood-Produzenten Jonathan Siegel, auf der Spur ist. Bei dem Versuch, herauszufinden, was mit Olivia geschehen ist, stößt John Sugar auch auf Geheimnisse der Familie Siegel, von denen einige noch nicht lange zurückliegen und andere schon lange begraben sind.
Klassischer film noir im Hier und Heute
Schon die Inhaltszusammenfassung lässt erahnen, dass es sich bei John Sugar um einen überaus klassischen Beitrag zum Apple-TV+-Katalog handeln könnte. Ein Privatdetektiv mit Ballast, ein Vermisstenfall, der Schauplatz in der gehobenen Gesellschaft einer US-Großstadt – mehr Film Noir könnte eine Prämisse kaum ausstrahlen. Doch während viele auch aktuelle Produktionen dieses Subgenres immer noch in die Vergangenheit zurückversetzt werden und in den 30er – 60er-Jahren spielen, ist der Dreh dieser Serie, dass es extrem mit dem alten Flair spielt, es nahezu damit schon in den ersten Minuten zu übertreiben droht und dennoch in unserer Jetztzeit spielt.
Die Monologe von Farrell, sein Faible für Oldtimer, sein klassisches Auftreten im Anzug – ein wandelndes Relikt aus einer anderen Zeit, ja schon fast eine fleischgewordene Genre-Parodie. Dass es aber nicht zur selbigen verkommt, ist wiederum der Clou, zu dem man den Machern nur gratulieren kann. Traumwandlerisch – und untermalt von eben auch schon fast wieder klischeehafter Musik – pendelt der Apple-TV+-Krimi zwischen Hommage und Parodie.
Farrell, der bessere Lincoln Lawyer?
Das Hollywood-Setting, die älteren Fahrzeuge, der Frauenschwarm-Style – sehr viel ist nicht nur bekannt und formelhaft, sondern weckt beim geneigten Serienjunkie unwillkürlich Erinnerungen an Lincoln Lawyer von Netflix. Während dort jedoch der tonale Spagat nicht immer aufgeht und vor allem dem Hauptdarsteller das gewisse Extra fehlt, um eine Serie im Alleingang zu schultern, macht John Sugar, respektive Colin Farrell, dies wesentlich galanter und überzeugender. Man darf, ohne sich allzu weit aus dem Fenster zu lehnen, ohnehin davon ausgehen, dass ein Großteil der Apple-TV+-Abonnenten diesem Projekt ohne nur eine Chance geben, da der charismatische Ire in der Titelrolle die Neugier anfacht. Doch genau diesen Umstand zu nutzen, kann man den Machern wohl kaum zum Vorwurf machen.
Stellenweise könnte man ihm fast schon Arroganz unterstellen, doch auch das passt zu einer Figur, die aus der Zeit gefallen scheint und sein soll. Wenn der Detektiv dann plötzlich moderne Überwachungskameras installiert oder mal ein aktuelles Automodell durchs Bild rauscht, dann wird man fast schon aus der Illusion gerissen. Doch spätestens am Ende der Pilotfolge schrillen die Alarmglocken endgültig…
Das Ganze hat einen Haken – oder besser einen Twist…
Nach und nach mehren sich surreale Einschübe, kontextlose Bilder und merkwürdige Andeutungen – und warum zur Hölle kann die Titelfigur nahezu jede Sprache?! Ist hier tatsächlich alles so klassisch, wie der Anstrich es dem Publikum vorgaukeln will? Nun, das wird an dieser Stelle aus Spoiler-Gründen natürlich nicht verraten, aber so viel sei gesagt: wer sich vor dem Schauen von John Sugar von Spielverderbern im Netz schafft abzuschirmen, der wird sich verdutzt die Augen reiben, in welche Richtung das Ganze letztlich geht. Ob das – nennen wir es mal – Experiment letztlich aufgeht, muss jeder für sich entscheiden.
Fehlenden Mut zur Absurdität kann man den Machern als allerletztes ankreiden. Für den Rezensenten ging das Wagnis am Ende leider nicht vollends auf. Farrell ist stark, seine männlichen, vor allem aber die weiblichen Co-Stars Amy Ryan und Kirby sind ebenfalls richtig gut in den jeweiligen Rollen und die inszenatorischen Finessen mitsamt schwarzweißen Einschüben, fast psychedelischer Musik und einer hochwertigen Bildsprache halten die Aufmerksamkeit hoch. Die Story per se ist allerdings nicht packend genug und bleibt hinter dem besagten „Gimmick“ zurück.
Wer sollte sich John Sugar nicht entgehen lassen?
Die erste Assoziation, die im Serienbereich durch das film-noir-Flair womöglich entsteht, wäre die Neuauflage von Perry Mason mit Matthew Rhys, allerdings spielt diese ja wirklich im beginnenden 20. Jahrhundert. Trotzdem können Pace und Atmosphäre den ein oder anderen Fan, der sich über die Absetzung nach zwei Staffeln noch immer ärgert, etwas entschädigen. Das modernere Gerüst erinnert aber dann noch auch mehr an Akte X oder sogar Fringe. Das sagt nun womöglich auch schon in etwa, in welche Richtung die Serie im Verlauf einschlägt, aber zu viel verraten ist damit mit Sicherheit noch nicht. Eines ist aber doch gewisse: John Sugar ist anders.
Unser Fazit zu John Sugar
Ob anders jedoch auch gut heißt, dass ist ganz klar Geschmacksache. John Sugar hat eine merkwürdige, schwer zu verortende Grundanspannung, mäandert aber teilweise auch etwas zu sehr vor sich hin. Die Story ist einerseits fast bis zum Exzess klassisch, aber eben auch, um das Publikum gezielt zu verwirren. Das ist ohne Frage interessant mitanzusehen, aber mitunter nicht ohne Anstrengungen. Die Darsteller sind durch die Bank gut bis sehr gut und das Produktionslevel ist erneut auf dem inzwischen etablierten Apple-TV+-Niveau. Wir sprechen eine Empfehlung aus – mit leichter Vorwarnung – und unterstreichen zudem, dass man nicht nach Folge eins urteilen können wird, ob einem das Experiment gefällt.
John Sugar startet am 5. April 2024 bei Apple TV+ mit zwei Folgen und geht danach im Wochenrhythmus weiter!
Unsere Wertung:
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