Nach der Liebeserklärung an das Hollywood der Nachkriegszeit in der gleichnamigen Serie nimmt sich Serienschöpfer Ryan Murphy ein weiteres Mal dieser Zeit an. Allerdings ist Ratched in einem gänzlich anderen Genre angesiedelt. Erfahrt in dieser neuen Ausgabe von 10 Reasons Why (Not), ob die Prequelserie zu Einer flog über das Kuckucksnest für euch einen Blick wert ist.
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Titel | Ratched |
Jahr | 2020 |
Land | United States of America |
Genres | Mystery, Drama, Krimi |
Darsteller | Sarah Paulson, Finn Wittrock, Jon Jon Briones, Judy Davis, Cynthia Nixon, Vincent D'Onofrio, Amanda Plummer, Alice Englert, Charlie Carver, Sharon Stone, Corey Stoll |
Länge | Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Netflix, Netflix basic with Ads |
Die Inhaltsangabe zu Ratched
Ratched erzählt die Geschichte der Krankenschwester Mildred Ratched, die sich 1947 im Norden Kaliforniens an einer führenden psychiatrischen Klinik bewirbt, an der neue und verstörende Experimente am menschlichen Gehirn durchgeführt werden. Auf ihrer geheimen Mission präsentiert sich Mildred als die perfekte Krankenschwester. Aber die Zeit bleibt nicht stehen und während sie allmählich immer tiefer in das System der psychiatrischen Klinik mit ihren Insassen eindringt, wird hinter Mildreds freundlicher Fassade ihre dunkle Seite immer stärker, die schon lange in ihr schwelt. Echte Monster werden nicht geboren, sondern sie werden geschaffen.
Die Psychothriller-Serie von Ryan Murphy ist inspiriert von der legendären und unvergessenen Schwester Ratched aus Einer flog über das Kuckucksnest und wurde von Evan Romansky geschrieben.
10 Reasons Why (Not)
(In unserem Kritikformat werden wir die Argumente, die für oder gegen einen Serienmarathon sprechen, ohne große Spoiler auf 10 Punkte kompakt bündeln. Abschließend gibt es eine Pro-Kontra-Gegenüberstellung mit einem kurzen Fazit. Dabei geht es uns nicht um eine folgenweise Analyse, sondern darum, auf gute Serien Appetit zu machen und vor schlechten Serien zu warnen, um für etwas Überblick im Serien-Dschungel zu sorgen.)
1. (K)einer flog über das Kuckucksnest?
Um eine der größten Fragen gleich zu Beginn zu klären: Wer sich tonal und thematisch eine Vorgeschichte zum Klassiker mit Jack Nicholson verspricht, die daran nahtlos anknüpfen soll, der wird mit hoher Wahrscheinlichkeit enttäuscht von Ratched sein. Das Drama von Milos Forman war am ehesten noch eine Art Studie über die verschiedenen Patienten einer Nervenheilanstalt. Im Mittelpunkt stand dabei Nicholsons McMurphy als aufmüpfiger Gauner, der sich mit der originalen Schwester Ratched über deren repressive Methoden streitet. Und dabei war die Oberschwester zwar alles andere als eine gute Seele, aber trotzdem nicht wirklich ein diabolischer Bösewicht, der Menschen nur um des Quälens Willen drangsaliert.
Für viele Fans des Oscarpreisträger ist die suggerierte Prämisse von Ratched, also die dramatischen Ereignisse zu offenbaren, die sie zu einem bösen oder gar sadistischen Menschen gemacht haben, eher fragwürdig. Es ist vermutlich dem Marketing des Streamingriesen geschuldet, wenn man daher mit falschen Erwartungen an diese Serie herangeht. Vielmehr als ein astreines Prequel bekommt man hier eine Geschichte präsentiert, die von einer Krankenschwester handelt, die lediglich an die Vorlage aus Einer flog über das Kuckucksnest angelehnt ist. Ryan Murphy hätte diese Produktion auch gänzlich ohne den Bezug zu einem Kultfilm vermarkten können und hätte damit wahrscheinlich nicht für die falschen Erwartungen gesorgt.
2. Ratched ist ein grüner Bilderrausch
Wenn man Ratched eines am wenigsten absprechen kann, dann ist es ein atemberaubender und ikonischer Look. An erster Stelle stechen da die fantastischen Outfits von Mildred, aber auch vieler anderer Figuren, heraus. Auch die Bilder, die man serviert bekommt, sind perfekt komponiert. Man spielt gekonnt mit Symmetrie, mit Farbsymbolik und mit einer detailverliebten Ausstattung. Über weite Strecken dominiert die Farbe Grün die gemäldeartigen Einstellungen. Fans von Kostümfilmen, Ausstattungskino und Hochglanzinszenierung werden an der Serie ihre helle Freude haben.
3. Sarah Paulson ist einfach überragend
Nicht nur optisch setzt die Titelfigur nochmal aus der hervorragenden Besetzungsliste ab. Sarah Paulson macht ihre Serie eindeutig zu einer Bühne ihrer Schauspielkunst. Lange Zeit bleibt sie für den Zuschauer in ihren tatsächlichen Motiven ein Rätsel. Ihr zaghafter Einsatz von Gesichtsregungen sorgt dafür, dass man wenig aus der Mimik ablesen kann. Und wenn sie dann mal mehr Emotionen zulässt, kann man sich nie sicher sein, ob das nun ehrlich oder nur ein taktisches Manöver ist.
4. Ein bunter Blumenstrauß verrückter Charaktere
Im Kontrast dazu sind die anderen Frauenfiguren nahezu ausnahmslos krasser geschrieben. Wenn man sich von den überzeichneten Rollen nicht abschrecken lässt, kann man sich gut daran erfreuen, Sharon Stone, Amanda Plummer und Co. zu beobachten, wie sie mit Leidenschaft die Narrenfreiheit ausleben, die ihnen hier zugestanden werden. Auf der Seite der männlichen Charaktere hat man ebenfalls einige bekannte Namen an Bord. Jon Jon Briones, der schon für andere Murphy-Serien gecastet wurde, spielt diesmal eine größere Rolle und glänzt als Nervenarzt, der selbst eigentlich behandelt werden sollte. Dazu kommen dann noch Corey Stoll (Aufbruch zum Mond), Vincent D’Onofrio (Daredevil) und Tote Mädchen Lügen Nicht -Star Brandon Flynn, die sowohl radikal äußerlich verändert wurden als auch mit ebenso übertriebenen Charakterzeichnungen im Gedächtnis bleiben werden.
5. Unausgewogener Genre-Mix
Es gibt durchaus Szenen in Ratched, die tonal auch im Kuckucksnest-Film stattfinden könnten. Dann gibt es aber auch einige melodramatische Momente mit Dialogen wie aus den schmalzigsten Seifenopern oder kleinere Gags, die komplett mit der Stimmung brechen. Im Gesamtbild wirkt diese Serie nicht konsistent. Das liegt dabei gar nicht an Handlungssträngen, die nicht zum Rest passen, sondern daran, dass sich die einzelnen Elemente genretechnisch zu deutlich unterscheiden. Alles in allem wirkt es so, als hätte man Versatzstücke einer American Horror Story mit dem Geist des Klassikers und dem Feeling von Hollywood vermischt.
6. Ratched setzt wenig auf Horror, aber wenn dann mit Wucht
Die dramatische Geschichte rund um die geheimnisvolle Mildred Ratched wird größtenteils im Stil eines Psychodramas inszeniert. Immer wieder schockieren uns dann aber gut platzierte Horrorelemente. Dabei geizt man weder mit Blut noch mit Gore-Szenen, die teils wie Hommagen an Genreklassiker daherkommen. Für Horrorfans sind die wenigen blutigen Einstellungen sicherlich zu sparsam eingesetzt, aber die Zuschauer, die aufgrund von Murphys horrorfernen Formaten zu diesem neuen Projekt stoßen, werden von den Schockmomenten voll getroffen werden.
7. Nicht alle Patientengeschichten in Ratched überzeugen
Die Hauptstory rund um die Krankenschwester, die sich peu à peu in der Nervenheilstätte nach oben intrigiert, wird umrahmt von einzelnen Patientenschicksalen, denen sich mal nur in einer Episode, mal über mehrere Folgen hinweg widmet. Das dient zum einen natürlich dazu, dem Setting einer Psychiatrie gerecht zu werden, indem man verschiedene psychische Krankheitsbilder und damalige Behandlungsmethoden aufzeigt. Manche dieser Handlungsstränge sind gut in die übergeordnete Geschichte eingewoben, andere jedoch leider nicht. Bei der einen oder anderen Sequenz bekommt man den Eindruck, dass sie nur aufgenommen wurde, um diese oder jene Therapie auf dem damaligen Wissenschaftsstand zeigen zu können. Manche Methoden werden aber eingeführt, um später nochmals wichtig in Erscheinung zu treten.
8. Ein Soundtrack zwischen klassisch und zu aufdringlich
Nicht nur optisch brennen sich die Eindrücke von Ratched ins Langzeitgedächtnis ein. Am dominanten Soundtrack werden sich auch die Geister scheiden. Der orchestrale Score mit Streicherklängen erinnert stark an Hitchcock-Klassiker. Für die heutigen Hörgewohnheiten wirkt das womöglich unangenehm. Aufgrund des Settings zwischen den Jahren 1947 und 1950 passt diese akkustische Reminiszenz jedoch sehr gut, um den Nostalgiecharme mit aller Deutlichkeit zu unterstreichen.
9. Einige gelungene Überraschungsmomente
Die erste Folge von Ratched beginnt mit einer brutalen Szene, in der man einen Massenmord eines jungen Mannes sieht. Daraufhin widmet sich die Geschichte jedoch erstmal der Titelfigur und stellt uns Mildred in geheimnisvoller Weise vor. Wenn im Laufe der Auftaktepisode dann die Fäden zusammenlaufen, wird man ziemlich sicher von diesem Paukenschlag überrascht werden. Doch dieses Ende von Folge 1 ist nicht die einzige Szene, die einen kalt erwischt. Mehrfach überzeugen die unerwarteten Wendungen, die oftmals abrupt einen radikalen Kurswechsel einleiten.
10. Die Hauptstory hat Potenzial für weitere Staffeln
Das Ende der Staffel wird hier natürlich nicht vorweggenommen. Allerdings merkt man deutlich, dass die Serie von Beginn an auf mindestens 18 Folgen konzipiert war. Die Metamorphose von Mildred Ratched als Figur, wie sie dieses Psychodrama bislang aufbaut, hin zu der Version, die man aus dem Forman-Film kennt, hat gerade erst begonnen. Mit einigen mutigen Weichenstellungen im Laufe der Auftaktstaffel wurde ein Fundament gelegt, das in etwa erahnen lässt, was in der nächsten Staffel dann im Mittelpunkt stehen wird.
Pro: 6 Contra: 4
Unser Fazit zu Ratched
Wer sich für den Stil von Ryan Murphy begeistern kann, der wird auch mit Ratched glücklich sein. Opulente Kostüme, eine wahnsinnige Ausstattung und ein Cast, dem man charmant überdrehte Rollen auf den Leib geschneidert hat, sind die Zutaten, die typisch für die Werke des Schöpfers sind und auch hier in Vollendung auftauchen. Außerdem findet sich auch hier zwischen all den von Schauwerten überladenen Szenen der ein oder andere Kommentar zu queeren Themen, die dem Macher von Pose und Co. seit jeher eine Herzensangelegenheit sind.
Wer sich jedoch ein überzeugendes Prequel zu Einer flog über das Kuckucksnest verspricht, der wird von der inkonsequenten Linie in der Tonalität und der unausgewogenen Schwerpunktsetzung enttäuscht werden.
Ratched kann seit dem 18. September komplett bei Netflix gestreamt werden.
© Netflix