Just in der Woche, in der der Autor der Vorlage stirbt, erscheint bei Disney Plus die Krimi-Serie Shardlake. Wird sie nun Schaffen gerecht oder muss sich C. J. Sansom im Grabe umdrehen?
Titel | Shardlake |
Jahr | 2024 |
Land | United Kingdom |
Regie | Justin Chadwick |
Genres | Drama, Mystery |
Darsteller | Arthur Hughes, Anthony Boyle, Sean Bean, Babou Ceesay, Paul Kaye, Ruby Ashbourne Serkis, Peter Firth, Matthew Steer, Brian Vernel, David Pearse, Irfan Shamji |
Länge | Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Disney Plus |
Shardlake – Die offizielle Handlungsangabe
Das vierteilige Drama, das auf dem ersten Roman von Sansoms Buchreihe basiert, erzählt eine unheimliche Kriminalgeschichte voller Geheimnisse, Spannung und Täuschungen zur Zeit der Auflösung der Klöster im England des 16. Jahrhunderts. Shardlakes behütetes Leben als Anwalt wird auf den Kopf gestellt, als Cromwell ihn beauftragt, den Mord an einem seiner Beauftragten in einem Kloster in der abgelegenen Stadt Scarnsea zu untersuchen. Der Kommissar sammelte Beweise, um das Kloster zu schließen. Für Cromwells eigenes politisches Überleben ist es nun unerlässlich, dass Shardlake sowohl den Mord aufklärt als auch das Kloster schließt. Er macht Shardlake klar, dass ein Versagen nicht in Frage kommt. Cromwell besteht darauf, dass Shardlake von Jack Barak nach Scarnsea begleitet wird. Dort begegnen die Mönche den beiden mit Feindseligkeit, Misstrauen und Paranoia, da sie um ihre Zukunft fürchten und scheinbar vor nichts zurückschrecken, um ihren Orden zu erhalten.
Wie Agatha Christie im 16. Jahrhundert…
Shardlake ist mit vier Folge à 45 Minuten netto gar nicht so viel länger als ein Kinofilm und doch hat man sich dafür entschieden diesen Fall in Häppchen auszurollen. Eine kleine Spekulation meinerseits: Hätte man sich tatsächlich ans Filmformat gewagt, wären die Parallelen zur Hercule-Poirot-Trilogie von Kenneth Branagh einerseits noch offensichtlicher gewesen und andererseits hätte man dann dem Vergleich aufgrund des wesentlich weniger prominenten Cast verloren und wäre schwerer zu vermarkten gewesen. Doch es gibt hier einige Punkte, die wirklich sehr ähnlich sind in beiden Produktionen – zum Glück aber auch genug Argumente der Eigenständigkeit, die die Miniserie vom Kino-Event abheben.
Der Ermittler per se ist da schon einmal ein großes Unterscheidungskriterium. Ja, auch Matthew Shardlake ist ein Exzentriker, aber auf eine ganz andere Art und ungleich tragischer wie Poirot. Beide führen Selbstgespräche, können gut kombinieren und wirken in ihrer Umgebung oft wie Fremdkörper. Doch während Branagh den Poirot als Stenz und eitlen Fatzke mimt, hat allein durch die körperliche Beeinträchtigung Shardlake eine ganz andere Aura. Er muss sich seine Autorität erkämpfen, was Arthur Hughes sehr gut herüberbringt.
Der leichte mystische Anstrich eint die Vergleichswerke ebenso; durch ihre Tonalität scheiden sie sich: So ist in Shardlake absolut kein Raum für Humor oder Selbstironie, während Poirot explizit auch von diesem Faktor lebt. Glaubwürdiger bzw. realitätsnäher ist jedoch natürlich die Sansom-Adaption – mit Abstrichen, auf die nachher noch eingegangen wird. Bisweilen kann man aber recht schnell und bedenkenlos urteilen, dass die Adaption hier wirklich gelungen ist und man von Beginn an genau im richtigen Maß neugierig gemacht wird, wer/was hinter dem Mord, der Shardlake auf den Plan ruft, steckt.
… im Setting à la Eco…
Der zweite große und wahrscheinlich sogar sich noch mehr aufdrängende Vergleich, ist der zu Der Name der Rose: Sich seltsam verhaltende Mönche, Geheimnisse hinter meterdicken Mauern, Verschwörungen, Wendungen und ein externer Ermittler, den keiner vor Ort haben will. Dieses mittelalterliche Setting ist der große Pluspunkt der Miniserie, da die meisten ähnlich gelagerten Krimis entweder gleich näher an der Jetztzeit spielen oder zumindest in damaligen urbanen Schauorten. Das Einengen einerseits durch die Räumlichkeiten und die Abgeschiedenheit und andererseits auf ermittlungstechnischer Ebene durch die damals eben nur sehr rudimentären Methoden und Geräte, hat einen gewissen Reiz, der auch mitverantwortlich ist, dass sich die Romane so sensationell verkaufen. Eine Zeitreise in Kombination mit einem Thriller. Das vermittelt Shardlake sehr gekonnt durch gesellschaftliche Rollenverständnisse des 16. Jahrhunderts, das Aufgreifen von kirchenpolitischen Konflikten im Subplot und die tollen Agatha-Christie-esken Gespräche im Rahmen der Detektivarbeit.
… aber in der Optik Branaghs
Was jedoch die Euphorie meinerseits nicht allzu stark aber auch nicht unerheblich einbremst, ist die Inkonsequenz in Sachen historischer Akkuratesse – und nicht zuletzt der Look der Miniserie. Nicht alle Dialoge, die hier geführt werden, hätten wohl tatsächlich so vor über 400 Jahren schon stattgefunden. Entweder aber geht man „All in“ in Sachen historischer Richtigkeit oder man abstrahiert von Beginn an durch offensichtliche Anachronismen. Denn auch das Casting widerspricht mit Sicherheit den Tatsachen des 16. Jahrhunderts in Teilen. Das reißt ein wenig aus der Immersion heraus, genau wie die immer wieder zu digitale Ästhetik. (Ja diese Bezeichnung mag es so eigentlich nicht geben, aber wer die Serie sichtet, wird wissen, was damit gemeint ist.) Farbspektrum und auch Schnitt verleihen Shardlake eine sehr künstliche Optik – womit wir wieder bei Branaghs Poirot wären…
Als Krimi mit Twists gelungen
Die Produktionstechnik mag das Sehvergnügen für den ein oder anderen womöglich schmälern. Doch lässt man sich davon abschrecken, dann entgeht einem ein tatsächlich sehr spannender Krimi. Die Rätsel bleiben sehr lang ungelöst, darüber hinaus wird mit durchaus gelungenen Wendungen agiert und damit untermauert, dass vorzeitige Schlüsse hier vergebens sind. Dementsprechend kann man Shardlake in den Kernkategorien, und das sind nun mal das Aufrechthalten der Spannung, das Fesseln mit falschen Fährten und verblüffenden Erklärungen und ein stimmiges Ende, das im Kopf bleibt und nachhallt, keine großen Vorwürfe machen. Wenn es hier was zu kritisieren gibt, dann womöglich das Tempo. Doch hätte man die Story schneller vorgetragen, dann hätte sich die Atmosphäre nicht annähernd so stimmig aufs Publikum übertragen.
Abschließend sollte noch gesagt sein, dass Zuschauer, die wegen Sean Bean im Cast einschalten, womöglich von der Größe seiner Rolle enttäuscht werden. Doch das tut dem Ganzen keinen Abbruch: Vor allem Arthur Hughes und Antony Boyle, die teils sogar Buddy-Cop-Vibes ausstrahlen, tragen die Miniserie problemlos auf ihren drei (!!!) Schultern.
Unser Fazit zu Shardlake
Die Miniserie ist eine kleine positive Überraschung, die bei Disney Plus im Katalog aber aufgrund ihrer nischigen Ingredienzien nur ein kleines Publikum erreichen wird. Wer jedoch Historienkrimis wie Der Name der Rose oder The Alienist mochte, der wird vermutlich die Romane von Sansom ohnehin schon kennen und darf sich nun freuen, dass die erste Adaption hier sehr gelungen ist. Ob auch weitere Romane der Reihe nun adaptiert werden, steht in den Sternen, doch es wäre wünschenswert.
Shardlake läuft am 1. Mai 2024 bei Disney+ an.
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