Nach Jupiter’s Legacy nimmt sich Netflix mit Sweet Tooth direkt einer weiteren beliebten Comicvorlage an. Von Robert Downey Jr. mitproduziert soll die Fantasyserie ein deutlich jüngeres Publikum ansprechen. Lest in dieser Kritik, weshalb aber auch Erwachsene dem neuen Netflix-Original eine Chance geben sollten.
Titel | Sweet Tooth |
Jahr | 2021 |
Land | United States of America |
Genres | Drama, Sci-Fi & Fantasy |
Darsteller | Nonso Anozie, Christian Convery, Adeel Akhtar, Stefania LaVie Owen, Naledi Murray, Amy Seimetz, Rosalind Chao, Kelly Marie Tran, Cara Gee, Ayazhan, James Brolin |
Länge | Minuten |
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Sweet Tooth – Hybridjunge sucht seine Mutter
Vor zehn Jahren verwüstete der große Zusammenbruch die Welt. In der Folge wurden aus unerklärlichen Gründen Hybriden geboren – Kinder, die als Mischwesen aus Mensch und Tier auf die Welt kommen. Aus Unsicherheit, ob die Hybriden die Ursache oder eine Folge des Virus sind, werden sie von vielen Menschen gefürchtet und gejagt. Nachdem er zehn Jahre lang in seinem abgelegenen Wald in Sicherheit lebte, freundet sich der behütet aufgewachsene junge Mensch-Hirsch-Hybride Gus (Christian Convery) unerwartet mit einem umherziehenden Einzelgänger namens Jepperd (Nonso Anozie) an.
Gemeinsam ziehen sie auf einem außergewöhnlichen Abenteuer quer durch das, was von Amerika übriggeblieben ist, und suchen nach Antworten – über die Herkunft von Gus, die Vergangenheit von Jepperd und was ein Zuhause wirklich bedeutet. Doch ihre Geschichte steckt voller unerwarteter Verbündeter und Widersacher. Gus muss schnell feststellen, dass in der üppigen Welt außerhalb seines Waldes viele Gefahren lauern und sie viel komplexer ist, als er es sich je hätte träumen lassen.
In dieser Kritik wird möglichst wenig auf die konkrete, wendungsreiche Handlung eingegangen, da niemandem die wirklich gut eingewobenen Überraschungsmomente vorweggenommen werden sollen. Netflix hat uns die gesamte erste Staffel vorab zur Verfügung gestellt. Diese Kritik soll spoilerfrei alle Eindrücke zur kompletten Debütstaffel wiedergeben.
Unsere Kritik zu Sweet Tooth:
Die Comics zu Sweet Tooth haben es immerhin auf 40 Bände in den Jahren 2009 – 2013 geschafft und dabei einige Fans gewinnen können. Unter anderen waren wohl auch „Iron Man“ Robert Downey Jr. und seine Gattin begeistert vom Mix aus „Bambi und Mad Max“, sodass sie maßgeblich an der Produktion beteiligt waren. Anfangs noch für Hulu in der Mache gewesen, ist das finale Produkt nun bei Netflix gelandet und soll durch seinen hochwertigen Look und die (unfreiwillig) aktuelle Thematik zum nächsten, großen Hit beim Streamingdienst gepushed werden. Die erste Staffel ist sicher nicht makellos und wandert über weite Strecken auf bekannten Pfaden. Lest im folgenden aber vor allem, womit es trotzdem gelingt die Herzen zu erweichen.
Endzeit-Setting trifft auf Fantasy-Mix
Zehn Jahre nach einer globalen Seuche verliert Gus plötzlich auch noch seinen Vater. Der Junge wird als Hybridwesen jedoch für viele der Überlebenden als mögliche Ursache der Pandemie geächtet und braucht dementsprechend Hilfe bei der Suche nach seiner Mutter. Als er den Herumtreiber Tommy Jepperd kennenlernt, beginnt ein klassisches Abenteuer, das auf bekannte Erfolgsformeln zurückgreift, die jedoch auch hier wieder 1a funktionieren. Auch wenn man anfangs suggeriert bekommt, dass Nonso Anozies Figur eigentlich schnellstmöglich den kleinen Begleiter wieder loswerden möchte, erinnert die Dynamik schon etwas an das Duo Arya Stark und Sandor Clegane aus Game of Thrones, wobei der sanfte Hüne hier deutlich enger an Hagrid aus Harry Potter angelehnt scheint. Die gemeinsame Reise von Gus und seinem „großen Mann“ birgt für Genrefans sicherlich keine neuen Erkenntnisse, ist aber so charmant vorgetragen, dass man von dem Gespann unbedingt mehr sehen möchte.
Unterbrochen wird die Haupthandlung von einem Strang, der von einem Wissenschaftler erzählt, der auch aus privaten Antrieben heraus mit und über die Hybridkinder forscht. Ohne zu viel zu verraten, kann man auch hier relativ schnell erahnen, an welchem Punkt sich dann die beiden Handlungsbögen kreuzen werden. Doch selbst diese Vorhersehbarkeit lässt sich absolut verkraften, da die Art und Weise, wie die verschiedenen Figuren hier zusammengeführt werden, stimmig ist und vor allem ans Herz geht. Ergänzt durch einen weiteren Nebenschauplatz, der sich weiteren Hybriden widmet und Rückblenden, die etwas Licht ins Dunkel über die Zeit des Pandemiebeginns und den Ursprung der Hybridkinder bringen, fügen sich über die acht Folgen die Einzelteile sehr gut zusammen.
Sweet Tooth profitiert von seiner Traumkulisse
Auch wenn man dem Publikum vorgaukelt, man befände sich in den Wäldern des Yellowstone-Nationalparks, so sieht man eindeutig, dass man hier die traumhaften Landschaften Neuseelands zur Kulisse auserkoren hat. Die Szenen, die in der Natur spielen, sind eindeutig die Highlights der ersten Staffel. Dabei werden auch Assoziationen zu Wo die wilden Menschen jagen geweckt, denn im Film von Taika Waititi ist die Szenerie, in der ebenfalls ein Quasi-Vater-Sohn-Gespann ein Abenteuer erlebt, der heimliche Star. Durch die tollen Bilder wird die Produktion extrem aufgewertet und erreicht optisch nahezu Kinoqualität. Auch die Kostüme überzeugen durch liebevolle Details. Die Animationen der Kind-Tier-Hybriden muss man bis auf eine kleine Ausnahme ebenfalls lobend erwähnen. Lediglich ein kompletter CGI-Hamsterhybrid namens Bobby sorgt eher für Lacher, denn irgendwie passt er weder qualitativ noch stilistisch zum Rest der Fantasyserie.
Von zuckersüß bis apokalyptisch düster
Obwohl die Säuglingsvarianten der Hybriden wahnsinnig süß sind und vor allem Gus durch seine kindlich naive Art eher auf eine Fantasygeschichte für die ganze Familie hindeutet, sollte man vor dem gemeinsamen TV-Abend mit den Kleinen wissen, dass die Geschichte stellenweise nichts für Kinder unter 10 Jahren ist. Der Umgang mit den Außenseitern ist selbstverständlich auch wieder als Analogie auf moderne gesellschaftliche Ausgrenzung zu verstehen. Dementsprechend ernst und düster ist Sweet Tooth immer dann, wenn es um die Themen Intoleranz, Schuldzuweisung und scheinbare Überlegenheit geht. Sicher muss man nicht die ganze Tragweite der Untertöne verstehen, um mit Gus und seinen Begleitern mitzufiebern. Ein Grundverständnis für die Botschaften, die hier vermittelt werden sollen, muss aber vorhanden sein. Man muss den Machern wirklich ein Kompliment aussprechen. Der Appell der Toleranz und Akzeptanz wurde hier so smart verpackt und verpufft nicht wegen zu hoher Plakativität.
Aktuelle Relevanz und wahnsinnig viel Herz
Die Produktion hat natürlich lange vor der Corona-Pandemie begonnen, durch diese jedoch nochmals einen ungleich höheren Grad an Aktualität bekommen. Der Subplot rund um den Wissenschaftler Dr. Singh zählt nicht zu den Stärken von Sweet Tooth. Hier bekommt man leider zu sehr das Gefühl, dass man doch noch einen Kommentar zur aktuellen Weltpolitik unterbringen wollte. Alles in allem ist dieser Part jedoch sehr abgedroschen und zu überraschungsarm, sodass die Figur nicht zum Helden im Arztkittel wird, sondern leider sehr blass bleibt.
Das unterbricht jedoch die starken Momente der Fantasyserie jeweils nur kurz. Dreh- und Angelpunkt ist der Hirschjunge Gus, der womöglich den ein oder anderen durch seine extreme Naivität verlieren wird. Die meisten Zuschauer aber wird er mit ebendieser voll ins Herz treffen. Christian Convery ist dabei eine wirklich starke Besetzung. Der junge Darsteller wirkt tatsächlich auch in seinem Schauspiel noch etwas unbeholfen und nicht so routiniert, wie beispielsweise ein Jacob Tremblay. Dem nimmt aber Naivität und Unwissenheit inzwischen kaum noch ab. Dem jungen Convery nimmt man vollends die einende Aura ab, mit der er die Begleiter auf seine Seite zieht.
Familie, Freundschaft und Akzeptanz
Die Geschichte von Sweet Tooth ist auch eine Variation des klassischen „Ungewöhnliche-Freundschaft“-Themas. Anfangs eher unfreiwilliger Beschützer des naiven Jungen, der nach seiner Mutter sucht, avanciert der „große Mann“ immer mehr zu einem Freund oder gar einer Vaterfigur. Das Kind, das sich nach seiner „echten“ Familie sehnt, erkennt Schritt für Schritt, was eigentlich eine Familie ausmacht. Die Außenseiter, die von der Gesellschaft diesen Status oktroyiert bekommen haben, entwickeln ein eigenes Selbstbewusstsein, akzeptieren ihre Rolle und beginnen daraus eine Stärke zu machen. Die Comicadaption ist angereichert mit den typischen Botschaften, die im Fantasygenre oftmals miterzählt werden. Diese Motive sind jedoch absolut zeitlos. Und wenn sie so ehrlich vorgetragen werden, wie hier, dann zünden die Aussagen auch zu einhundert Prozent.
Unser Fazit zu Sweet Tooth
Mit Sweet Tooth ist Netflix eine sehr herzliche Fantasyserie gelungen. Diese kommt jedoch düsterer daher, als die farbenfrohe Optik vorgaukelt. Im Kern ist es ein klassisches Abenteuer mit aktueller Relevanz, das durch fantastische Landschaftsaufnahmen, liebevolle Figurengestaltung und eine extra Portion Herz aus der Masse hervorzustechen weiß.
Am Ende lässt man wieder reichlich Raum für eine Fortsetzung offen, aber auch für sich genommen, ist diese erste Staffel eine klare Empfehlung für Fantasyfans, die reif genug sind, um die intelligent eingewobenen Botschaften zu umreißen. Hauptfigur Gus schafft es dabei genauso schnell das Publikum für sich zu begeistern, wie er es in der Geschichte schafft die verschiedenen Fraktionen zu verbinden.
Sweet Tooth ist aufgrund fehlender Innovationen sicher nicht die beste Serie des Jahres, aber hat durchaus das Potenzial bei Netflix noch zu wachsen. Die postapokalyptische Welt, die man hier zum Leben erweckt, lädt ein noch weiter erkundet zu werden und auch die Geschichte des Protagonisten ist noch längst nicht auserzählt.
Sweet Tooth ist seit dem 4. Juni komplett bei Netflix abrufbar!
Unsere Wertung:
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