Schon Ritchies Bube, Dame, König, Gras hat einst eine Serien-Fortsetzung nach sich gezogen. Gleiches passiert nun mit The Gentlemen bei Netflix. Wie hängen Film und Serie zusammen – und was ist das bessere Format?
Titel | The Gentlemen |
Jahr | 2024 |
Land | United Kingdom |
Genres | Komödie, Drama, Krimi |
Darsteller | Theo James, Kaya Scodelario, Daniel Ings, Joely Richardson, Vinnie Jones |
Länge | Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Netflix, Netflix basic with Ads |
Darum geht’s in The Gentlemen
In The Gentlemen erbt Eddie Horniman (Theo James) unverhofft das beachtliche Landgut seines Vaters – muss allerdings feststellen, dass es Teil eines Cannabisimperiums ist. Hinzu kommt, dass einige zwielichtige Gestalten der britischen Unterwelt ein Stück vom Kuchen abhaben wollen. Eddie ist jedoch fest entschlossen, seine Familie aus ihren Klauen zu befreien, und versucht, die Gangster mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Doch als er zunehmend in den Sog des Verbrechens gerät, findet er schließlich Gefallen daran.
Spoilerfreie Kritik zu The Gentlemen – Staffel 1
Dieser Beitrag beschäftigt sich ausschließlich mit der ersten Staffel der Serie, die Netflix en bloc am Starttag veröffentlicht. Ob sich auf Basis des Gesamteindrucks ein Blick für Kenner oder Neueinsteiger lohnt, erfahrt ihr bei uns ohne Spoiler zu Handlungsdetails.
Wie hängen Film und Serie zusammen?
Nun The Gentlemen in der Filmversion war vor wenigen Jahren für die Ritchie-Jünger so etwas wie der Beweis, dass nach Aladdin und King Arthur noch immer der Snatch-Macher im Regisseur vorhanden war: Britisch-schwarzhumorig, twisty und mit reichlich Stars gespickt, die sich trauten über die Stränge zu schlagen – mitunter in absurd-witzigen Outfits. Die Netflix-Serie setzt aber jetzt nur an die Idee des Films an: Drogenanbau auf englischen Landgütern, der Adel im Gangster-Milieu und ein anderer, aber nicht minder spannender Cast. Ja, Farrell, Grant und McConaughey waren bestimmt noch größere Stars, aber wie bei Guy Ritchie lange üblich sind die Produktionen keinen Star-Vehikel sondern eher Ensemblestücke und dementsprechend wird auch entscheidender sein, wie die neue Riege harmoniert.
Das ganze Anwesen geht an den Erstgeborenen. Freddie kriegt alles – und wir nichts.
Nun zu früh gefreut, denn das Erbe inklusive Cannabis-Keller (Das Anwesen ist dabei etwas wie eine Zweigstelle des Imperiums der McConaughey Figur Mickey Pearson im Film) geht eben nicht an Freddie sondern an Eddie, den Zweitgeborenen. Und so ist zumindest im Bezug auf die Rollen schnell klar, dass hier wohl alles andere als Harmonie angesagt sein wird. Im Auftakt werden erstmal die innerfamiliären Claims abgesteckt und das Verhältnis der Brüder auf typische Ritchie-Art etabliert. Auch darüber hinaus nimmt sich die Serie anfangs Zeit, den Status Quo auf äußerst unterhaltsame Weise, aber doch auch expositionell zu skizzieren. Und dieser Status ist dementsprechend alles andere als simpel. Das Publikum stolpert zusammen mit Eddie in die Gangster-/Drogen-Welt und ist davon erstmal informationell erschlagen.
Endlich wieder richtiger Ritchie-Fun
Wenn dann alle (Un)klarheiten beseitigt sind, nimmt aber eine rasante Geschichte in allerbester Guy-Ritchie-Tradition ihren Lauf. Damit knüpft der Brite direkt an die Stärken aus dem Film-Vorgänger an und macht klar, dass er weiterhin weiß, wendungsreiche Heist-Flicks mit schwarzem Humor, maschinenpistolenartigen Dialoggefechten und Dutzenden ausgefeilt skurrilen Charakteren unter einen Hut zu bekommen. Das, was jedoch hier mitunter überraschen wird: Es gelingt dem Regie-Workaholic sogar komplette acht Folgen zum Binge-Vergnügen – nahezu ohne Leerlauf – zu machen.
Also Kurzfassung: Du schuldest einem Kokaindealer vier Millionen Pfund? – Nein, ich schulde einer Familie von Crack-Dealern acht Millionen Pfund.
Situationskomik gibt es genauso wie funktionierende Popkultur-Gags. Aber das Wichtigste ist, dass die Darsteller allesamt voll abliefern. Insbesondere zeigt Theo James nach The White Lotus direkt ein weiteres Mal, dass er darstellerisch lange Zeit völlig unterschätzt wurde. Dass Giancarlo Esposito Gangster-Boss kann, wird keinen überraschen, aber auch er spielt diesmal ein bisschen anders als gewohnt und macht so extrem Spaß. Schön ist auch, dass Vinnie Jones diesmal an anderer Stelle der Nahrungskette spielen darf – ohne zu viel über seine Figur zu verraten. Das bringt nochmal einen kleinen Überraschungseffekt mit sich.
Verschachtelte Story, musikalisch wie inhaltlich voll im Rhythmus
Überraschungen gibt es auch insgesamt reichlich in dieser ausgetüftelten Gangster-Unter-/Parallelwelt, die durch das Mehr an Laufzeit wesentlich greifbarer und lebendiger wird, als noch im Film von 2019. Die Dialoge sind on Point – vor allem natürlich, wenn man die Serie im O-Ton schaut. Auch hier kann Ritchie mit Nachdruck an alte Tugenden anknüpfen.
Und was bei den Kultwerken des Briten auch immer eine Rolle gespielt hat, bekommt in The Gentlemen wieder mehr Aufmerksamkeit als in Operation Fortune oder Wrath of Men: Die Musik! Teilweise hat es auch fast eine Musikvideo-ähnliche Ästhetik, wodurch sich dann der aktuelle Ritchie doch etwas vom Snatch-Ritchie abgrenzt. Auf diese modernere Inszenierungsmethode, die dann doch in Teilen, vor allem auch in der hin und wieder eingestreuten Action, an Sherlock Holmes und Co. erinnert, müssen sich Puristen einlassen, aber sollten dies auf keinen Fall bereuen.
Das Ensemble funktioniert als Einheit richtig gut, aber auch die Einzelparts sind, wie geschrieben, mehr als solide. Daniel Ings ist vielleicht DIE Entdeckung im Cast, aber auch die Damen, namentlich Kaya Scodelario und Joely Richardson, liefern einige Momente, für die eingefleischte Ritchie-Jünger in Szenenapplaus verfallen könnten. Kurzum: Für alle, die die Gangster-Comedy-Klassiker vom Regisseur bis heute auswendig mitsprechen können, gibt es reichlich neue Sentenzen fürs Repertoire.
Film oder Serie? Beides!
Um nun also die Eingangsfrage noch abschließend zu beantworten: Die Serie schlachtet weder die Materie unnötig aus, noch handelt es sich dabei um Etikettenschwindel. Wo The Gentlemen drauf steht, ist The Gentlemen drin! Wer den Kinofilm mochte, wird auch die Serienergänzung feiern und sogar wer aufgrund der ein oder anderen Schauspieldarbietung mit dem Film Probleme hatte, kann hier einen zweiten Anlauf wagen, um doch noch in diese skurrile Gangsterwelt hineinzufinden.
Als du drei warst habe ich dich aus dem Ententeich gezogen. Weißt du das nicht mehr?
Manchmal ist Witz auch in diesem Brit-Flic wieder sehr gewöhnungsbedürftig bzw. Geschmacksfrage. Man könnte im Endeffekt schon auch zum Urteil kommen, dass Ritchie hier eine Art Best-Of-Album im Serienformat abliefert. Und genauso wie bei Platten, die die größten Hits einer Band zusammenbringen, verhält es sich auch mit The Gentlemen: Wirklich bahnbrechende Neuentdeckungen wird kein Fan bekommen, aber Gelegenheitskonsumenten finden ein Destillat dessen vor, was das Gesamtwerk zusammenhält. Es ist also eine Mischung aus Rückbesinnung, Huldigung des eigenen Schaffens und Statement an die Kritiker, die Ritchie nun genau das vorwerfen werden. Nämlich, dass er statt weiter Neues – mal mehr, mal weniger erfolgreich – auszuprobieren, auf die sichere Karte setzt.
Unser Fazit zu The Gentlemen – Staffel 1
Mit The Gentlemen hat in erster Linie Netflix einen Coup gelandet, denn einerseits kann die Serie für sich stehen und dank recht überschaubarer Komplexität generell jeden Abonnenten erreichen. Andererseits werden Fans des Regisseurs womöglich erst hiermit auf die Plattform gelockt und gleich mit einem richtig unterhaltsamen Projekt belohnt. Die acht Folgen machen Laune, die Zeit vergeht wie im Flug und trotzdem wird man am Ende mehr als eine Handvoll Szenen noch lange im Gedächtnis haben.
The Gentlemen: die erste Staffel ist ab dem 7. März 2024 bei Netflix abrufbar.
Unsere Wertung:
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