Die Meldung sorgte Ende 2020 für einige hochgezogene Augenbrauen. Filmstar Ryan Reynolds und TV-Star Rob McElhenney kaufen den Fußballverein AFC Wrexham, einen walisischen Club aus der fünften englischen Liga.
Bitte was? Eine weitere Laune von reichen Menschen? Die Doku-Serie Welcome to Wrexham klärt diese und viele weitere Fragen und erobert statt dem Hirn vor allem das Herz. Ein Serien-Highlight!
Titel | Welcome to Wrexham |
Jahr | 2022 |
Land | United States of America |
Genres | Dokumentarfilm |
Darsteller | Ryan Reynolds, Rob McElhenney |
Länge | Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Disney Plus |
Worum geht’s in Welcome to Wrexham?
Im Norden von Wales liegt Wrexham, mit rund 66.000 Einwohnern die größte Stadt der Region. Der dort ansässige Fußballverein AFC Wrexham zählt zu den ältesten Vereinen der Welt, der seine Heimspiele im ebenso altehrwürdigen Racecourse Ground (einer ehemaligen Pferderennbahn) austrägt. Seit der Club in den 2000er-Jahren aus der League Two (4. englische Liga) in die National League abgestiegen ist, sehnen sich die Fans nun schon über ein Jahrzehnt nach dem Aufstieg. Zusätzlich gebeutelt wurde die Anhängerschaft in den letzten Jahren durch zwielichtige Investoren, die den Verein fast zugrunde richteten.
Die Doku-Serie Welcome to Wrexham startet zeitlich mit der Übernahme des Clubs durch Ryan Reynolds und Rob McElhenney, die das Ende der Saison 19/20 und das erneute Verpassen des Aufstiegs miterleben. Für die neue Saison 20/21 wird mit kräftigen Investitionen in einen neuen Trainer sowie talentierte Spieler zum Angriff geblasen. In den 18 teils kurzen teils längeren Episoden (ca. 20-50 Minuten) sehen wir nicht nur Highlights aus den Spielen, sondern lernen Spieler sowie Fans im und abseits des Stadions kennen. Den (humoristischen) Fixpunkt bilden aber Reynolds und McElhenney, die keine Ahnung von Fußball geschweige denn vom Führen eines Clubs haben. Plötzlich wird ihr Leben mehr als gedacht vom runden Leder bestimmt.
Ist das ein PR-Gag?
Wenn sich reiche Konzerne oder wohlhabende Privatpersonen Sportvereine kaufen, dann stecken aus Sicht der Fans häufig niedere Beweggründe dahinter. Mal geht es um das bloße Geldverdienen, mal um ein kalkuliertes Sportswashing oder es handelt sich nur um eine Spielerei von Menschen, die mit ihrem Geld sonst nichts mehr anzufangen wissen. Ein wirkliches Interesse für den Club, die Fans und die Fußballkultur ist selten zu erkennen. Und am Ende ist ein finanzielles Invest noch lange keine Garantie für sportlichen Erfolg.
Ganz schön schlechte Vorzeichen also. Hier erweist sich aber die Serie Welcome to Wrexham als genialer Schachzug. Denn Ryan Reynolds (Deadpool) und Rob McElhenney (It’s Always Sunny in Philadelphia) entscheiden sich dazu, mit dem Kauf des Vereins (erstaunlich) transparent umzugehen und sich über Monate in ihrer Arbeit mit und für den Club filmen zu lassen. Als vor allem talentierte Comedians gehen die beiden mit ihrer Überforderung und ihrem Kauf, deren große Auswirkungen sie erst nach und nach begreifen, extrem humoristisch um.
Ein Beispiel: In einer Spezial-Episode führen beide als Moderatoren durch verschiedene von ihnen erfundene Shows, um den Zuschauer:innen das Land Wales und dessen Kultur (von der sie bisher selbst keine Ahnung hatten) vorzustellen. Das ist so entwaffnend ehrlich wie brutal unterhaltsam. Wer Reynolds Humor auf der Leinwand liebt, wird hier im positiven Sinne keinen Unterschied zwischen seinen Leinwandfiguren und der Realpersona erkennen.
Bei aller zur Schau gestellten Ironie: Die beiden Darsteller werden im Laufe der Serie emotional immer tiefer in die Parallelwelt Fußball hineingezogen. Besonders McElhenney steht fortan mit seinem Sohn in aller Frühe auf, um die Spiele seines Vereins im weit entfernten LA mitzuverfolgen. Mit einem Sprachcoach beginnt er sogar, Walisisch zu lernen. Bei wichtigen Anlässen reisen beide auch nach Wrexham, zunehmend im Saisonendspurt. So lernen sie die Menschen vor Ort kennen und lieben. Nach und nach spüren auch die treuen Fans von Wrexham, dass die Stars aus dem Glamor-Land Hollywood ernste Absichten haben.
Der Kauf des AFC Wrexhams ist letztlich also kein PR-Gag, wie die Serie mit jeder Folge ein Stück mehr beweist.
Wie zum Teufel führt man einen Fußballclub?
We’ve got Mullin, Super Paul Mullin,
I don’t quite think you understand.
He plays in red and white,
He’s f*cking dynamite,
We’ve got super Paul Mullin– Gesang der Wrexham-Fans über ihren neuen Star-Stürmer
Eine Sache machen die beiden Schauspieler von Anfang an richtig. Statt sich selbst bei aller Ahnungslosigkeit ins operative Geschäft einzumischen, suchen sie in kürzester Zeit nach neuen fähigen Personen auf nahezu allen Personen vom CEO bis zum Manager (in Deutschland gleichzusetzen mit dem Trainer). Zudem gewinnen sie den äußerst beschlagenen Shaun Harvey als Berater, der sie bei wichtigen Entscheidungen mit ins Boot holt.
Was nicht heißt, dass der Laden von allein liefe. Denn plötzlich dreht sich die Welt der beiden um schwierige Budgetfragen wie das Verpflichten von teuren Stars, die den Aufstieg ermöglichen könnten, oder den überraschenden Austausch des kaputten Rasens im Stadion. Als Mittelsmann vor Ort in Wrexham setzen die beiden außerdem kurioserweise den Drehbuchautor und Schauspieler Humphrey Ker ein.
Der ebenso ahnungslose Künstler erhält den vollen Kulturschock. Er arbeitet fortan vor Ort intensiv mit den neuen Verantwortlichen im operativen Geschäft des Clubs. Dass Ker zwischendurch ein Bewerbungsvideo für die Star-Wars-Serie Kenobi aufnimmt, macht die ganze Nummer umso schräger. Aber auch Ker mausert sich im Laufe der Saison zum Herzblut-Mitarbeiter.
Eine Doku fürs Herz, nicht fürs Hirn
Ein altehrwürdiger Club mit reichhaltiger Geschichte und eingeschworenen Fans, die ihre Mannschaft bis aufs letzte anfeuern und zum Aufstieg treiben wollen. Das ist der perfekte Nährboden für ein Fußballmärchen, zu dem Reynolds und McElhenney die nötige Finanzspritze als Anschub beitragen. Aus höheren, besser bezahlten Ligen engagiert der Verein einen renommierten Trainer und vor allem torreiche Stürmer, die den Unterschied machen sollen. Je weniger man übrigens über den Saisonverlauf des Vereins weiß, desto besser. Die porträtierte Saison 2021/2022 ist für Fußballfans ein wahrer Hochgenuss an Spannung und Dramatik, die die Serie allein schon sehenswert macht.
Die zweite große Stärke ist aber der teils intime und zu Tränen rührende Einblick in die Welt der Spieler und Fans. Welcome to Wrexham erzählt zahlreiche kleine und größere Geschichten über Menschen, die einen am Ende der Folge mit einer Träne oder einem seeligen Lächeln zurücklassen. Da ist diese junge Frau, die kurz davor steht, ihre Karriere als Polizistin zu starten. Aber dann erhält sie eine Absage, weil ihr Freund ein bekannter Hooligan des AFC Wrexham ist. Oder der Sänger, der mit seiner Band The Declan Swans einen kultigen Song über die neuen Besitzer des Verein geschrieben hat, aber jetzt gegen Krebs kämpft. Oder die selbst im Rollstuhl sitzende Frau, die sich seit Jahren ehrenamtlich um die körperlich eingeschränkten Fans kümmert und nun vollwertig bezahlt wird.
Es sind bewegende Geschichten, die immer einen Fixpunkt haben. Alle diese Menschen (und noch viele mehr) lieben ihren Verein, der ein unabtrennbarer Teil ihres Lebens ist. Genau diese Menschen mit Siegen und dem letztendlichen Aufstieg glücklich zu machen, erkennen Reynolds und McElhenney als ihre Mission. Es geht, wie oft gesagt wird, um die “Community”.
Less than a mile from the centre of Town
A famous Old stadium crumbling down
No-one’s invested so much as a penny
Bring on the Deadpool and Rob McElhеnney– The Declan Swans: It’s Always Sunny in Wrexham
Unser Fazit zu Welcome to Wrexham
Lustig, traurig, dramatisch, brutal unterhaltsam und definitiv ein Muss für Fußball- sowie Ted-Lasso-Fans. Welcome to Wrexham ist genau die Art von Serie, die heutzutage gerne als “wholesome” bezeichnet wird. Speziell wer Fußball liebt und einmal richtig in einen traditionellen Verein von A bis Z eintauchen will, der kommt um die Serie nicht herum.
Dabei ist das Thema Fußball, ähnlich wie bei Ted Lasso, auch ein Vehikel, um viele ergreifende mal kleine mal große Geschichten über die Menschen rund um den Verein zu erzählen, die jedes Wochenende auf und abseits des Platzes mit Herzblut für ihr Team brennen.
Und nicht zuletzt ist Welcome to Wrexham auch großartige Comedy. Denn Reynolds und McElhenney nehmen sich selbst permanent auf die Schippe und scherzen darüber, auf was zum Teufel sie sich da eingelassen haben.
Die Serie beginnt als neugierig machendes Kuriosum. Aber sie endet als großer Herzerwärmer, der sehnsüchtig nach einer zweiten Staffel schreien lässt, die am 13. Dezember 2023 erscheint.
Welcome to Wrexham ist auf FX erschienen und hierzulande exklusiv auf Disney+ streambar.
Unsere Wertung:
© 2022 Disney