Morgen werde ich sterben! In She Dies Tomorrow wird dieser fürchterliche Gedanke zum unaufhaltbaren Virus für alle Beteiligten. Doch wie gehen die Menschen damit um? Und erwartet uns eigentlich ein Drama, Thriller oder gar Mysteryhorror? Dies und noch mehr klären wir hier!
Titel | She Dies Tomorrow |
Jahr | 2020 |
Land | USA |
Regie | Amy Seimetz |
Drehbuch | Amy Seimetz |
Genre | Drama, Thriller, Horror |
Darsteller | Kate Lyn Sheil, Jane Adams, Kentucker Audley, Katie Aselton, Adam Wingard, Michelle Rodriguez |
Länge | 85 Minuten |
FSK | ab 16 Jahren freigegeben |
Verleih | Koch Films |
Die Handlung von She Dies Tomorrow
Amy (Kate Lyn Sheil) ist gerade in ihr neu gekauftes Haus gezogen, als sie plötzlich davon überzeugt ist, dass sie am nächsten Tag sterben muss. Ihre Freundin Jane (Jane Adams), die sie in ihrem Heim besucht, ist allerdings mehr als skeptisch. Zumal Amy unter einem Alkoholproblem leidet und nun auch wieder zur Flasche gegriffen hat.
Erst als Jane wieder zuhause ankommt, überfällt auch sie dieses seltsame Empfinden, morgen tot zu sein. Beide Frauen machen sich daraufhin jeweils für sich auf den Weg durch eine skurrile Nacht, die allem Anschein nach ihre letzte sein soll.
Der Tod als hochansteckender Virus
Der Tod betrifft uns nicht. Solange wir da sind, ist er nicht; und wenn er da ist, sind wir nicht mehr.
– Epikur
Der eigene Tod ist unabwendbar und auch nicht plan- oder vorhersehbar. Warum also, könnte man meinen, soll man sich überhaupt mit ihm beschäftigen oder sich von dem Gedanken daran sogar in Angst und Schrecken versetzen lassen? Wie kurz gedacht dies letzten Endes ist, zeigt der intime Indie-Film She Dies Tomorrow.
Hier sehen sich die Figuren plötzlich mit einer völlig neuen, aber doch so klaren Empfindung konfrontiert. Jane vergleicht ihre Todesgewissheit mit einer sich anbahnenden Erkältung, deren Vorzeichen schon deutlich spürbar sind. Dadurch, dass sich die Charaktere unweigerlich davon erzählen müssen, verbreitet sich der Todesgedanke wie ein Virus. Die Regisseurin und Drehbuchautorin Amy Seimetz nutzt diese Prämisse, um zugleich schwermütig, skurril und menschlich über das Leben und dessen Ende zu sinnieren.
Hauptfigur Amy möchte beispielsweise ihren Leichnam zu einer Lederjacke verarbeiten lassen, um auch in der Nachwelt einen Nutzen zu haben, wie ihr Holzfußboden, der aus einem Baum gefertigt wurde. Jane flüchtet dagegen Hals über Kopf zu ihrem Bruder, der ihr einziger Bezugspunkt im Leben zu sein scheint. Außerdem gesteht sich ein Paar endlich offen ein, dass es gar nicht füreinander geschaffen ist. So kurz vor dem Tod ist es nicht mehr angebracht, diese Lüge weiterzuleben. Episodenhaft rückt der Fokus nach einem sehr intensiven Einstieg in Amys Leben von Figur zu Figur, um Bruchstücke unterschiedlicher Leben entgegenzustellen.
Thriller? Drama? Schwarze Komödie?
She Dies Tomorrow ist über weite Strecken auch eine Projektionsfläche für den Zuschauer, sich selbst mit dem Thema Tod in all seinen Facetten auseinanderzusetzen. Zwar hören wir ständig in den Nachrichten von Toten in unterschiedlichen Zusammenhängen. Gleichzeitig leben wir in einer Gesellschaft, die den Tod in Form von Leichen im Keller von Krankenhäusern oder Särgen und Urnen versteckt. Die eigene Sterblichkeit ist grundsätzlich bekannt, doch für uns in weite Ferne gerückt. Amy Seimetz katapultiert dieses entrückte Thema nun mit zwiespältiger Wirkung ins Hier und Jetzt – Schock, Angst und Depression mischt sich mit Befreiung, Klarheit und Erkenntnis.
In erster Linie erscheint der Film als ein Drama, das seinen Figuren sehr naherückt. Phasenweise legt sich aber eine drückend-düstere Stimmung über das Geschehen, sodass sich zumindest eine Prise Mysteryhorror und Psychothriller nicht absprechen lässt. Wenn Jane plötzlich einen Arzt im Behandlungszimmer weinend im Arm hält und ihm ein Kinderlied aus seiner Kindheit vorsummen soll, schmeckt diese entwaffnende Skurrilität auch nach schwarzer Komödie. So unterschiedlich und gegensätzlich, wenig geschlossen, sondern ständig offen und wuchernd ist She Dies Tomorrow in allen Bereichen von der Handlung über die Inszenierung bis hin zu seiner Bedeutung.
Kleine Mittel, großer Wille, persönliche Geschichte
Während Amy Seimetz mit dem Tod ein Thema präsentiert, das uns alle angeht, stellt sie dies in ihrem Film auf eine Art und Weise dar, die nicht allen gefallen wird. Wenn ihre Figuren nach und nach unerwartet von dem Gefühl des nahenden Todes überwältigt werden, wird das Kamerabild wechselweise in flackerndes Rot, Blau, Grün oder Gelb getaucht. Wie ein Blitzgewitter erscheint so der lebensverändernde Moment. Bleischwer und etwas überstilisiert erscheint auch der Einstieg des Films, wenn Hauptfigur Amy durch ihr neues Haus und bedeutungsschwer mit ihren Fingern über Boden und Wände streicht.
Wer sich für Bildgestaltung und Kameraarbeit im Allgemeinen interessiert, erhält im Making-of spannende Einblicke. Amy Seimetz und ihr Kameramann Jay Keitel erklären, warum selbst scheinbar schlicht und unmittelbar inszenierte Alltagsszenen bewusst eine unangenehme, befremdliche Stimmung erzeugen. Bei einer so kleinen Produktion mutet es außerdem charmant an, dass Amy Seimetz ihr Haus als Kulisse nutzte und die eigene Garage als Keller inszenierte – inklusive kleiner Treppe, die überzeugend die Illusion eines Abstieg nach unten vermittelt.
Da Amy Seimetz anhand ihrer gleichnamigen Protagonistin auch eigene psychische Probleme abbildet und verarbeitet, sprießen aus dem Film ständig Deutungsebenen hervor. Das Thema Depression, das mit Todessehnsucht bis zum tatsächlichen Selbstmord einhergehen kann, durchweht den Film vor allem durch die Exposition in Amys Haus. Dabei bietet She Dies Tomorrow allerdings viele schwer zu deutende Einzelszenen, die ohne Mithilfe des Zuschauers wie Bruchstücke nebeneinander liegen bleiben.
Unser Fazit zu She Dies Tomorrow
Alles andere als Einheitsbrei: Die Friedhof der Kuscheltiere--Darstellerin Amy Seimetz präsentiert mit She Dies Tomorrow einen ungewöhnlichen und enorm eigenwilligen Mysterystreifen, in dem sich unterschiedliche Menschen virusartig mit dem Gedanken infizieren, dass sie morgen sterben werden. Mit teils wilden, experimentellen Farbspielereien, skurrilen Situationen und einer Vielzahl an Deutungsmöglichkeiten verlangt ihr bisher zweiter Langfilm dem Zuschauer alles ab. Dabei sitzt der Film selbstbewusst zwischen allen Genrestühlen, treibt seine Handlung bruchstückhaft voran und verliert sich gerne in stimmungsvollen Einzelszenen.
Wer bereit ist, mitzudenken, mitzurätseln und sich aus allen möglichen Lesarten seine Wahrheit zu basteln, der kommt mit Sicherheit auf seine Kosten. Leichte Unterhaltung ist She Dies Tomorrow also nie, aber ein besonderes Filmerlebnis allemal.
She Dies Tomorrow erscheint am 17. Juli digital und ab 22. Juli im Mediabook über Koch Films.
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