Spider-Man: A New Universe ist ein visueller Rausch, aber kann die Musik des experimentierfreudigen Briten Daniel Pemberton da mithalten? Nehmen wir den Score genauer unter die Lupe!
Spider-Man: A New Universe – Daniel Pemberton
Musik komponiert & produziert von
Daniel Pemberton
Dirigiert von
Andrew Skeet
Orchestriert von
Andrew Skeet, Nathan Klein
& Ben Foskett
Record Scratching:
DJ Blakey
Schon vor Jahren hatte ich erwartet, dass uns die Spider-Man-Übermüdung treffen würde. Innerhalb von eineinhalb Dekaden wurden uns mehrere Reboots des Wandkrabblers vorgesetzt: die Raimi-Trilogie, ein paar Jahre später die Webb-Garfield-Filme, welche beim zweiten Teil stecken blieben, kurz darauf die Integration Spideys ins MCU mit Captain America: Civil War, 2017 dann dessen Solo-Film Homecoming und erst dieses Jahr sowohl eine prominente Rolle in Avengers: Infinity War plus ein haushoch gefeiertes Videospiel! Wer braucht da bitte NOCH eine Spider-Man-Version? Die Antwort: Anscheinend alle, denn Sony wartet diesmal, nur wenige Monate nach dem Totalausfall Venom, mit der vielleicht ultimativsten Reinkarnation auf:
Der Film selbst
Spider-Man: A New Universe zeigt die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft diesmal im Animationsgewand und schickt ihn an der Seite alternativer Versionen seiner selbst in einen teilweise etwas verschwurbelten, aber höllisch unterhaltsamen und rasanten Plot über ein Dimensionsportal, welches den Zugang zu anderen Universen öffnet, aus welchem dem neuen Spidey Miles Morales ebenfalls mutierte Spinner zur Hilfe kommen. Neben dem großartigen Cast sticht dabei besonders der so noch nie gesehene Animations-Stil hevor, welcher tatsächlich die Comic-Panels 1:1 zum Leben erweckt und dabei mit Meta-Jokes, Referenzen und auch einer ordentlichen Portion Herz und Kreativität nur so um sich wirft. Schon jetzt wird der Film so sehr gefeiert wie kaum eine andere Spider-Man-Version davor. Und er wird wohl noch so einige Rekorde an den Kino-Kassen brechen.
Spider-Man: A New Universe
Nicht nur ist die Wahl des Animationsstils sehr unkonventionell und originell, sondern auch die des Komponisten. Ich persönlich lernte die Arbeit Daniel Pembertons erst mit seinen Soundtracks für Guy Ritchie, The Man from U.N.C.L.E. und ganz besonders King Arthur: Legend of the Sword kennen, in welchen er zeigte, dass er selbst schon lange auserzählten Genres und Geschichten musikalisch noch etwas Neues, nie Dagewesenes abgewinnen konnte. Wahrscheinlich wurde er genau deshalb für dieses Projekt ausgesucht, um eben dabei zu helfen, frischen Wind in das Genre zu bringen und Spider-Man in einem vollkommen neuen Licht erscheinen zu lassen. Dieses Vorhaben ist geglückt: „Spider-Man: Into the Spider-Verse“ ist ein beeindruckender, vergnüglicher und, ja, sehr verrückter und ungewöhnlicher Score – aber alles andere als schwer zugänglich!
Ein angemessenes Helden-Thema…
Es ziehen sich mehrere Themen durch die Musik, allen voran natürlich ein Thema für Miles Morales‘ Spider-Man selbst und eine Art Über-Thema, welches eher die draufgängerische Seite des Wandkrabblers charakterisiert. Beide Motive sind zwar eng verwandt, jedoch klingt dasjenige für Miles sehr viel emotionaler und zeichnet sich durch eine aufsteigende, 6-notige Tonfolge aus. Zum ersten Mal hören wir diese Idee in „Only One Spider-Man“, dort noch etwas ziellos, in einer Blechbläser- und Streicher-Version. Sehr viel deutlicher kehrt es in „Comic Book“ zurück, wo es schon in eine heroischere Richtung geht. „Destiny“ lässt es zwischendurch aufsteigen, am Schluss von „Mi Amor“ kommt es vor und ebenso in „Spider Training“.
… und dessen Entwicklung
Versteckt hört man es in „Rest in Peace“, am Schluss von „Quantum Physics“, ebenfalls mit Blechbläsern und Streichern, kurz in „Alchemax Infiltration Plan“ und mit sehr bewegenden Horn-Versionen in „On Your Way“ und „The Team Leaves“. „This Spark in You“ lässt das Motiv sanft immer weiter aufsteigen, bis es in „Miles Morales Returns“ endlich zu vollständiger Form gefunden hat! In „Shoulder Touch“ obsiegt die Helden-Melodie, steigt immer weiter auf, von Blechbläsern und Synthesizern getragen und entlädt sich in unglaublich reifen, gewachsenen und aufrechten Statements, hier so tönend und entschlossen wie nie zuvor, gefolgt von sanftem Ausklang.
Synthies satt!
Aber das war nur eine grobe Übersicht des Hauptthemas, denn dieses wird in einem extrem vielfältigen und vollkommen verrückten musikalischen Paket verpackt! Pemberton setzt hier auf Extreme, schreckt vor nichts zurück und geht jedes nur erdenkliche Wagnis ein, um diesem furiosen Film auch ja gerecht zu werden. Dies zeigt sich direkt im ersten Titel, „Into the Spider-Verse“, welcher das Album mit ausgeflippten Elektro-Klängen, Synthie-Sounds und Record Scratching eröffnet. Dieses Konzept wird zum Beispiel in „Peter Enters the Spider-Verse“ und „Gwen Enters the Spider-Verse“ erholt und setzt den Ton für das Folgende: Sehr viel Retro-Synthesizer, unterstützt von Orchester und dem gewagten Record Scratching von DJ Blakey! „Only One Spider-Man“ vermischt das Helden-Thema mit flotten und frechen Beats, „Visions Brooklyn 1, 2, 3“ ist viel fröhlicher, helle und blubbernde Synthies mischen sich mit munterem Gepfeife und Schlagzeug, sehr modern und schräg, bis am Ende Bongo-Trommeln vorgestellt werden!
Ein Fest für Percussion-Fans
Die Bongos mischen sich in „Security Guard“ mit wildem Schlagzeug, und die Trommeln klingen interessanterweise nach Alexandre Desplat im Wes Anderson-Modus! „Spider Training“ ist schnell und entschlossen mit Streicher-Ostinati, Blechbläsern, Beats und Schlagzeug, „My Name is.. Peter B. Parker“ bietet eine herrlich altmodische Helden-Variation im selben Stil auf, absolut wundervoll, am verrücktesten sind aber „Cemetery Splat“ und ganz besonders „Catch the S Train“, wo das Scratching überhand nimmt, es vermischt sich mit kindisch quietschenden Synthies, Bongos, Schlagzeug und sogar einem unverkennbaren Jazz-Vibe, komplett mit Saxophonen und Trompeten, wirklich komplett durchgeknallt!
Schurken-Klänge
Die Schurken werden größtenteils durch sehr düstere Klänge und Dröhnen charakterisiert, „Green Goblin Fight“ etabliert tiefe und hohe Laute, was ab 0:47 in elektronisches, vielschichtiges Dröhnen übergeht, sehr gruselig. „The Collider“ mischt dasselbe Element mit Horror-Streichern, „Kingpin Clicks“ klickt tatsächlich, versetzt mit dröhnenden Lauten und tragischen Streichern, was in „Kingpin Fight“ zurückkehrt.
Der Schurke Prowler, eine finstere Gestalt, welche es ganz besonders auf Miles abgesehen hat, bekommt das herausstechendste Element verpasst: Sehr interessant wabernde und dröhnende Elektro-Klänge, einer Sirene nicht unähnlich, vorgestellt in „The Amazing Spider-Man“ nach 40 Sekunden, aggressiv und unheimlich. „Escape the Subway“ lässt sie laut und deftig ertönen, gemischt mit schnellem, von Streichern und Trommeln getragenen Rhythmus. In „The Prowler“ dominieren diese knurrend-dröhnenden Elektro-Laute die Musik, sie eröffnen außerdem „Breakdown the House..“ und mischen in „.. And Tear off the Roof“ ordentlich mit. Besonders mein 11-jähriger Bruder war von dem Prowler-Material während des Films sehr beeindruckt und weniger eingeschüchtert, sondern vielmehr begeistert!
[su_youtube URL=“https://www.youtube.com/watch?v=txFSwgZFW0c“]
Vielfalt
Ansonsten besteht der Score aus vielen, absolut grandiosen und einfallsreichen Einzel-Momenten: „The Amazing Spider-Man“ lässt eine sehr heroische Melodie mit Streichern und Blechbläsern ertönen, „Destiny“ erinnert mit seinen sehr tiefen und wabernden Synthesizern ans Hans Zimmers Arbeiten für Christopher Nolan, wahnsinnig atmosphärisch und zugleich cool und unheimlich, „For the Love of MJ“ und „MJ in the Restaurant“ bieten überraschend emotionales Klavier und klassische Streicher auf, was der Grenze zum Kitsch sehr nahe kommt, aber dennoch gut klappt. „Quantum Physics“ und „Gimme the Goober“ lassen schräg blubbernde Elektronik erklingen, sehr retro und smooth, was an Steven Prices Score für Attack the Block erinnert.
Die Highlights
[su_youtube URL=“https://www.youtube.com/watch?v=iC-qj1_lkQw“]
Und dann gibt es da noch einige besondere Highlight-Tracks! Der erste ist zweifelsohne „Are You Ready to Swing?“: ein eher komödiantischer Action-Titel, wieder mit einigen Jazz-Anteilen, sehr gut eingesetzten Blockbuster-Streicher-Ostinati und ordentlich Synthesizer und Percussion, auch die aufsteigenden Helden-Töne kehren auf Hörnern und Trompeten zurück, gegen Ende kommt sogar Klatschen und eine E-Gitarre zum Einsatz und es wird fast zu so etwas wie Surfer-Musik, hier werden die Konventionen des Genres geschickt mit der Kreativität und Andersartigkeit von Pembertons Stil vermischt. „Aunt May and the Spider-Shed“ legt da noch mal eine Schippe drauf, nach mehreren Helden-Statements in verschiedenen Variationen passt sich die Musik direkt den drei schrägsten Spider-Personen an, welche in dieser Szene vorgestellt werden: Ab 2:29 hören wir schnelle Konzert-Streicher im altmodischen Noir-Stil, bei 2:46 poppige Anime-Elektronik und bei 2:56 klassische, Warner Bros.-artige Cartoon-Musik – perfekt!
Aber das Beste kommt danach, wenn ab 3:11 diese drei Stile miteinander vermischt werden, als die jeweiligen Spider-People ihre eigene Geschichte erzählen und sich dabei überschneiden. So etwas vollkommen wahnsinniges habt ihr garantiert noch nie gehört, aber es funktioniert absolut großartig! „Spider-Team Mission“ geht abermals in diese Richtung und „Miles Morales Returns“ präsentiert neben dem Helden-Material auch ebendiese Spiderverse-Stilistiken, wobei ab 1:48 besonders die Comedy-Cartoon-Klänge von Spider-Ham in den Vordergrund gerückt werden. „Spider-Man Loves You“ ist eine Mischung aus dem Helden-Material und dem eher draufgängerischen Spider-Man-Thema, flott vorangetrieben von aufsteigender Elektronik. Mit Abstand die beste Version der Hauptthemen, perfekt vereint, heroisch, emotional, grandios originell und ein erstklassiker Ausklang für Film und Album!
[su_youtube URL=“https://www.youtube.com/watch?v=nTgyINRHZOE“]
Fazit
Spider-Man: A New Universe“ zeigt, dass sich Experimentierfreude mit der richtigen Inspiration durchaus mehr als auszeichnen kann: Daniel Pemberton hat sich dem einzigartigen Animations-Stil vollkommen hingegeben und präsentiert seine Musik als ein unfassbares und sehr verrücktes, aber eben auch klangvolles und erinnerungswürdiges Erlebnis, eine nahezu perfekte Symbiose aus Orchester und Elektronik, eine Mischung aus so vielen Elementen und Stilistiken, die eigentlich nicht miteinander harmonieren sollten – und doch tun sie es! Für dieses Wagnis vergebe ich gerne 4/5 Sterne und empfehle dieses Score-Album allen, die neben all den exzellenten Orchester-Soundtracks dieses Jahres auch mal etwas erfrischende Abwechslung brauchen. Genauso wie der Film ist auch der Score ein Erlebnis, welches man sich nicht entgehen lassen sollte! Swing Away and Beat It!
Trackliste mit Längenangabe und Anspieltipps:
- Into the Spider-Verse – 1:00
- Only One Spider-Man – 2:14
- Visions Brooklyn 1, 2, 3 – 3:18
- Security Guard – 1:06
- Comic Book – 0:45
- Green Goblin Fight – 2:12
- The Amazing Spider-Man – 1:56
- The Collider – 1:14
- Destiny – 2:46
- Escape the Subway – 1:56
- Mi Amor – 1:20
- Spider Training – 1:24
- Rest in Peace – 1:21
- My Name is.. Peter B. Parker – 0:52
- For the Love of MJ – 0:39
- Peter Enters the Spider-Verse – 1:37
- Cemetery Splat – 0:37
- Catch the S Train – 1:55
- Quantum Physics – 1:21
- Gimme the Goober – 1:15
- Alchemax Inflitration Plan – 1:42
- Alchemax Arrival – 2:17
- Spider-Man Science – 2:06
- Take the Computer and Run – 1:26
- Are You Ready to Swing? – 3:10
- Gwen Enters the Spider-Verse – 0:48
- Kingpin Clicks – 1:38
- Aunt May and the Spider-Shed – 3:54
- The Prowler – 2:46
- Breakdown the House.. – 2:28
- .. And Tear off the Roof – 2:31
- On Your Way – 2:18
- The Team Leaves – 1:57
- This Spark in You – 2:10
- Spider-Team Mission – 1:45
- MJ in the Restaurant – 0:55
- Suicide Squad – 1:46
- Miles Morales Returns – 3:46
- Saying Goodbye – 1:50
- Shut it Down – 1:15
- Kingpin Fight – 2:59
- Shoulder Touch – 2:34
- Aftermath – 1:26
- Spider-Man Loves You – 1:51
© Sony Pictures