In Tabija streift Regisseur und Autor Igor Drljaca durch Sarajevo, wo der mittellose Junge Faruk auf Mona aus gutem Hause trifft. Ob dieser Beitrag aus dem Berlinale Wettbewerb Generation mitzureißen vermag, erfahrt ihr im Folgenden!
No data available.Tabija – Handlung
Der junge Faruk (Pavle Čemerikić) lebt im Sarajevo der Nachkriegszeit mit Amir (Kerim Čutuna) bei der Oma. Um etwas Geld zu verdienen, hilft er seinem Onkel (Jasmin Geljo) Altmetall zu verkaufen. Amir dagegen möchte als Kleinkrimineller Karriere machen und schickt Faruk los, Mädchen aufzutreiben, die sie dann an Čedo (Ermin Bravo) verkaufen können. Auf seinen Streifzug durch das Einkaufszentrum lernt Faruk die gleichaltrige Mona (Sumeja Dardagan) kennen, mit der es bei ihm sofort funkt. Sie kommt als Tochter eines Politikers (Alban Ukaj) aus einem wohl behüteten Zuhause, genießt englischsprachigen Unterricht an einer Privatschule. Trotzdem kommen sich beide näher…
Zwei Welten kollidieren, aber der Impakt bleibt aus
„Boy meets Girl“ im Sarajewo der zwei Welten. Im Grunde genommen erzählt Igor Drljaca in Tabija eine uralte Geschichte, die ihm allerdings eher als Vorwand dient, um über soziale Missstände, unerfüllte Träume und politischen Umbruch zu sinnieren. Die beiden Liebenden kommen aus zwei verschiedenen Welten, was Drljaca teils sehr gut einfängt. Faruk kommt aus der sozial abgehängten, ersten Nachkriegsgeneration, die ohne Eltern, Vorbilder und Perspektive aufwächst. Über weite Strecken steht seine Geschichte im Zentrum des Films, wird sein Alltag beleuchtet, die Zwickmühle, in der er steckt. Zum Kriminellen ist er nicht geeignet, denn hingegen zu Amir ist er einfach zu gutmütig dafür. Die Arbeit mit seinem Onkel scheint auch nicht genug abzuwerfen, um davon leben zu können. Er ist ein Junge ohne Zukunft in einer durch den Krieg und seine Spätfolgen zerklüfteten Stadt.
Im Gegensatz dazu erfahren wir über Mona nicht sehr viel. Zwar verdeutlichen manche Szenen, wenn etwa bei einem Familienstreit ein Hund überfahren wird und es wirklich niemanden von ihnen schert, dass dies eine ganz eigene Welt darstellt, deren Bewohner selbstsüchtig und von existenziellen Sorgen weit entfernt scheinen. Eine tiefere Charakterisierung dieser eigentlich wichtigen Bezugsperson im Kontext der Liebesbeziehung spart sich das Skript aber leider aus.
Sowieso scheint Drljaca seine Figuren nur mit leichter Hand grob gezeichnet zu haben, richtig kennen lernen wir davon eigentlich niemanden. Sie scheinen nur Mittel zum Zweck, um die Punkte auf seiner Agenda allesamt über den Film verteilt abhaken zu können. Und natürlich, um ausführlich das heutige Sarajevo zu zeigen, dreckig, aber schön, immer wieder mit der bewegten Kamera durch ihre Gassen, zwischen marode wirkenden Betonbauten und über Kopfsteinpflaster zu flanieren.
Ein flüchtiges Erlebnis
Man kann nicht sagen, dass einem die Figuren deswegen gleichgültig wären, doch die Beziehung, die die Geschichte zu ihnen knüpft, ist sehr lose. Wir erleben in den ersten zwei Dritteln von Tabija die Welt durch Faruks Augen, aber die vielen, kleinen Einzelheiten, seine Vorlieben und Abneigungen bleiben uns fern. Wir betrachten seinen Alltag, der nicht von ihm kommentiert wird, und erfahren nur von seinen diffusen Träumereien, die er mit Mona teilt. Doch sein wahres Wesen bleibt uns verschlossen.
Regisseur und Autor Igor Drljaca verschließt sich dabei auch vielen Konventionen einer fiktionalen Narrative, indem er eben Elemente des Melodrams, des Krimi und der Milieustudie einbindet, sie aber nie ausformuliert. Die Liebesgeschichte flackert nur kurz auf, inklusive eines Konfliktes, denn Monas Familie will schon bald nach Kanada übersiedeln. Aber es geht eben nicht darum, dass nun die beiden jugendlichen Figuren um ihre Liebe, ihre Freiheit diese zu leben kämpfen. Nebenher geraten Amir und Faruk auch mit Čedo aneinander, den sie unwissentlich bestehlen.
Doch durch seine passive Erzählhaltung macht uns Drljaca klar, dass diese Dinge einfach geschehen, Faruk und Mona gar keinen Einfluss darauf haben. Und wenn er gegen Ende dann die Perspektive endgültig auf Mona verschiebt und Faruk nicht mehr zu sehen ist, merken wir umso mehr, dass wir auch ihn gar nicht richtig kennengelernt haben. Dass der Film nur aus kleinen Episoden bestand, deren genauen Inhalt und beteiligten Personen wir bald vergessen haben werden. Morgen werde ich vielleicht noch sagen können, dass Tabija ein schöner Film war, dass die Kamera Sarajevo gut einfangen hat. Aber der Inhalt der Geschichte wird verblassen, Faruk und Mona werden irgendwann aus dem Gedächtnis getilgt sein.
Unser Fazit zu Tabija
Als kurzer Ausflug ins Sarajevo der Nachkriegszeit bringt Tabija seine anderthalb Stunden Spielzeit schnell rum. Igor Drljaca platziert seine Botschaften immer wieder drapiert in den schönen Bildern, auf hippe Weise mit Messenger-Einblendungen oder auch mal verborgen als Kode in der Interaktion seiner Figuren. Doch durch den Verzicht auf einen konkreten narrativen Überbau und klar gezeichnete Charaktere bleibt davon leider nicht viel hängen, dafür gibt er sich zu sehr gelassen und unfokussiert.
Tabija läuft auf der Berlinale 2021 im Segment Generation!
Unsere Wertung:
© Tabija Film Inc.