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Die Hausband des Jazzclubs The Eddy

10 Reasons Why (Not): The Eddy

Mit Whiplash hat Damien Chazelle einen Musikfilm hingelegt, der selbst den jazzfernsten Zuschauern viel von der Faszination dieses Genres vermitteln konnte. Nun gibt er mit The Eddy bei Netflix sein Seriendebüt und versucht hierbei, erneut mit einem Jazzdrama zu überzeugen. Erfahrt in dieser Ausgabe von 10 Reasons Why (Not), ob sich der Ausflug in den Pariser Jazzclub lohnt.

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TitelThe Eddy
Jahr2020
LandUSA, Frankreich
RegieHouda Benyamina, Damien Chazelle, Laïla Marrakchi, Alan Poul
DrehbuchJack Thorne, Rebecca Lenkiewicz, Rachel De-Lahay, Hamid Hiloua, Phillip Howze
GenreSerien
DarstellerAndré Holland, Amandla Stenberg, Joanna Kulig, Tahar Rahim, Melissa GeorgeLeïla Bekhti, Adil Dehbi, Benjamin Biolay, Sopico 
LängeMiniserie mit 7 Folgen mit jeweils knapp 60 Minuten
FSKab 6 Jahren freigegeben
VerleihNetflix
Tochter und Vater beim Musizieren
Julie (Amandla Stenberg) und ihr Vater Elliot (André Holland) © Netflix

The Eddy – Damien Chazelles Liebeserklärung an Paris und Jazz

Der ehemals sehr erfolgreiche Jazzmusiker aus New York Elliot Udo (André Holland) ist inzwischen Mitinhaber der Pariser Jazzkneipe The Eddy. Dazu muss er auch die Hausband rund um seine On-Off-Affäre Maja (Joanna Kulig) managen. Als Elliot feststellt, dass sein Partner Farid (Tahar Rahim) möglicherweise in einige illegale Geschäfte im Club verstrickt ist, kommen einige Geheimnisse ans Tageslicht, in die auch Farids Frau Amira (Leïla Bekhti) nicht eingeweiht war. Zusätzlich erschwert sich die Lage dann noch, als plötzlich seine Teenagertochter Julie (Amandla Stenberg) in Paris auftaucht und er versuchen muss, sie in sein schwieriges Leben zu integrieren. Die privaten und beruflichen Welten kollidieren zunehmend und schnell muss er nicht nur seinen Club mit allen Kräften verteidigen, sondern auch die Menschen beschützen, die ihm sehr nahe sind.

Julie hört mit dem Smartphone Musik und liegt auf dem Rücken auf einem Teppich
Julie ist neu in Paris bei ihrem Vater © Netflix

10 Reasons Why (not)

(In unserem Kritikformat werden wir die Argumente, die für oder gegen einen Serienmarathon sprechen, ohne große Spoiler auf 10 Punkte kompakt bündeln. Abschließend gibt es eine Pro-Kontra-Gegenüberstellung mit einem kurzen Fazit. Dabei geht es uns nicht um eine folgenweise Analyse, sondern darum, auf gute Serien Appetit zu machen und vor schlechten Serien zu warnen, um für etwas Überblick im Serien-Dschungel zu sorgen.)

1. The Eddy atmet Jazz mit jeder Pore

Auch wenn Damien Chazelle mit Aufbruch zum Mond zuletzt einen Weltraum-Film gemacht hat, schlägt sein Herz doch weiterhin sehr für Werke, die Musik in den Mittelpunkt stellen. Diese Liebe, speziell zum Jazz, erkennt man schon daran, dass bei der  Produktion von The Eddy der sechsmalige Grammy-Gewinner Glen Ballard maßgeblich beteiligt war und seine Musik schon vor Drehbeginn komponiert hat. Dadurch ist sie integraler Bestandteil der Serie und nicht nur Beiwerk. Eine Serie, die sich so stark auf die Jazzmusik fokussiert, hat man bis dato noch nicht gesehen.

In The Eddy wird in einem Jazzclub heftig diskutiert, auf den Tischen stehen Getränke, drumherum sitzen einige Leute
Hitzige Diskussion im Jazzclub © Netflix

2. Ein intimer Einblick in eine ganz besondere Boheme

Nicht nur musikalisch ist Jazz etwas, was fernab von anderen Genrekonventionen funktioniert. Auch die Musiker, die sich für diese Musikgattung aufopferungsvoll hingeben, sind oftmals von einem speziellen Schlag. Mit The Eddy bekommt man als Außenstehender einen sehr tiefen Einblick in diese Subkultur. Man lernt die Persönlichkeiten hinter den Musikern kennen und versteht so besser, weshalb sie so viel Leidenschaft in ihr musikalisches Schaffen legen. Jazz ist eben mehr als ein Musikgenre, sondern eine innige Gemeinschaft mit einer ganz eigenen Philosophie.

3. Ein interessante Familientragödie,…

Ein Vater, der ein Kind verloren hat und dadurch bis aufs Mark erschüttert wurde, flüchtet vor der tiefen Depression in ein anderes Land und vertieft sich immer mehr in seinen Beruf. Dann taucht plötzlich seine Tochter auf und reißt die alten Wunden auf. Sie konfrontiert ihn mit unausgesprochenen Wahrheiten und braucht gleichzeitig sein altes Ich, da sie selbst große Schwierigkeiten im Leben hat. Diese Konstellation hat wahnsinniges Potential für ein nahegehendes Familiendrama, bei dem beide Beteiligten mit den Differenzen zu kämpfen haben und doch durch die Liebe zueinander zusammengehalten werden.

4. … doch die Personen sammeln keine Sympathiepunkte

Eines der großen Probleme von The Eddy ist jedoch, dass dieses Vater-Tochter-Gespann ganz selten Anknüpfungspunkte liefert, die den Zuschauer Interesse dafür entwickeln lassen, dass diese beiden sich wieder annähern. Woran das im Endeffekt liegt, ist schwer zu erklären, denn schauspielerisch kann man den beiden nichts vorwerfen. Der Funke springt nicht über, Vater und Tochter bleiben wahnsinnig unnahbar und nahezu unsympathisch. Zu dieser Misere trägt bei, dass beide Figuren etliche Entscheidungen im Laufe der Serie treffen, die weder nachvollziehbar noch logisch sind. Teilweise agieren Elliot und Julie so unvernünftig und das obwohl sie in anderen Szenen wiederum als besonnen gezeichnet werden.

Farid sitzt in The Eddy alleine an einem Tisch im verlassenen Jazzclub, im Hintergrund leere Sitzreihen, auf dem Tisch eine Tasse und diverse Papiere
Farid ist der Besitzer des titelgebenden Clubs © Netflix

5. Exzentriker so weit das Auge reicht

Nicht nur Elliot und Julie sind offensichtlich schwierige Charaktere. Nahezu jede Person innerhalb der Künstlergemeinschaft hat private Probleme, irgendeine Sucht oder ist sozial vollkommen nonkonform. The Eddy zeichnet ein Bild von der Jazzwelt, in der jeder in dieser Szene  in irgendeiner Art und Weise kaputt ist. Durch diese pessimistische Ausrichtung wirkt es fast so, als wolle man sagen, dass es für gute Jazzmusik notwendig ist, ein hohes Maß an Exzentrik in der Persönlichkeit mitzubringen. „Normale“ Menschen können also keine guten Musiker werden.

6. Die Leidenschaft springt nicht aufs Publikum über, …

Die gesamte Riege der Musiker lebt für den Jazz. Das zu unterstreichen, kann man The Eddy definitiv attestieren. Leider gibt es jedoch seitens der Charaktere und auch mangels geeigneter Situationen kaum Chancen für eine tiefere Identifikation für die Zuschauer. Diese Künstlercommunity wirkt wie ein geschlossenes Ökosystem, das auch gar keine Ambitionen hegt, für Außenstehende attraktiv und einladend zu wirken. Wer sich also selbst nicht wirklich für diese Kunstform begeistern kann, hat kaum Aspekte in der Serie, die einen Sog entwickeln. Die Passion bleibt dem jazzfremden Publikum zu abstrakt und ungreifbar.

7. … außer man ist selbst Jazzmusiker oder Fan

Womöglich ist es sogar von den Machern beabsichtigt, dass man ein hohes Grundinteresse an der Jazzmaterie mitbringen muss, um das Handeln der Akteure nachvollziehen zu können. The Eddy ist eine Jazzserie mit Krimi-Elementen und einer Familientragödie, die sich ganz offensiv an Jazzfans richtet. Wenn man selbst ein Instrument spielt und sieht, wie virtuos die Musiker hier zu Werke gehen, dann kann man durchaus Gänsehaut bekommen. Die Jamsessions, das Improvisieren, die Neigung zum Perfektionismus – all diese Facetten werden sehr authentisch dargestellt und schaffen so für das musikaffine Publikum doch einige Anknüpfungspunkte.

Maja, gespielt von Joanna Kulig, dreht sich in Nahaufnahme in The Eddy in die Kamera, im Hintergrund verschwommen eine Sitzecke
Maja (Joanna Kulig) in The Eddy © Netflix

8. The Eddy stülpt sich auch als Serie die Jazzmechanik über

Jede Folge widmet sich primär einer Person aus der Combo. Dies gleicht fast dem System der Solos innerhalb eines Jazzstücks. Auch die Dialoge wirken sehr organisch und teils improvisiert. Dass sich die Serie ein Stück weit dem Zufall hingibt und sich dadurch ein einmaliges Ergebnis erhofft, folgt stark der Logik der Jazzmusik. Man merkt, dass man auch für die Realisierung dieses Serienprojektes Mechanismen anwenden wollte, die eigentlich dem Kosmos des Jazz entstammen. Selbst die Kameraarbeit wirkt improvisiert und passt perfekt zur rohen Attitüde des Jazzflairs.

9. Die einzelnen Episoden sind zu lang und spannungslos

Ebenfalls ein Merkmal des Jazz ist, dass man sich keine Limits setzt, wenn es einmal läuft. Dabei können die Lieder gut und gerne ins Endlose weitergespielt werden, solange einem der Virtuosen noch Riffs einfallen. Bei einer TV-Serie ist jedoch dieses Gefühl von Unendlichkeit eher problematisch. So sind bei The Eddy die Folgen mit jeweils circa 60 Minuten ausufernd lang und voller Längen. Der eher beobachtende Stil sorgt dazu noch dafür, dass man keine normale Spannungskurve vorfindet. Dadurch bleibt die Serie gefühlt sehr dokumentarisch und distanziert. Eigentlich passiert nicht viel und wenn man auf Entwicklungen, Twists und Wendungen wartet, gestaltet sich die Serie wirklich sehr zäh.

Maja im Musikstudio in The Eddy, auf dem Kopf große Kopfhörer, vor ihr das Mikro für die Aufnahme
Die Sängerin Maja im Studio © Netflix

10. Chazelles Zauber zündet bei The Eddy nur in Einzelszenen

Whiplash und La La Land waren eigentlich auch ähnlich auf ein bestimmtes Publikum zugeschnitten und trotzdem hat es fast bei allen Zuschauern Klick gemacht. Whiplash hat durch die Kürze und die herausragenden Darsteller einen unvergleichlichen Sog entwickeln können. La La Land hat durch die märchenhafte Liebesgeschichte und die sensationellen Musicalszenen das angestaubte Musikfilmgenre ad hoc reanimiert. The Eddy ist ein Herzensprojekt von Chazelle, das merkt man in jeder Einstellung. Doch leider scheint sich der Regisseur diesmal getäuscht zu haben, was die Mittel betrifft, mit denen er diese Liebe aufs Publikum übertragen kann.

Es ist wirklich schade, da einzelne Szenen durchaus die Magie seiner früheren Werke aufblitzen lassen. Dabei kann man insbesondere eine Beerdigungsszene und eine Hochzeit exemplarisch anführen, in denen man für einige Minuten als Zuschauer Teil der Jazzwelt wird und dadurch wirklich mit allen beteiligten Personen mitfühlen kann. Der etwas deplatzierte Krimiplot und die streitbaren Handlungen einiger Charaktere machen diesen Zauber jedoch genauso schnell wieder zunichte.

Pro: 4 Contra: 6

Unser Fazit zu The Eddy

The Eddy macht es einem wirklich nicht leicht. Die Serie ist handwerklich über jeden Zweifel erhaben, die Schauspieler sind voll bei der Sache und perfekt gecastet und einzelne Szenen sorgen wirklich für viele Emotionen. Die Langatmigkeit und die Ungreifbarkeit für Nichtjazzer machen die Serie jedoch zu einer schwer zugänglichen Angelegenheit.

Wer die Filme von Chazelle kennt, wird sich überraschenderweise eher an Aufbruch zum Mond erinnert fühlen als an die anderen musikzentrischen Werke. Und genau wie beim Mondlandungsdrama muss man sich auf dieses eigenwillige Pacing einlassen können.

Die Wertung ist daher diesmal mit Vorsicht zu genießen, da sicherlich ein Großteil mit The Eddy aufgrund besagter Probleme nicht warm wird. Auf der anderen Seite wird man als Insider der Jazzmusik einen sehr intimen Einblick in ein faszinierendes Milieu in Paris bekommen. Wer dem Sog der Serie verfällt, der wird sie verschlingen und eine dramatische Reise in die französische Jazzszene an der Seite eines exzentrischen André Holland erleben.

The Eddy kann seit dem 8. Mai komplett bei Netflix gestreamt werden.

Unsere Wertung:

 

 

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