Lars von Trier sorgt mit seinen Filmen meist für eine Menge Diskussionsstoff. Auch bei seinem neuesten Werk The House That Jack Built, für welches er wie üblich auch das Drehbuch geschrieben hat, dürften die Meinungen gespalten werden. Was ich davon halte, könnt ihr hier erfahren.
No data available.Worum geht es in The House That Jack Built?
Jack ist ein Massenmörder und stolz darauf. Per Voice-Over unterhält er sich mit einem mysteriösen Mann namens Verge über seine Taten. Dabei begleitet man ihn anhand von fünf „Vorfällen“ und einem Epilog bei seinen immer wagemutiger werdenden, abscheulichen Taten. In der Ausführung dieser betrachtet er sich als Künstler und ist in dieser Position bemüht ein vollkommenes Kunstwerk zu erschaffen. Was genau das an dieser Stelle bedeuten soll und ob es Jack gelingen wird der Polizei und anderen für ihn unangenehmen Konsequenzen zu entfliehen, muss jeder für sich selbst herausfinden.
Lars von Trier – Das Enfant Terrible der Filmindustrie
Lars von Trier ist mit Sicherheit einer der umstrittensten Regisseure Europas. Von vielen als Genie verehrt, empfinden andere seine Filme als zu prätentiös und zu explizit was die Darstellung von sexuellen und gewalttätigen Szenen angeht. Besonders Antichrist und Nymphomiac wurden von der Kritik ausgesprochen gespalten aufgenommen.
Das wird auch bei seinem neuesten Werk nicht anders sein. The House That Jack Built ist einer der brutalsten Filme, die ich jemals gesehen habe. Ähnlich zu einigen Tarantino-Filmen wird gerade erst durch die sich anbahnende Brutalität Spannung und Nervenkitzel erzeugt. Der Splattergehalt hält sich zwar in Grenzen, aber die Kälte und Schonungslosigkeit mit der Jack vorgeht, werden in aller Deutlichkeit von der Kamera eingefangen, sodass einige Szenen tatsächlich schwer zu ertragen sind und nicht für alle Zuschauer ansprechend sein werden. Doch auch wenn dieser Ruf dem Film wahrscheinlich zuträglich sein wird, so muss man doch noch folgendes fragen: Ist das jetzt Kunst, oder will von Trier das Publikum einfach nur noch schocken?
Was will der Streifen uns sagen?
Meiner Ansicht nach teils teils. Von Trier sagt selbst, er sei in einer Familie mit starren konventionellen Werten groß geworden. Mit seiner Kunst möchte er ausdrücken, dass diese Werte nicht von allen geteilt werden. Ähnlich zu seinem vorherigen Film Nymphomiac, mit dem The House That Jack Built zahlreiche Gemeinsamkeiten aufweisen kann, steht im Zentrum eine psychotische Figur, die einfach ihrer Natur folgen möchte, auch wenn diese von der Gesellschaft missbilligt wird. Wahrscheinlich kann sich der unter Depression leidende von Trier mit solchen Figuren identifizieren. Nicht umsonst verkündete er in einem Interview zu Melancholia, dass er mit Hitler in seinen letzten Stunden sympathisieren könne. Daraufhin wurde er bis zu diesem Jahr von den Filmfestspielen in Cannes verbannt.
The House That Jack Built deute ich zum Teil auch als Rechtfertigung für von Triers Kunst. Die Brutalität ist ein Mittel, um starre Konventionen und festgelegte Ordnungen zu durchbrechen. Die Kunst soll aussagen dürfen, was die Menschen bewegt, auch wenn diese Gedanken und Gefühle nur von einer Minderheit gedacht werden. So wie Jack sucht von Trier nach einem Ausdruck seiner Gedanken. Im Film vergleicht sich Jack ständig mit einem Pianisten, der versucht die für ihn perfekte Interpretation eines Bach-Stückes zu finden.
Sei, wie du bist! – Gilt das auch für Serienkiller?
Diese Suche nach einem passenden Ausdrucksmittel wird schließlich durch Jacks Hausbau auf die Spitze getrieben. Nach mehreren Versuchen mit verschiedensten Materialien baut er schließlich ein ganz persönliches Haus aus dem, was ihn persönlich ausmacht, egal wie abstoßend diese Kunst auf andere wirken mag. Aber genau das vermag Kunst zu leisten. Sie kann alles ausdrücken. Das sagt von Trier nicht zuletzt, indem Ausschnitte seiner letzten Filme direkt zitiert und provokanterweise sogar erneut einen Vergleich zu den Nazis zieht. Besonders diese Szenen werden einigen Kritikern neben den Brutalen mit Sicherheit übel aufstoßen.
Dieser Versuch die Position eines psychisch kranken Menschen einzunehmen und der Gedanke, jeder soll so sein wie er ist, kann natürlich im Kontext eines Serienkillers eine gefährliche Lehre verbreiten. Erstaunlicherweise ist der Film an vielen Stellen sogar ziemlich humorvoll geworden. Jacks Ungläubigkeit darüber, wie naiv seine Umwelt ist und mit welchen Taten er durchkommt, wirken zum Teil amüsant und wie ein abenteuerlustiges, etwas riskantes Unterfangen. Spätestens wenn die Blutspuren wie durch Gottes Hand vom Regen weggespült werden, muss das Publikum mit Jack lachen. Wenig später eskalieren die Situationen aber, sodass sich mehr und mehr eine Distanz aufbaut. Gerade aufgrund der drastischen Brutalität ist der Film nicht verherrlichend, denn sonst wäre er sogar verharmlosend. Der Film versucht eher trocken und kaum wertend über Jack zu berichten. Der Zuschauer oder die Zuschauerin soll sich selbst ein Bild machen. Auf eine Moralkeule oder Läuterung wartet man somit vergeblich.
Die Schönheit der Fahrt in die Hölle
Sosehr man über die genannten Themen diskutieren kann, so muss man ebenso und unweigerlich die grandiose Handwerkskunst des Films neidlos anerkennen. Als technisches Relikt aus Dogma-Zeiten fängt Manuel Alberto Claro die Szenen mit einer wunderschönen Führung der Handkamera ein. Ganz im Gegensatz dazu stehen die Szenen des Epilogs, für die von Trier zum Teil erneut auf eine epische Bildkomposition in extremer Slow-Motion zurückgreift. Das verwendete CGI wirkt stets stimmig und passt zur beabsichtigten Wirkung der Szene.
Besonders positiv hervorheben möchte ich außerdem den Einsatz von Musik. Lars von Trier verwendet ausschließlich ausgewählte präexistente Musik, die zum Teil wiederholt erklingt. Jedes musikalischen Stück steht für eine bestimmt Idee oder Stimmung von Jack. Somit kommt Musik zwar nur selten vor, was die Kälte einiger Szenen nochmals unterstützt, aber wenn dann sehr gezielt und wirkungsvoll eingesetzt.
Die Psychologie eines Massenmörders
Bei alldem handwerklichen Schmuck und den provozierenden Inhalten, muss man sich jedoch auch fragen, ob die Handlung an sich die Zuschauer und Zuschauerinnen zu fesseln weiß. Meiner Meinung nach auf jeden Fall! Das Publikum begleitet ausschließlich den Hauptcharakter Jack, welcher von Matt Dillon meisterhaft gespielt wird! Man darf verfolgen, wie er immer waghalsiger, arroganter aber auch selbstbewusster wird. Dieser Wandel drückt sich auch in Jacks äußerlichem Auftreten aus. Zu Beginn sieht er noch wie ein Serienkiller aus (so sagt es sogar sein erstes Opfer, bevor er sich offenbart), während er später ausgesprochen charmant und kultiviert auftreten kann. Er verliert seine Neurosen Stück für Stück, indem er entdeckt, dass sie keine Rolle spielen. Arroganterweise fühlt er sich durch diese Art der Selbsterkenntnis seiner Umwelt überlegen und bezeichnet sich markanter Weise als „Mr. Raffinesse“.
Zum Glück versucht Lars von Trier den Charakter trotz dieser Analyse nicht unnötig zu psychologisieren. Denn auch wenn wir kurze Rückblenden in Jacks Kindheit sehen, so handelt es sich bei dem Film nicht um den Versuch einen Serienkiller in all seinen Hintergründen zu verstehen. Vielmehr verfolgt man seinen Werdegang, während sich die trockene und analytische Art des Erzählers absichtlich einer Wertung verweigert!
Besonders durch das fesselnde Spiel von Matt Dillon entstehen nervenzerreißenden Szenen, die neben der Rahmenhandlung zur Spannung des Films beitragen, sodass man die 155 Minuten ausgesprochen gut unterhalten wird. Auch der restliche Cast (u.a. Bruno Ganz, Uma Thurmann oder Riley Keough) performen großartig. Sie sind allerdings nur Nebenfiguren, während der Fokus klar auf Jack liegt.
Mein Fazit
Wer schon immer einmal Lust hatte mit Lars von Trier über die Kunst eines Serienkillers zu philosophieren und seinen Gedanken und Vergleichen zu lauschen, der sollte sich The House That Jack Built unbedingt anschauen und wird in diesem Fall mit einem der besten Filme des Regisseurs belohnt. Man muss diese selbstreferenzielle Art und von Triers Bildsprache mögen, um dem Streifen etwas abzugewinnen. Man muss sich auf die zahlreichen intellektuellen Themen, wie zum Beispiel die mangelnde Hilfsbereitschaft der Gesellschaft, natürliche Rohdung und Auslese der Natur durch den überlegenen Menschen (man denke an die Szenen mit den Sensenmännern), die religiösen Motive, wie etwa das Thema der Bestimmung oder das Höllenmotiv, aber auch die drastische Brutalität trotz aller Prätentiösität einlassen.
Kann man mit alldem etwas anfangen, so darf man herausragendes Schauspiel, meisterhafte Bilder und fantastische Musik genießen. Der Film, den Lars von Trier geschaffen hat, schockiert und provoziert absichtlich und ist dabei auch noch herausragende Kunst!