Abel Ferraras Tommaso und der Tanz der Geister schickt einen Regisseur auf eine spirituelle Flucht vor der Vergangenheit. Ab dem 16.07.2020 erscheint das einzigartige Drama mit Willem Dafoe in der Hauptrolle für das Heimkino. Ob Ferrara erneut einen Geniestreich hinlegt oder ob er doch daneben greift, erfahrt ihr in dieser Kritik.
Titel | Tommaso und der Tanz der Geister (OT: Tommaso) |
Jahr | 2019 |
Land | Italien, Großbritannien, USA, Griechenland |
Regie | Abel Ferrara |
Drehbuch | Abel Ferrara |
Genre | Drama |
Darsteller | Willem Dafoe, Cristina Chiriac, Anna Ferrara |
Länge | 114 Minuten |
FSK | Ab 12 Jahren freigegeben |
Verleih | Neue Visionen Filmverleih |
Darum geht es in Tommaso und der Tanz der Geister
Der Regisseur Tommaso (Willem Dafoe) lebt in Rom und zieht gemeinsam mit seiner Frau Nikki eine Tochter groß. Schließlich ist das Einzige, das sich Tommaso wünscht, ein normaler Alltag. Doch sein Leben verläuft alles andere als ordinär. Er sucht bei Yoga-Stunden, einer Selbsthilfegruppe und in der Meditation nach seinem inneren Frieden, doch seine Vergangenheit als impulsiver, alkoholsüchtiger Künstler holt ihn regelmäßig ein. Gleichzeitig sorgen unterschiedliche Weltansichten von ihm und seiner Frau für Konflikte, denn während er den Zusammenhalt seiner Familie stärken möchte, will Nikki sich nicht von Grenzen einengen lassen. Droht die Situation in Tommaso und der Tanz der Geister zu eskalieren?
Ein Charakter voller Ambivalenzen und innerer Dämonen
Tommasos Charakter zeichnet sich besonders durch seine Ambivalenzen aus. Von Atemübungen bis hin zu ausgiebigen Meditationen – er versucht alles, um seine innere Ruhe zu finden, doch sein Temperament hat er nur bedingt unter Kontrolle. So leidet er beispielsweise unter kurzen Wutausbrüchen, die sich mit seiner Eifersucht vermischen. Dabei hat er bereits viel erreicht. Schließlich ist er seit Jahren clean und auf den ersten Blick lebt er glücklich mit seiner neuen Familie zusammen, nachdem er seine frühere wegen seiner Sucht verlassen musste. Doch ein nach außen hin besser gelebtes Leben reicht nicht alleine, um auch seinen inneren Frieden zu finden. Dafür sind die Dämonen, die er in sich trägt, zu stark.
Diese Charakterzeichnung ist die größte Stärke von Tommaso, denn sie macht die Figur interessant und greifbar. Sie steckt voller Widersprüche, wie man es schließlich auch aus dem Leben gewöhnt ist. Und Willem Dafoe vereinnahmt seine Rolle: Er wird zu Tommaso. Und gleichzeitig weist das Drama auch einige Parallelen zu Abel Ferraras Leben auf, der selbst gegen seine Drogenprobleme kämpfen musste. Durch den leicht autobiografischen Touch kann Ferrara sich in den Charakter Tommaso extrem gut einfühlen. So kann er ihn immer authentisch in Szene setzen, was in Kombination mit Dafoes Schauspiel eine hypnotisierende Wirkung erzeugt. Schnell ist vergessen, dass man eigentlich einen Film sieht und der Zuschauer findet sich selber in den Geschehnissen wieder. Allein die Dialoge der Selbsthilfegruppe sind so interessant, dass es einem fast wie eine eigene Therapie erscheint, der man stundenlang zuhören könnte. Das gilt auch für einige weitere Gespräche in Tommaso und der Tanz der Geister.
Tommaso und der Tanz der Geister – Eine filmische Meditationssitzung
Nicht nur Dafoes Schauspiel ist einnehmend, sondern auch die gesamte Inszenierung. Die Geschichte ist im Kern zwar relativ ruhig und unaufgeregt, doch Ferrara weiß, wie er sie umzusetzen hat. Um die meditative Sinnsuche von Tommaso zu verdeutlichen, nutzt Ferrara ebenso meditative Musik als Soundtrack. Dadurch, dass sich zusätzlich Tagträume und die Realität vermischen, entsteht eine klare Sogwirkung. Anfangs ist es zwar noch leicht, die Wirklichkeit von den Einbildungen zu unterscheiden, doch die Grenzen verschwimmen immer mehr. Es ist später schwer, sie wirklich auseinanderzuhalten. Das sorgt unter anderem auch für das durchaus interessante Finale, das zwar polarisieren dürfte, aber genauso das Potenzial hat, lange nachzuhallen. Sowohl das Ende, als auch immer wieder eingeschobene Szenen, in denen die Ruhe gebrochen wird, stechen so heraus und werden dadurch noch intensiver.
Der Zuschauer als zweiter Protagonist
Neben Tommaso hat der Film auch einen weiteren Protagonisten, doch dieser findet sich nicht vor der Kamera wieder, sondern es ist die Kamera selbst. Kameramann Peter Zeitlinger nutzt eine sehr dynamische Kamera, die für ein starkes Mittendrin-Gefühl sorgt. Die Kamerabewegungen sind teilweise noch offensichtlicher, als es bei anderen Handkamera-Filmen der Fall ist. In einer Szene wirkt es sogar so, als würde die Kamera getreten werden und dadurch wackeln. Doch wenn sie einmal nicht hautnah an den Figuren klebt, dann verhält sie sich vergleichsweise voyeuristisch. Sie versteckt sich in verschiedenen Winkeln und so bekommt der Zuschauer in Kombination mit den anderen filmischen Spielereien das Gefühl, dass er mit Dafoe in der Szene wäre. Auch die Beleuchtung trägt zur Authentizität bei, denn sie ist zwar nicht vollkommen, doch sie kreiert einen naturalistischen Look. Es sieht besonders bei den Außenaufnahmen häufig nach natürlichem Licht aus.
Unser Fazit zu Tommaso und der Tanz der Geister
Tommaso und der Tanz der Geister ist ein eigenwilliger Film, auf den man sich zunächst einlassen muss. Doch ist man bereit, sich von der Reise ins Innere mitreißen zu lassen, dann kreiert das Drama einen schier unausweichlichen Sog. Die Mischung aus Authentizität und surrealen Elementen fügen sich zu einer faszinierenden Kombination zusammen, die eine einzigartige Seherfahrung verspricht. Des Weiteren bietet Willem Dafoe erneut ein wunderbar akzentuiertes Schauspiel, in dem er augenscheinlich zu seinem Charakter wird. Dadurch vergeht das Drama trotz seiner Eigenheiten wie im Flug, verschwindet so schnell aber nicht mehr aus den Gedanken. Abel Ferrara ist hier ein außergewöhnlicher Film gelungen, bei dem man selbst einfachen Gesprächen stundenlang zuhören könnte, als wäre es eine verfilmte Selbsthilfegruppe.
Tommaso ist ab dem 16.07 auf DVD erhältlich und als VoD verfügbar.
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