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Tropa De Elite

Bevor José Padilha mit RoboCop, Narcos oder zuletzt 7 Tage in Entebbe international erfolgreich wurde, drehte er mit Tropa De Elite einen unbequemen, düsteren und zeitweise kontrovers diskutierten Thriller im Milieu der brasilianischen Drogenbekämpfung.

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TitelTropa De Elite
Jahr2007
ProduktionslandBrasilien, USA, Argentinien
RegieJosé Padilha
DrehbuchAndré Batista, Rodrigo Pimentel, Luiz Eduardo Soares, José Padilha
GenreAction, Thriller, Drama
DarstellerWagner Moura, André Ramiro, Caio Junqueira, Milhem Cortaz
Länge115 Minuten (uncut)
FSKan 18 Jahren freigegeben (uncut)
VerleihWild Bunch

BOPE – Brasiliens Antwort auf den Drogenkrieg

Fernando Meirelles‘ City of God hat sich ausführlich mit Kriminalität und Überleben in den brasilianischen Favelas auseinandergesetzt. Durch authentische Laiendarsteller, improvisierte Dialoge und einer ungeheuer fesselnden Bildsprache wurden die alltäglichen Geschehnisse zwar mit cooler Ästhetik, aber der dennoch nötigen Distanz geschildert. Dabei wurde eine Chronik von Wachstum, Niedergang und Neubeginn geschaffen, die zwar verschiedene Blickwinkel einnahm, sich aber immer aus Perspektive der Favelabewohner zeigte. Romantisierung oder relativierende Nuancen gab es trotz dieser Perspektive keine. City of God hat sich mehr für die Einzelschicksale verschiedener Figuren innerhalb seiner Erzählung interessiert als für das große Ganze. So wird Korruption in staatlichen Organen zwar angedeutet, aber nicht in ihrem tatsächlichen Ausmaß geschildert.

Tropa de Elite schickt den Zuschauer erneut in die Slums um Rio de Janeiro, fährt aber einen radikalen Perspektivwechsel auf: bei diesem Aufenthalt in den Favelas wird die Handlung aus Sicht der Rechtschaffenheit geschildert. Wer dabei an den Polizeiapparat denkt, muss sein Denken korrigieren. Von der ersten Sekunde an wird deutlich gemacht, dass die Polizei ihre Integrität nicht nur verloren, sondern bei vollem Bewusstsein aufgegeben hat: Korruption und Grabenkämpfe lassen nahezu jeden in die eigene Tasche wirtschaften. Um der Aufweichung der Gesetze entgegenzuwirken und um den kriegsähnlichen Zuständen in den Favelas Herr zu werden, wurde ein Spezialkommando gegründet, welches seit 1997 auf den Namen Batalhão de Operações Policiais Especiais, kurz BOPE, hört.


Aktion/Reaktion – Tropa De Elite zeigt eine Spirale der Gewalt

Capitão Nascimento (Wagner Moura, heute wohl am bekanntesten als Pablo Escobar in Narcos) leitet ein Einsatzkommando des BOPE, leidet jedoch zunehmend an privaten und beruflichen Geschehnissen, weshalb er seinen Ausstieg aus dem aktiven Dienst beantragt. Dies wird ihm unter einer Voraussetzung bewilligt: er soll persönlich seinen Nachfolger ernennen. So beginnt die Suche nach geeigneten Anwärtern unter all den korrumpierten Polizisten…

Völlig unvorbereitet wird das Publikum in diese Situation geworfen und förmlich erschlagen: hektische Handkamera, schnelle Schnitte, unübersichtliches Aufgebot an Personen und schlussendlich das entfesselte Chaos. Tropa De Elite schafft es problemlos, die chaotische Lebendigkeit der Slums zu übermitteln und Überforderung des Polizeidienstes deutlich zu machen. Fallen die ersten Schüsse, wird schnell klar: ohne gleichwertiges Arsenal an Waffen und Kaltblütigkeit kann die Rechtsstaatlichkeit nicht durchgesetzt werden.

Wenn die Rechtsstaatlichkeit erlischt…

Tropa De Elite zeichnet von Beginn an ein desaströses Bild der brasilianischen Exekutive. Neben der offen gelebten Korruption wird deutlich, dass die Polizei sich den gegebenen Umständen völlig ergeben hat. Die Drogenbarone in den Favelas können unbehelligt ihre Herrschaft genießen – Polizisten bekommen sie nur zu Gesicht, wenn die regelmäßigen Schmiergeldzahlungen anstehen. Abgesehen vom aufgeweichten moralischen Verständnis der Polizei, kann deren Ausrüstung nicht mit den schweren Waffen der Verbrecherbanden Schritt halten.

BOPE jedoch ist dazu in der Lage. Mit gepanzerten Unterstützungsfahrzeugen, Kriegswaffen und eisernem Willen wird entschlossen gegen Drogenhandel und Bandenkriminalität vorgegangen. Nicht nur in ihrer Bewaffnung und Ausrüstung unterscheidet sich BOPE deutlich vom „gewöhnlichen“ Polizisten. BOPE lebt seine, zumindest aus deren Betrachtungsweise, moralische Überlegenheit geradezu aus. Gänzlich in Schwarz uniformiert, schneidige Baretts auf dem Kopf und mit einem eigenen Logo (ein von einem Kampfmesser durchbohrter Schädel vor zwei gekreuzten Pistolen) versehen, setzt sich deren Auftreten geradezu martialisch in Szene. Unbestechlichkeit, Gnadenlosigkeit und Verlässlichkeit werden den Anwärtern in beinharten Trainingscamps eingetrichtert, während Schwäche, Hinterfragen und Moral ausgetrieben werden.

…muss die eigene Moral neu eingestellt werden

In dieses ambivalente Spektrum wird dem Zuschauer Capitão Nascimento als handelnde Figur und allwissender Erzähler zur Seite gestellt. Und genau dieser Kniff hat dem Film einige Gegenstimmen bis hin zu Faschismusvorwürfen eingebracht. Die brasilianische Rechte wiederum hat den Film euphorisch gefeiert. Wie so oft liegt die Wahrheit, wenn überhaupt, irgendwo dazwischen. Das moralische Dilemma ist schnell umrissen. Man folgt der Perspektive der Guten, Willensstarken, die sich dem Kampf gegen Korruption und Verbrechen stellen. Da fällt es leicht, deren mitunter sehr gewalttätigen Methoden nicht zu hinterfragen, sondern als notwendiges Übel zu akzeptieren. Die Frage die sich dabei aufdrängt: kann die Demokratie geschützt werden, indem Regularien und Konventionen eben dieser gebrochen wird?

Tropa De Elite gibt darauf keine Antwort, auch wenn es leicht fällt, dem brutalen aber scheinbar richtigen Charme des BOPE zu erliegen. Genauso wird aber auch deutlich, dass die Mitglieder des BOPE ihre persönlichen Wertvorstellungen über Bord werfen müssen, um in dieser Welt bestehen zu können. Trotzdem urteilt Tropa De Elite nicht. Weder wenn Dealer gefoltert werden, noch wenn Angeschossene brutal aus nächster Nähe mittels Schrotflinte hingerichtet werden. Zwar ist die Kamera mitten drin, aber glorifizierend wirken keine der gezeigten Gewalttaten. Vielmehr ob ihrer Beiläufigkeit schonungslos realistisch und gerade deswegen abstoßend.

Action trifft Drama trifft Philosophie

Neben dem durch und durch verkommenen Polizeiapparat wird auch die wohlhabende Oberschicht seziert.In Form von Studenten, die sich zwar in sozialen Projekten engagieren, dies aber gleichwohl nur mit Befugnis des lokalen Bandenchefs dürfen, und nebenbei fleißig für diesen Drogen schmuggeln beziehungsweise den privaten Vorrat beziehen. In einer eindrucksvollen Szene wird den Studenten der Spiegel vorgehalten und ihr gelecktes Ego zerschmettert. Das eigentlich ehrbare Vorhaben, die Bewohner der Favelas mit Bildung und Hilfsprojekten zu unterstützen, wird von der eigenen Gier nach dem Kick konterkariert. Immer wieder drängt Tropa De Elite den Zuschauer in die Ecke und drischt auf die persönlichen Moralvorstellungen und Werte ein. Zwingt zum Hinsehen und Urteilen, ohne jedoch selber Stellung zu beziehen.

Handwerklich ist der Film dabei gelungen. Kontrastreiche Farben, schnelle Schnitte und eine stets bewegte Kamera vermitteln in den Actionsequenzen deutlich das ausgestoßene Adrenalin, aber auch das Gefühl, der Lage schwerlich Herr zu werden. Rockige Klänge peitschen das Tempo zusätzlich in ungeahnte Höhen. Auf der anderen Seite stehen ruhige Passagen, wie die Szenen in Universitätsseminaren, die durchaus zum Nachdenken anregen können, vor allem da sie, wenn auch nur kurz, philosophische Fragen andeuten. Trotzdem gibt Tropa De Elite keinen moralischen Kompass in die Hand.

Nascimentos, beeindruckend von Moura gespielt, innere Zerrissenheit ist spür- und vor allem nachvollziehbar. Einerseits der knallharte Truppführer, andererseits werdender Vater und Ehemann, dessen Arbeit sein Privatleben immer mehr negativ beeinflusst. Neto (Caio Junqueira) und André (André Ramiro) stellen als mögliche Nachfolger den Gewissenskonflikt offensichtlicher zur Schau. Während der eine, Neto, heißblütig und draufgängerisch ist, stellt sich der andere besonnener und nachdenklicher dar. Der ideale Nachfolger für Nascimento müsste allerdings beide Charakterzüge in sich vereinen.

Beängstigende Realität

Der beobachtende, dokumentarische Look des Films kommt außerdem nicht von ungefähr: José Padilha (RoboCop, Narcos) begann als Dokumentarfilmer und wollte den Stoff ursprünglich auch als solchen umsetzen. Diesem Vorhaben standen jedoch einige Probleme entgegen: so wollten seine Interviewpartner nicht vor Kameras agieren und es wäre gefährlich gewesen, die Einsätze des BOPE live zu begleiten. Stattdessen basiert die Handlung nun auf dem Buch Elite da Tropa, welches unter anderem von ehemaligen Einsatzkräften des BOPE verfasst wurde.

Insgesamt kann Tropa De Elite als fiebriger Actionthriller verstanden werden. Dessen ungeschönter Realismus ufert bisweilen fast schon bizarr aus: wenn sich Polizisten gegenseitig ihre Schmiergelder streitig machen. Wenn Studenten im naiven Glauben an Verbesserung die Kriminalität weiter stärken. Wenn die einzige Antwort auf Gewalt noch drastischere Gewalt darstellt. Das Werk polarisiert zu Recht, heizt die Gemüter an und hat damit sein Ziel erfüllt: es wird sich im Diskurs über die gebotenen Zustände versucht.

Unsere Wertung:

 

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