Vielleicht war die Oscarverleihung 2020 die Emanzipation des südkoreanischen Kinos. Der längst überfällige Befreiungsschlag, der einer sowieso schon großen Filmnation internationale Anerkennung verliehen hat. Der Abend des 9. Februar 2020 ist als der Abend in die Filmgeschichte eingegangen, an dem Parasite die Halbinsel zwischen dem Ostchinesischen und Japanischen Meer auf den Zettel von Filmfans überall auf der Welt gebracht hat. Genau 101 Jahre, nachdem mit Kampf für Gerechtigkeit die erste südkoreanische Produktion aufgeführt wurde. Lasst uns dies zum Anlass nehmen und auf das südkoreanische Kino blicken. Wie haben sich koreanische Filme im Laufe der Geschichte entwickelt? Was macht sie so besonders? Wie ordnen sie sich im Vergleich zu anderen großen Filmnationen unserer Zeit ein? Und welche Perlen hat es, neben dem großartigen Parasite, noch zu bieten?
Ein Blick in die Geschichte
Die Geschichte des koreanischen Films ist sehr eng mit der Geschichte Koreas verknüpft. Zu Zeiten von Kampf für Gerechtigkeit stand Korea beispielsweise noch unter japanischer Herrschaft. Aufgrund der teilweise sehr repressiven Kolonialpolitik war das koreanische Kino zu dieser Zeit von widerständischen und anti-japanischen Botschaften geprägt. Im Jahr 1942 verbot Japan koreanisch-sprachige Filmproduktionen gänzlich und nutzte die vorhandene Filmindustrie ausschließlich für Propagandazwecke. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1945 wurde Korea von der japanischen Herrschaft befreit und dies schlug sich direkt in der Kinobewegung nieder.
Die folgenden Jahre waren von Filmen geprägt, die die neu gewonnene Unabhängigkeit feierten und das Ende des Kriegs zelebrierten. Mit der Teilung Koreas in den kommunistischen Norden und den demokratischen Süden beginnt im Jahr 1948 schlussendlich die Geschichte des südkoreanischen Films. Doch auch diese Geschichte ist nicht frei von gesellschaftlichen und künstlerischen Rückschlägen. Während die 1960er als die Blütezeit der südkoreanischen Kinos gelten, waren die 1970er erneut von staatlicher Zensur und Propaganda geprägt. Erst ab Mitte der 1980er Jahre konnten sich koreanische Filme frei entfalten und erreichten nach und nach internationale Anerkennung. Doch auch ab dieser Ära sollte es noch 40 Jahre dauern, bis Parasite alles veränderte.
Auch heute noch sind politische Systematiken und gesellschaftliche Probleme omnipräsent in südkoreanischen Filmen. Doch was charakterisiert dieses Kino noch, außer die Verarbeitung zeitgenössischer Themen? Warum wirken Filme von der ostasiatischen Halbinsel beim ersten Kontakt so fremd? Und was ist ihre Erfolgsformel?
Was macht koreanische Filme so besonders?
Wie aus dem kurzen geschichtlichen Abriss deutlich werden sollte, spielten Politik und Geschichte schon immer eine große Rolle in koreanischen Filmproduktionen. Da sich der gemeine europäische Film-Connoisseur in diesen beiden Themengebieten nicht zwingend gut auskennt, mag derartige Materie oft etwas fremd wirken. Nehmen wir als Beispiel den Film Monstrum von Heo Jong-ho. Die Mischung aus Horror, Monster- und Martial-Arts Film spielt zu Zeiten der Joseon-Dynastie im Jahre 1527. Zwischen den ausufernden Action-Passagen nimmt sich der Film viel Zeit für die Einordnung der Hauptfiguren in die Hackordnung der damaligen Gesellschaft und den Zwisten zwischen den unterschiedlichen Schichten. Dennoch lohnt sich Monstrum auch für Genre-Fans, die mit koreanischer Geschichte wenig bis nichts anfangen können. Denn kurz bevor diese Elemente drohen die Überhand zu gewinnen, tritt das titelgebende Monster auf das Tableau und die Actionschraube zieht merklich an.
Ein weiteres positiv hervorstechendes Merkmal koreanischer Filme ist die Eleganz. Sei es die pure Schönheit der sorgfältig komponierten Bilder, wie es Bong Joon-ho in beispielsweise Mother und Parasite perfektioniert hat, oder auch das kultivierte Chaos, wie es unter anderem ein Save The Green Planet! zelebriert. Ob ruhiges Familiendrama oder überdrehtes Action-Sci-Fi-Kino, es wirkt, als hätten südkoreanische Filmemacher ihr Handwerk bis nah an die Vollkommenheit geschliffen. Die vielzitierte Redensart „Every frame a painting“ trifft auf eine ganze Reihe koreanischer Filme zu. Ein Meister dieses Fachs ist auch der in Seoul geborene Park Chan-wook. Doch ihn eint noch eine Gemeinsamkeit mit Parasite-Mastermind Bong Joon-ho. Und zwar haben beide bereits Ausflüge auf den US-amerikanischen Filmmarkt unternommen.
Interessanterweise fallen diese beiden Produktionen mit 2013 sogar ins gleiche Jahr. Während Chan-wook in Stoker Mia Wasikowska, Matthew Goode und Nicole Kidman in ein perfide-abgründiges Psycho-Drama verwickelte, zeichnete Joon-ho in Snowpiercer eine äußerst düstere Zukunftsvision. Nachdem ein Experiment, um die globale Erderwärmung zu stoppen, grausam fehlgeschlagen ist, sind die letzten überlebenden Menschen mit einem Snowpiercer getauften riesigen Zug unterwegs durch die kargen Eislandschaften. Innerhalb des Zuges kommt es dann, wie so oft in koreanischen Filmen, zum offen ausgetragenen Konflikt zwischen arm und reich.
Koreanische Filme – Der Höhenflug hält an
Ein Abschwächen des Vormarschs des koreanischen Kinos ist dabei noch lange nicht in Sicht. Bereits lange vor Parasite stellte die UNESCO im Jahr 2013 in einer Studie fest, dass Südkorea nach Großbritannien der am zweitschnellsten wachsende Filmmarkt der Welt ist. Von 2005 bis 2011 steigerte sich die Anzahl südkoreanischer Filmproduktionen um 148%. Damit liegt das verhältnismäßig kleine Land sogar noch vor der Weltmacht China, die mit 126% Wachstumsrate den dritten Platz belegt. Mit 216 Filmen hat Südkorea im Jahr 2011 übrigens ganze vier Filme mehr produziert als Deutschland (212).
Die Oscarverleihung 2020 könnte daher eine Initialzündung für noch mehr qualitativ hochwertige Filme aus Fernost sein. Und bereits jetzt gibt es unzählige auf Zelluloid gebannte Perlen, die nur darauf warten von Filmfreunden der ganzen Welt entdeckt zu werden. Ein paar koreanische Filme wollen wir euch gerne im nächsten Filmfrühstück, dem Podcast von Filmtoast, vorstellen. Onno, Samuel und Patrick werden dort nochmals ausführlich dem südkoreanischen Kino huldigen und ihre Geheimtipps mitbringen. Doch für Tipps braucht ihr nicht bis zum Podcast warten. Unter dem Artikel findet ihr noch in drei Empfehlungen aus der Redaktion von dem lieben Onno, falls ihr euch dem koreanischen Kino widmen wollt.
Schließen möchten wir dieses Filmtoast-Feature mit einem Zitat von den Golden Globes 2020. Denn als Bong Joon-ho dort den Preis für den besten ausländischen Film entgegennahm, sagte er in seiner Ansprache folgende wahren Worte:
“Once you overcome the one-inch tall barriers of subtitles, you will be introduced to so many more amazing films.”
– Bong Joon-ho (2020)
Koreanische Filme – Die Tipps von unserem Redakteur Onno
Seom – Die Insel
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Kim Ki-duks Drama aus dem Jahre 2000 war nicht nur für den goldenen Löwen bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig nominiert, sondern sorgte dort bei seiner Vorführung auch für Ohnmachtsanfälle. Verstörend sind die Inhalte auf jeden Fall, wenn auch nicht explizit. Viel mehr wird der Vorstellungskraft der Zuschauer einiges abverlangt, denn gerade im Kopf generieren die Szenen ein unbehagliches Gefühl. Aber was für Szenen? Nun, in Seom – Die Insel geht es um die intensive und gewalttätige Beziehung zwischen zwei gebrochenen Menschen, die an einem idyllischen See zueinanderfinden. Und normal ist hier gar nichts und Angelhaken werden hier entschieden zweckentfremdet. Ein faszinierendes wie auch verstörendes Werk.
The Host
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Es gibt Monster-Filme und es gibt Monster-Filme. Und es gibt The Host von Parasite-Regisseur Bong Joon-ho. Denn wenn er sich an einen Film setzt, kommt dieser sicherlich nicht ohne gesellschaftskritische und politische Themen aus. Auch nicht, wenn es sich augenscheinlich um einen Monster-Film handelt. Mit Humor, Spannung und Reminiszenzen an einen tatsächlichen Ökoskandal zwischen Südkorea und den USA, erschuf der Ausnahme-Regisseur hier einen ganz eigenwilligen, aber auch stimmigen Mix. Ähnlich wie sein Monster, windet sich der Film stets aus dem Erwartungskorsett des Zuschauers und geht dabei eigene erzählerische Wege. Das ist interessant und spannend zugleich, wenngleich einige Genre-Konventionen eingehalten werden. Doch schafft es Bong Joon-ho, diese gekonnt mit seiner Vision zu verflechten und etwas komplett Eigenständiges zu erschaffen.
Burning
Fast wäre Burning und nicht ein Jahr später Parasite als erster koreanischer Film mit der goldenen Palme ausgezeichnet worden. Doch Lee Chang-dongs Werk musste sich letztlich Shoplifters aus Japan geschlagen geben. Überragend ist der Film dennoch, wenngleich man sich das komplette erste Drittel des Films fragt „Was passiert hier eigentlich?“. Denn Burning macht es dem Zuschauer nicht leicht Fuß in dieser Geschichte zu fassen. Zu authentisch und zugleich abstrus ist diese und wartet dabei mit vielen geheimnisvollen und faszinierenden Momenten auf. Dabei lässt die mit Metaphern bestückte Geschichte den Zuschauer stets im Interpretationskarussell kreisen und sorgt bis weit nach dem Abspann für ausführliche Grübeleien. Ein intensives und bezauberndes Erlebnis.
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