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Isak Borg (Victor Sjöström) und seine Schwiegertochter Marianne (Ingrid Thulin) fahren mit dem Auto nach Lund. © Studiocanal Home Entertainment

Wilde Erdbeeren

Ingmar Bergman schickt in seinem in schwarz-weiß gedrehten Klassiker Wilde Erdbeeren den alten Mediziner Victor Borg auf eine Reise in dessen Vergangenheit. Wie wurde er zu dem gefühlskalten Mann, als den ihn seine Umwelt wahrnimmt? Welche Rolle spielen Wilde Erdbeeren dabei? Ob diese Reise durch eine surreale Traumwelt auch heute noch gefallen kann, erfahrt ihr in unserer Rezension.

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Titel Wilde Erdbeeren (OT: Smultronstället)
Jahr 1957
Land Schweden
Regie Ingmar Bergman
Drehbuch Ingmar Bergman
Genre Drama
DarstellerVictor Sjöström, Ingrid Thulin, Bibi Andersson, Gunnar Björnstrand, Max von Sydow
Länge 92 Minuten
FSK ab 16 Jahren freigegeben
Verleih StudioCanal
Das Cover der Blueray von Wilde Erdbeeren zeigt Isak Borg (Victor Sjöström) am Steuer seines Wagens und Marianne (Ingrid Thulin) auf dem Beifahrersitz. Beide blicken nach rechts in Fahrtrichtung. © Studiocanal Home Entertainment
Das Cover der Blueray von Wilde Erdbeeren. © Studiocanal Home Entertainment

Darum geht es in Wilde Erdbeeren

Isak Borg (Victor Sjöström) ist ein alter Griesgram. Der Professor der Medizin soll zu seinem 50. Promotionsjubiläum von seiner alten Universität in Lund geehrt werden. Spontan beschließt der 87-Jährige mit dem Auto dorthin zu fahren. Seine Schwiegertochter Marianne (Ingrid Thulin) schließt sich an, um ihren Mann wiederzusehen, den sie vorübergehend verlassen hat. Die 14-stündige Fahrt ist für Borg eine Reise in die Vergangenheit, zu den Wilden Erdbeeren seiner Jugend. Er besucht Stätten seiner Kindheit und erlebt in Träumen Stationen seines Lebens, die ihn zu einem scheinbar gefühllosen, kalten Egoisten haben werden lassen.

Auf der Fahrt nehmen sie drei Anhalter mit, die junge Sara (Bibi Andersson), die genauso heißt wie seine große Jugendliebe, und ihre beiden Freunde Anders (Folke Sundquist) und Viktor (Björn Bjelfvenstam), der eine angehender Priester, der andere atheistischer Freigeist. Nach einem Unfall schließt sich für kurze Zeit das zerstrittene Ehepaar Alman der Reisegruppe an. Nach einem Besuch bei Borgs 96-jähriger Mutter (Naima Wifstrand) erreichen sie schließlich Lund.

Ein Roadmovie durch innere Landschaften

Man könnte Ingmar Bergmans Wilde Erdbeeren als eine Art frühes Roadmovie betrachten. Leben derartige Filme von Bildern vorbeirauschender Landschaften, sieht man sie hier jedoch fast nur, wenn der Wagen anhält. Bergman, der Regisseur menschlichen Innenlebens, zeigt meist nur das Innere des großen Wagens mit seinen Passagieren. Wilde Erdbeeren ist ein Roadmovie durch innere Landschaften.

Isak Borg ist vereinsamt, innerlich abgestorben. Deutlich wird dies gleich zu Beginn in der ersten, symbolisch aufgeladenen Traumsequenz, von denen Wilde Erdbeeren einige zu bieten hat. Borg hat sich verirrt und läuft durch menschenleere Straßenzüge, vorbei an baufälligen Häusern mit teils vernagelten Fenstern. Der scharfe Kontrast dieser Szene verstärkt die unheimlich-unwirkliche, surrealistische Atmosphäre. Vor einem der Häuser hängt ein Schild: eine Uhr ohne Zeiger, darunter zwei starrende Augen hinter Brillengläsern. Plötzlich erscheint ein von schwarzen Pferden gezogener schwarzer Leichenwagen. Er kollidiert mit einer Laterne, der Sarg kippt herunter, öffnet sich. Ein Arm streckt sich heraus, versucht Borg zu sich zu ziehen. Er erkennt in dem Toten sich selbst.

In einer Traumsequenz sitzt Isak Borg (Victor Sjöström) in einem Vorlesungssaal vor eniem großen Mikroskop. Er muss sich erneut einer Prüfung stellen. Auf den Bänken im Hintergrund sitzen einige Beobachter.© Studiocanal Home Entertainment
In einer Traumsequenz muss sich Isak Borg (Victor Sjöström) in einem Vorlesungssaal erneut dem Examen unterziehen. © Studiocanal Home Entertainment

Ein einsamer Steinklotz

Borg hat sich in seinem ganzem Leben von den Menschen fern gehalten. Er ist vereinsamt und eigentlich schon innerlich gestorben. Eine Einsicht, die ihm im Laufe seiner Reise immer deutlicher wird. Marianne hält ihm während eines Streits im Auto vor: „Hinter der sympathischen Maske bist du ein Steinklotz, den nichts zu bewegen vermag.“ Gefühlskalt entgegnet er: „Seelische Qualen zählen für mich nicht, also belästige mich nicht damit.“

Dabei muss hinter der kalten Fassade doch ein mitfühlender Kern stecken. Bei einem Tankstopp in der alten Heimat erlässt ihm der Tankwart die Rechnung. Borg hatte dort lange als Kreisarzt gearbeitet, und als Arzt so viel Gutes getan, dass man ihm Dank zu schulden glaubt. Den Tankwart spielt übrigens Max von Sydow, hier in Wilde Erdbeeren in einer kleinen Nebenrolle, nachdem er kurz zuvor die Hauptrolle in Ingmar Bergmans Das siebente Siegel übernommen hatte.

Bei einer Pause am alten Ferienhaus der Familie schläft Borg ein. Er träumt von einem entscheidenden Moment seiner Jugend, der dem Film auch seinen Titel gab. Er sieht seine Jugendliebe Sara, die eben Wilde Erdbeeren pflückt. Der Krug mit diesen Früchten fällt um, als sie von Isaks Bruder Sigfrid geküsst wird. Sigfrid wird Sara später heiraten.

Verlorene Träume um Wilde Erdbeeren

Als Borg erwacht, tauchen die jugendlichen Anhalter auf, allen voran die burschikose Sara. Die heißt nicht nur nicht zufällig wie seine Jugendliebe Sara, sondern wird ebenso von Bibi Andersson gespielt. Sie ist frech und aufmüpfig. Als Zeichen ihrer Unabhängigkeit steckt sie sich gerne eine Tabakspfeife in den Mund. Dieses jugendliche Trio konfrontiert den aus der Erinnerung erwachten Borg mit seinen verlorenen Jugendträumen.

Im Traum sieht Isak Borg (Victor Sjöström) seine Jugendliebe Sara (Bibi Andersson) wieder. Sara kniet links vor ihm im Feld wilder Erdbeeren und hält ihm einen Spiegel vor. © Studiocanal Home
Im Traum sieht Isak Borg (Victor Sjöström) seine Jugendliebe Sara (Bibi Andersson) wieder. © Studiocanal Home Entertainment

Es folgen andere Konfrontationen, etwa mit dem streitenden Ehepaar Alman, das ihn an seine eigene zerrüttete Ehe erinnert. In einem weiteren traumartigen Flashback sieht er, wie seine Frau Karin ihn betrügt. Ingmar Bergman inszeniert diese Traumschübe mit einem geschickten Kunstgriff. Er lässt den alten Borg als Beobachter an diesen Szenen teilnehmen, so als könne er noch Einfluss nehmen auf das Geschehen, obwohl ihm in Wirklichkeit die Hände von der Zeitschranke gebunden sind. Doch was gilt die Zeit in einer Welt, in der Uhren keine Zeiger haben? Denn schließlich helfen ihm die Erinnerungen, seine Traumata zu überwinden. „Es ist, als ob ich mir etwas sagen wollte, was ich nicht höre, wenn ich wach bin“, sagt er über seine Visionen.

Die Sünden der Väter

Nicht nur hier lässt Freud schön grüßen. Die Sünden der Väter sind das Erbe der Söhne. Daher will Borgs Sohn Evald auch keine Kinder haben, da ihm das Leben zuwider ist. „Ich habe das Bedürfnis zu sterben, unwideruflich tot zu sein“, sagt er zu Marianne. Die aber durch die Begegnung mit Borgs Mutter ahnt, dass diese Sehnsucht familiäre Wurzeln hat. Eine uralte Frau voller Kälte. „Es war erschreckender für mich als der Tod selbst“, sagt sie. Und: „Weißt Du, dass Ewald genau so ist wie Du?“, muss sich Borg von ihr fragen lassen.

Und Isak Borg war von seinem Vater geprägt worden. Oder eigentlich von der Abwesenheit des Vaters, der in allen Erinnerungen fehlt und erst zum versöhnlichen Schluss erscheint. Eine Lücke im Leben, die Borgs Kälte wesentlich hervorrief. War Ingmar Bergman in seinen vorherigen Filmen auf der Suche nach Gott, war er in Wilde Erdbeeren auf der Suche nach dem Vater. Probleme, die schon im Alten Testament der junge Isak mit seinem Vater Abraham gehabt haben dürfte, als dieser ihn Gott opfern wollte. Auch hier ist Isak Borgs Namen Programm.

In einer Traumsequenz sitzt Isak Borg (Victor Sjöström) in einem Vorlesungssaal vor eniem großen Mikroskop. Er muss sich erneut einer Prüfung stellen. Auf den Bänken im Hintergrund sitzen einige Beobachter.© Studiocanal Home Entertainment
In einer Traumsequenz muss sich Isak Borg (Victor Sjöström) in einem Vorlesungssaal erneut dem Examen unterziehen. © Studiocanal Home Entertainment

Im Zentrum von Wilde Erdbeeren steht die großartige Leistung des ehemaligen Stummfilmregisseurs Victor Sjöström, dessen Darstellung des vereinsamten und allmählich auftauenden Borg zu seinen beeindruckendsten Arbeiten als Schauspieler zählt. Ein Charakterkopf ersten Grades, dem man jede emotionale Nuance, seine Härte wie Verletzlichkeit abnimmt. Ein Gesicht, das Geschichten erzählt. Inszenatorisch bewegt sich Wilde Erdbeeren zwischen der dialogstarken realistischen Ebene mit teils geistreich-philosophischen Diskursen und der surrealistisch verfremdeten Traumwelt, virtuos miteinander verwebt.

Unser Fazit zu Wilde Erdbeeren

Ingmar Bergman serviert keine leichte Kost, kein cinematografisches Fast-Food. Trotz aller inszenatorischer Leichtigkeit, die Wilde Erdbeeren durchaus auch unterhaltsam werden lässt, sind es doch tiefschürfendere Gedanken und Dialoge, die einen auch nach dem Betrachten des Films weiter beschäftigen dürfen. Natürlich sieht man dem Film sein Alter an. Insbesondere die Darstellung der jugendlich-burschikosen Anhalterin Sara wirkt aus heutiger Sicht albern. In den 1950er Jahren war eine solche Überzeichnung zur Kennzeichnung des rebellischen Geistes aber nicht untypisch. Wer sich auf eine Erzählweise vergangener Zeiten einlassen kann, den belohnt Wilde Erdbeeren mit Fragen zeitloser Gültigkeit.

Wilde Erdbeeren ist als DVD und Blu-ray von StudioCanal erhältlich!

Unsere Wertung:

 

 

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