Willkommen Mr. Chance ist eine erfrischend mutige Ausnahme unter den Hollywoodproduktionen der späten 70er-Jahre.
No data available.Was passiert in Willkommen Mr. Chance?
Aufgeweckt von der besten Weckmethode aller Zeiten – einem alten Röhrenfernseher – begegnen wir in Willkommen Mr. Chance, der im Original treffenderweise mit “Being There” betitelt ist, einem eigentümlichen Mann, dem wir über die gesamte Laufzeit des Films erst noch auf den Grund gehen müssen. Er scheint ein eigentümlicher Vogel zu sein, doch woher kommt diese verwirrende Art und was genau passiert eigentlich jeden Tag in unserem Fernseher?
Peter Sellers in einer ihm fremden Welt
Mr. Chance ist ein Mann der Pflanze. Er gießt die Blumen, pflückt Unkraut, gräbt und buddelt. Wüsste man es nicht besser, könnte man denken, seine stille Berufung wäre der Gärtnerjob und genau das publiziert er auch in einer Welt, die sich urplötzlich für ihn zu interessieren scheint, weil er sein isoliertes Dasein verlassen hat und mit erstaunlicher Gerissenheit zur Erkundung neuer Umgangsformen gezwungen ist. Ebenfalls mit akribischer Sauberkeit sitzt er vor dem Fernseher, dem Nahrungsmittel seiner hohlen Seele. Dem Knotenpunkt seines Verstandes. Als hätte man ein Kind vor den Fernseher gesetzt und es dann 20 Jahre dort vergessen.
Willkommen Mr. Chance ist einer dieser Filme, die uns einen völlig glaubwürdigen Blick in die reelle Welt des Irrsinns, also unserer aktuellen Wirklichkeit, gewähren kann. Und das kann er nicht zuletzt, weil die externe Beobachtung des aus dem “Garten Eden” ausgewanderten Urmenschen in ein Ökosystem, dessen Menschen – angepasst an medial gesteuerte Sozialstrukturen – an den eigens gesetzten Grenzen oder unheilbaren Krankheiten (Krebs, AIDS, Tuberkolose, etc.) zugrundegehen und in Verblüffung erstarren, wenn sie jemandem begegnen, der auf ganz simple Art und Weise jene geschaffenen Gesetze aushebeln kann und das obwohl er niemals etwas anderes zuvor gesehen hat als die farbigen Pixel seines Röhren-TVs. Soziale Kontakte am intellektuell-dekadenten Rand der Gesellschaft sind nun mal Kontakte und Kontakte waren schon immer gut, auch wenn genau jene Kontakte mit den erwähnten Krankheiten zu kämpfen haben.
Die Satire und ihr Balanceakt zwischen Kritik und Unterhaltung
Selten schafft es ein Film, besser verschiedene gesellschaftliche Blickwinkel auf etwas zu richten, das wir zweifelsfrei unser Leben nennen. In der Regel ist es die größte Schwierigkeit eine Satire zu drehen, in der die skurrile Komik so subtil mit der Inhaltsebene verankert ist, dass man schnell vergessen hat, wie die herkömmliche, moderne Komödie mit ihrem üblichen Fäkalhumor und einfachen Witzen eine Breitbandgesellschaft bedient, aber wenn genau das mal nicht der Fall ist, dann könnte mitunter Peter Sellers beteiligt sein. Seine Performance ist zweifelsohne der Perfektion so nahe, dass kein einziges Blatt Skizzenpapier mehr dazwischen passt. Er gibt dem einfältigen Mr. Chance mit seinem hohlen Blick die nötige Projektionsfläche, auf der sich allerhand derer Dinge abspielen, die man sich heutzutage als gewöhnlicher Mensch freiwillig im Fernsehen ansieht.
Das Fernsehen, die Freistätte der Beschallung, im Kampf mit der digitalen Revolution
Omnipräsent hingegen ist die unaufdringliche Kritik am Fernsehen mit ausgewählten Werbeclips, während tödliche Krankheiten immer eher den menschlichen Weg des Lebens zu Ende bringen. Jerzy Kosinski, der sich sowohl für den ursprünglichen Roman als auch für das Drehbuch verantwortlich zeigt, experimentiert innerhalb seiner Drehbuchzeilen bewusst mit dem Gedanken wie es wäre, wenn die Intelligenz eines Menschen sich ausschließlich aus dem Fernsehprogramm bilden und ergänzen würde. In Willkommen Mr. Chance oder in seinem viel treffenderen Titel – Being There – steckt also eine deutliche, pessimistische, gar auswegfreie Aussage. Die, wie es wäre, einfach nur _da_ zu sein. Zu existieren. Den Planeten mit einer Restzeit an Leben zu bewohnen und dann für immer verschwunden zu sein. In darauffolgend biologischen Abfall zu zerfallen. Und Kosinski gelang eine bedeutende Vision davon, wie es schließlich Jahrzehnte später tatsächlich ist, in einer Welt in der das starre Röhrenfernsehgerät schleichend von portablen Bildschirmen abgelöst wird und sich innerhalb von sozialen Netzwerken gefährliche Scheinrealitäten und -identitäten bilden.
Realitäten, in denen man sich womöglich als alteingesessener Rentner so fühlen könnte, wie sich Mr. Chance in der für ihn unbekannten Realität dieses Films fühlt. Hilflos, unbeholfen, aber doch stets verblüffend souverän, begibt er sich auf den Weg in eine unvertraute Welt. Es ist, als hätte Kosinski im Kern bereits 1979 bemerkt, wie digitale Medien zukünftig dazu missbraucht werden könnten, dem Menschen nun auch mental seiner Lebenszeit und seiner kostbaren Energie zu berauben, wenngleich Unterhaltung fraglos nichts Schlechtes sein muss.
Mittlerweile sind wir allerdings an einem Punkt angelangt, an dem der Mensch sich auf einschlägigen Plattformen freiwillig des zumindest scheinbaren Individualismus wegen ideologisch versklavt. So versklavt, als das man in völliger Ablenkung nichts anderes mehr tut, egal ob eine Frau direkt neben einem selbst masturbiert. Eben so unbemerkt versklavt, dass die anderen und man selbst es nicht einmal mitbekommt. Take the CHANCE and “DO IT”, ließ sich Shia LaBeouf einmal zitieren und auch wenn seine im Kern so wichtige und richtige Aussage bedeutsam sein mag, so sieht sich doch jeder selbst bereits unter medialem Druck so sehr dazu gezwungen, ES ZU TUN, dass genau das schon zu einem Akt der Unnatürlichkeit geworden ist und der Mensch so ferngesteuert durch die Welt geht, wie es der mit unvergleichlicher Brillanz durch Peter Sellers dargestellte Mr. Chance es in diesem phänomenalen Film tut.
Fazit:
Mit Willkommen Mr. Chance gelang Hal Ashby in Verbindung mit Autor Jerzy Kosinski ein viel ausgezeichneter, weitreichender, internationaler Erfolg, der auch von Kritikergröße Roger Ebert als unüblich feinsinnige Satire bezeichnet wurde und zu dessen Realisierung es nur durch Darstellergigant Peter Sellers kommen konnte. Also ein Film, der ein beachtliches Potential menschlicher Erfahrungen in sich umschließt, aber letztlich auch ein Film, den die meisten Menschen nach 30 Sekunden im Fernsehen skippen würden, weil in der heutigen, schnelllebigen Umgebung wenig Platz für einen derartigen Reichtum an reflexiven Ideen sein dürfte, die der Zuschauer nur mit der kritischen Hinterfragung seiner eigenen Gepflogenheiten erkunden kann. Prädikat brillant.