Fake it, ’til you make it. Das ist das “Business”-Motto vieler Hochstapler. Aber was, wenn es nicht “nur” um Geld und Ruhm, sondern um Gesundheit und Überleben geht. Apple Cider Vinegar erzählt eine ziemlich perfide Hochstapler-Story nach. Sollte man sich das ansehen?
Titel | Apple Cider Vinegar |
Jahr | 2025 |
Land | Australia |
Genres | Drama, Krimi |
Darsteller | Kaitlyn Dever, Alycia Debnam-Carey, Aisha Dee, Mark Coles Smith, Tilda Cobham-Hervey, Chai Hansen, Matt Nable, Ashley Zukerman |
Länge | Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Netflix, Netflix basic with Ads |
Apple Cider Vinegar – Die offizielle Handlung
Apple Cider Vinegar spielt in der Anfangszeit von Instagram, als zwei junge Frauen ihre lebensbedrohliche Krankheit mit gesunder Ernährung und Wellness heilen wollen und als Influencerinnen eine weltweite Fangemeinde in ihren Bann ziehen. All das wäre unglaublich inspirierend, wenn es denn wirklich wahr wäre. Denn dies ist eine nicht ganz wahre Geschichte, die auf einer Lüge beruht und vom Aufstieg und Zusammenbruch eines Wellness-Imperiums erzählt, von der Kultur, die zu seinem Nährboden wurde, und von den Menschen, die es zu Fall brachten.
Die nächste (Fake)Business-Story im Serienformat
Das Internet lockte seitdem es sich global durchgesetzt hat, nicht nur findige IT-Nerds mit ihren Geschäftsideen an, die durch die neuen Möglichkeiten zu erzählwürdigen Erfolgsstories wurden. Im Schatten von Google, Facebook und Co. gab es auch einige nur kurz aufleuchtende Sterne, denen inzwischen auch schon mehrere Serien gewidmet wurden. WeCrashed schickte Jared Leto als Scharlatan mit der Idee zu WeWork auf Investorensuche und Selbstvernichtungskurs, The Dropout schilderte die perfide Betrugsgeschichte von Elizabeth Holmes und ihrem nicht-funktionalen Bluttest-Prototypen und Inventing Anna machte aus Julia Garner die Fake-Oligarchentochter, die es bis in die höchsten Kreise der New Yorker Upperclass schaffte. Diese Geschichte mit Tatsachen-Fundament scheinen also durchaus Anklang zu finden und dementsprechend ist es keine Überraschung, dass bereits weitere dieser Internet-Phänomene bald auf den TV-Schirmen und Leinwänden zu sehen sein werden. Den Anfang macht in diesem Jahr Apple Cider Vinegar mit Kaitlyn Dever als Instagram-Scammerin in der Hauptrolle.

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Kaum eine der benannten Betrugsfälle war wohl jedoch so menschenverachtend und perfide, wie das, was Belle Gibson, gespielt von Kaitlyn Dever, abgezogen hat, um sich im Licht der Aufmerksamkeit zu sonnen.
True-Crime, Medienkritik, emotionaler Tiefschlag
Die Serie steigt direkt ein zum Zeitpunkt als das Lügenkonstrukt schon in sich zusammengefallen und die unglaubliche Bluffs aufgefallen sind. Eine beliebte Erzählweise solcher Formate dann quasi auf zwei Zeitebenen zum einen den Aufstieg zu zeigen und zum anderen auch eine reflektierende Perspektive einzunehmen. Hierbei wenden sich dann auch nicht nur die Protagonistin immer wieder in Richtung der Zuschauerschaft und durchbrechen die vierte Wand. Die Botschaft: “Ihr als Mediennutzer seid Teil des Systems, dass diese Geschichte erst möglich gemacht hat.” Dementsprechend hat trotz aller Dramaturgie, dem Ränkespiel und dem True-Crime-Faktor hier die Medienkritik einen hohen Stellenwert. Dieses Konzept geht zum Teil gut auf, könnte jedoch noch fokussierter sein. Was auf jeden Fall gut funktioniert, sind die Einblendungen von Bildern tatsächlich Todkranker, mit denen in gewisser Weise der Effekt von Schockbildern auf Zigarettenschachteln imitiert wird. Auch die Nähe zu den Figuren in ihren verletzlichsten Momenten in Kliniken sorgt für emotionale Tiefschläge.
Die Einblicke in die Krankheitsverläufe der Handlungstragenden sind sicherlich für die meisten Zuschauenden neu, da wohl nur wenige im Zielpublikum tatsächlich selbst oder im nahen Umfeld so etwas schon haben durchmachen müssen. Das macht einerseits die Tragweite der Lügen erst richtig deutlich, sorgt andererseits aber auch für Verständnis, wie es sein kann, dass Menschen in solch verzweifelten Lagen, sich an noch so kleine Strohhalme der Hoffnung klammern – und sei es fast schon offensichtlich unwissenschaftlicher Unfug fernab der Schulmedizin, der Wunderheilung in Aussicht stellt.
Eine Blenderin – oder doch gefangen in einem pathologischen Zustand?
Apple Cider Vinegar zeigt, ähnlich wie auch Inventing Anna oder The Dropout, wie die Hauptfigur einerseits den Bezug zum moralisch Richtigen verliert und andererseits auch ein Stückweit Produkt ihrer Umstände ist. So zeigt sich Kaitlyn Dever von Außen betrachtet in der Interviewsituation erstmal als unsympathische, vor allem aber uneinsichtige und gefühlskalte Gesprächspartnerin. Doch peu á peu wird über die Rückblendung das “Warum” ersichtlich. Und diese Prozesse bringt Dever, ähnlich wie schon in ihrer Rolle in Unbelievable mit vielen Nuancen und Ambivalenz rüber. Die Genese ihrer Fake-Persona im Sozialen Netzwerk ist logisch nachvollziehbar, bleibt aber natürlich erschreckend traurig und stimmt immer noch wütend, auch wenn man die Gründe etwas zu verstehen beginnt.
Es geht um gesellschaftliche Erwartungen, Druck und auch Überforderung durch ein Überangebot an Möglichkeiten. Das wird verkörpert von der Dever-Figur, aber auch durch Milla, die von Alycia Debnam-Carey zu einer ebenso ambivalenten zweiten Hauptfigur gemacht wird. Im Jahr 2012 war Instagram eben noch ein verglichen mit heute unbeackertes Feld, ein Experimentierfeld mit in der Entstehung befindenden Regeln und Konventionen. Dass die Protagonistinnen da versucht haben, mit ihren individuellen Geschichten ein Business aufzubauen, ist irgendwie erstmal auch mutig gewesen. Auf wessen Kosten diese Erfolgsgeschichten geschrieben werden sollten, steht natürlich auf einem anderen Blatt.
Poppig inszeniert, aber etwas zu lang
Immer wieder spielt Belle die “Krebskranken”-Karte, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Wäre das wenig verwerflich, wenn jemand tatsächlich todkrank ist? Um diese Frage dreht sich die Geschichte, die stilistisch komplett die Zeit spiegelt, in der sie spielt: die Schrifteinblendungen, die Art der künstlichen Visualisierung, das Color-Grading, die etwas zu gewollte Indie-Musik im Soundtrack – kann einem zwar einerseits anstrengend vorkommen, aber passt eben doch irgendwie zur Botschaft und Zeit der Story von Apple Cider Vinegar.
Ein Problem, das womöglich schwerer ins Gewicht fällt, ist, dass die Serie trotz nur sechs einstündigen Folgen fast etwas zu viel Zeit braucht, um die Message zu vermitteln. Das ist wiederum auch ein wiederholendes Problem dieses Subgenres, man dehnt die Geschichten unnötig in die Länge und büßt so immer wieder das Tempo ein bevor es wirklich aufgenommen wurde. WeCrashed war zu lang, The Dropout ebenso und nun auch das neue Netflix-Original aus Australien.
Unser Fazit zu Apple Cider Vinegar:
Die Geschichte ist es wert, erzählt zu werden – und sei es nur als mahnendes Beispiel von Missbrauch der Möglichkeiten von Selbstvermarktung über soziale Plattformen. Auch die Darstellenden machen hier einen top Job, werden allerdings von einem etwas überfrachteten Skript ins kalte Wasser geworfen und schaffen nicht immer den Kopf über dem selbigen zu halten. Der Umgang mit dem Thema Krebs ist zeitgemäß und doch pietätvoll, was im Endeffekt auch verschmerzen lässt, dass sich Apple Cider Vinegar für seine Geschichte etwas zu viel Zeit nimmt.
Apple Cider Vinegar startet am 6. Februar 2025 bei Netflix!
Unsere Wertung:
© Netflix