Mit Über den Dächern von Nizza genehmigte sich der Master of Suspense Alfred Hitchcock zwischendurch ausnahmsweise eine seichte Thriller-Romanze. Heraus kam ein oft unterschätztes, im Sonnenlicht von Cannes glitzerndes Juwel von einem Film.
Titel | Über den Dächern von Nizza (OT: To Catch a Thief) |
Jahr | 1955 |
Land | USA |
Regie | Alfred Hitchcock |
Drehbuch | John Michael Hayes, David Dodge |
Genre | Thriller, Komödie, Romanze, Krimi |
Darsteller | Cary Grant, Grace Kelly, John Williams, Jessie Royce Landis, Charles Vanel, Brigitte Auber, Jean Martinelli, Georgette Anys |
Länge | 106 Minuten |
FSK | ab 12 Jahren freigegeben |
Verleih | Paramount Pictures |
Die Handlung von Über den Dächern von Nizza
John Robie (Cary Grant), ein früherer unter dem Spitznamen „Die Katze“ bekannter Juwelendieb, wurde durch seinen heldenhaften Einsatz in der französischen Résistance gegen Nazi-Deutschland begnadigt und genießt seinen Ruhestand in einer Villa an der Côte d’Azur. Als in der Umgebung gehäuft Schmuckdiebstähle begangen werden und dabei seine katzenhafte Vorgehensweise kopiert wird, gerät er von der Polizei natürlich direkt unter Verdacht. Er flieht vor einem Verhör und versucht eigenständig, seine Unschuld zu beweisen, indem er den neuen Dieb überführt. Mit Hilfe des Versicherungsagenten Hughson (John Williams) findet er heraus, welche Klunker von der neuen Katze mutmaßlich anvisiert werden. Das führt ihn ins Hotel Carlton, wo er die Millionärin Jessie Stevens (Jessie Royce Landis) und deren reizende Tochter Frances (Grace Kelly) kennenlernt. Nachdem Mrs. Stevens‘ Collier gestohlen wird, kommen bei Frances Zweifel auf, ob Robie nicht vielleicht doch rückfällig geworden ist…
Der eleganteste Hitchcock
Über den Dächern von Nizza beginnt mit einer kurzen Montage, in der mehrere gut betuchte Damen kreischend über den Verlust ihrer Juwelen mit der schwarzen Hauskatze John Robies gegengeschnitten werden. So werden wir direkt elegant ins Geschehen eingeführt. Ebenso geschickt ist die direkt darauffolgende Szene, in der wir durch den Zoom auf einen Zeitungsartikel die Vorgeschichte der „Katze“ erfahren – typisch für Alfred Hitchcock. Schon im ein Jahr zuvor gedrehten Das Fenster zum Hof stellte er dem Publikum seinen Protagonisten ähnlich smart vor. Ungewohnt, betrachtet man sein ganzes Œuvre, ist dagegen die luftig-lockere Feel-Good-Atmosphäre, die allein schon durch die malerische Kulisse an der französischen Riviera hervorgerufen wird. Eine idyllische Szenerie, die auch Cary Grant zurück aus dem 1953 angekündigten Ruhestand holen sollte – Hitchcock lockte ihn mit der Aussage, er würde gerne einen Film in Südfrankreich mit Grace Kelly drehen.
Ein Glücksfall, denn zwischen den beiden Hauptdarstellern knistert es so richtig. Die charmanten, schlagfertigen Dialoge des Films – vor allem eben zwischen den ebenbürtigen Robie und Frances – sind so pointiert wie in keinem anderen Werk Hitchcocks. Es ist Über den Dächern von Nizza anzumerken, dass später jeder am Film Beteiligte sagen wird, dass der Dreh so viel Spaß wie kein anderer unter der Regie Hitchcocks bereitete. Die sexuell aufgeladenen Wortgefechte haben extrem viel Klasse und sind folglich neben der traumhaften Kulisse, den eleganten Kostümen, dem frechen Humor und der großartigen Kameraarbeit das Highlight des seichten Thrillers, der sich zu großen Teilen eher wie eine Romanze anfühlt. Ähnlich sah das wohl auch die Academy, die die Krimi-Romanze für drei Oscars nominierte: Bestes Kostüm, Bestes Szenenbild und Beste Kamera. Für letztere Kategorie konnte Robert Burks den begehrten Goldjungen letztlich auch nach Hause bringen.
Der Mann an Hitchcocks Seite: Robert Burks
Ausschlaggebend hierfür war sicherlich auch die rasante Verfolgungsjagd, in der Frances den sichtbar nervösen Robie mit einem Cabriolet vom Typ Sunbeam Alpine Mark III in Höchsttempo über die Serpentinen zwischen Nizza und Monaco chauffiert, nur um ihn mit Ausblick auf das Mittelmeer necken und küssen zu können. Noch imposanter ist allerdings die erste Verfolgungsszene, die von einem Hubschrauber aus gefilmt wurde. Das forderte zum damaligen Zeitpunkt Einfallsreichtum, da es für derartige Zwecke noch keine Kamerahalterung gab. Also ließ Kameramann Burks die Seitentür des Helikopters entfernen und die Kamera mit Seilen, Drähten und Kabeln befestigen. Es lohnte sich – die Szene ist auch heute, 65 Jahre nach Erscheinen des Films, eindrucksvoll. Kaum zu glauben, dass es der einzige Oscar für Burks bleiben sollte, immerhin drehte er zuvor und danach mit Hitchcock insgesamt zwölf Filme, darunter absolute Meisterwerke wie Das Fenster zum Hof, Vertigo oder Der unsichtbare Dritte.
Einordnung von Über den Dächern von Nizza
In diese Riege der Meisterwerke mag sich Über den Dächern von Nizza nicht einreihen. Er dekonstruiert nicht wie in Das Fenster zum Hof so genial den Voyeurismus, liefert keine so kluge psychoanalytische Visualisierung der Nekrophilie wie in Vertigo und wartet mit keiner so wendungsreichen und spannenden Geschichte wie Der unsichtbare Dritte auf. Dennoch: Über den Dächern von Nizza ist ein großartiger, oft unterschätzter Film. Das von John Michael Hayes verfasste Drehbuch vereinfachte die gleichnamige Romanvorlage von David Dodge und Hitchcock selbst nahm beim tatsächlichen Dreh dann noch einige Änderungen vor. Die amüsanteste Anekdote dürfte dabei sein, dass Hitchcock seine Aversion gegen Eier gleich mehrfach im Film unterbrachte. Ein rohes Ei landet an einer Glastür, später wird der Dotter des servierten Spiegeleis als Aschenbecher benutzt. Und nachdem die Polizisten bei der Verfolgungsjagd fast einen Haufen Hühner überfahren, bietet Frances Robie beim Picknick Hühnchen an: „You want a leg or a breast?“
Ein explosiver Orgasmus
Solch eindeutig zweideutigen Dialoge ziehen sich durch die ganzen Geplänkel zwischen Frances und Robie. Das gipfelt in einem himmlischen Höhepunkt: Im Hotel Carlton unterhalten sie sich vordergründig über Diamanten und den Wunsch, sie anzufassen, sie zu besitzen. Schnell wird klar, dass Frances hierbei eigentlich sich selbst meint. Die folgende Sexszene wird freilich nicht gezeigt. Immerhin galt in Hollywood bis 1967 noch der Production Code, der Filmemachern vorschrieb, was sie zu zeigen hatten – besonders streng überprüft wurden dabei Anspielungen auf Sex. Zu sehen bekommen wir lediglich das verbale Vorspiel und den eröffnenden Kuss – gegengeschnitten mit symbolträchtigen Großaufnahmen des gleichzeitig stattfindenden Feuerwerks im nächtlichen Himmel. Ein explosiver Orgasmus. Hitchcock beauftragte in der Postproduktion den Komponisten Lyn Murray, die Filmmusik für die Szene fröhlich-komödiantisch zu gestalten. Ein Geniestreich, denn genau das dürfte der ausschlaggebende Grund sein, warum die Szene später nicht der Schere zum Opfer fiel.
Bittere Ironie des Schicksals
Bei der Filmpremiere 1955 während dem Cannes-Festival lernte Grace Kelly Fürst Rainier von Monaco kennen, der prompt um ihre Hand anhielt. Als sie ein Jahr später heirateten, beendete Grace Kelly auch ihre Schauspielkarriere und zog fortan an den Schauplatz aus Über den Dächern von Nizza: Die Côte d’Azur. Am 13.7.1982 kam sie in einer Haarnadelkurve von einer Bergstraße ab und stürzte über 40 Meter in die Tiefe – genau in der Region, in der auch die halsbrecherische Verfolgungsjagd gedreht wurde, bei der sie selbst am Steuer saß. Die Fürstin wurde zusammen mit ihrer Tochter, Prinzessin Stéphanie, in ein nach ihr benanntes Krankenhaus gebracht. Stéphanie überlebte mit einer Gehirnerschütterung und einem Wirbelbruch, Kelly (nach der Hochzeit änderte sich ihr Name in Gracia Patricia Grimaldi) fiel zunächst ins Koma und starb letztendlich – nach Einstellung der lebenserhaltenden Maßnahmen – an ihren Hirnverletzungen. Ein bitterer und todtrauriger Schicksalsschlag.
Die Riviera in Remastered
Die neue Remastered-Version wurde in 4K abgetastet, erscheint jedoch auf einer klassischen Blu-ray, also in Full HD. Verglichen mit der Veröffentlichung von 2012 wirkt das Colorgrading allerdings etwas anders, viele Szenen scheinen etwas heller und blaustichiger zu sein. Zusätzlich gehen ein paar kleinere Details verloren, weil versucht wurde, das Filmkorn zu entfernen. Welche Version einem letztendlich besser gefällt, bleibt dabei Geschmackssache. Schade ist allerdings, dass auch das Bonusmaterial etwas schmaler ausfällt. Ein Upgrade auf das neue Release lohnt sich also nicht unbedingt, wenn der Film sich eh schon in der Sammlung befindet – was er eigentlich sollte.
Unser Fazit zu Über den Dächern von Nizza
Nicht Hitchcocks bester Film, aber ungeheuer charmant, humorvoll und erotisch. Der einnehmende Cary Grant und die reizende Grace Kelly liefern sich vor malerischer Kulisse und in geschmackvollen Kostümen einen ebenbürtigen Schlagabtausch mit einer unvergleichlichen Eleganz. Die seichte Thriller-Romanze ist mit ihrem hohen Unterhaltungswert und dem mediterranen Flair der perfekte Wohlfühlfilm für eine urlaubsfreie Zeit in der Pandemie – wunderbar!
Über den Dächern von Nizza erscheint am 06.08.2020 in einer Remastered-Fassung auf Blu-ray.
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