Herzlichen Glückwunsch an Woody Allen! Ein Glücksfall – so der Titel – ist sein 50. Film, aber ist der Name nach zuletzt eher durchwachsenen Werken auch fürs Publikum Programm?
Die offiziell Inhaltsangabe von Ein Glücksfall
Fanny und Jean sind das perfekte Ehepaar – beide haben Erfolg im Beruf, leben in einer prächtigen Wohnung in einem exklusiven Viertel von Paris und scheinen noch genauso verliebt zu sein wie am ersten Tag. Doch als Fanny zufällig ihren ehemaligen Klassenkameraden Alain trifft, ist sie hin und weg. Bald darauf sehen sie sich wieder und kommen sich immer näher …
Klassischer Allen mit modernem und zeitgeistigem Anstrich
Auch Intellektuelle haben Probleme. Und keiner legt wohl so gern seinen Finger in die Wunden, die daraus resultieren, wie die Regielegende und der nicht unumstrittene Filmemacher Woody Allen. Es ist nun also sein 50. Film und wer da von einem bald 90-Jährigen noch Neues erwartet, der wird mit Ein Glücksfall eine Enttäuschung erleben. Wer jedoch quasi ein Alterswerk im Stile einer Rückbesinnung auf die stärksten Phasen des eigenen Schaffens – ohne dabei in Selbstreflexion zu verfallen – akzeptieren kann, der bekommt hier wahrlich einen „typischen“ Woody-Allen-Film: Beziehungskonstellationen bei der die Rollen erstmal klar zugeschrieben sind – und man als Zuschauer sich später selbst ertappt fühlt, vorschnelle Urteile gefällt zu haben. Nicht selten würzt Allen diese First-World-Problem-Beobachtungen dann mit smarten Thriller-Elementen.
Meine Seele bleibt die einer Rebellin.
So auch in seinem neuen Werk: Jean wird von vornherein als Trottel mit Spleens (Stichwort: Eisenbahn) dargestellt, wodurch natürlich das Publikum allzeit auf der Seite von Fanny ist. Doch eigentlich ist ja sie diejenigen, die durch ihre Liebelei mit dem Jugendschwarm die Fassade ihrer Ehe erst zum Bröckeln bringt. Dass der gehörnte Ehemann dann auch noch die Lunte riecht und „Gegenmaßnahmen“ initiiert unterstreicht die intendierte Rollenzuweisung. Nichtsdestotrotz wünscht man sich aber doch, dass Fanny und der extrem sympathisch gezeichnete Alain zusammenkommen.
Paris ist das bessere New York
Allen wählte für seinen Jubiläumsfilm die französische Hauptstadt anstatt auch den Fünfzigsten im Big Apple zu feiern. Zum Glück! Denn inzwischen haben sich seine New York Storys merklich abgenutzt – man gewann mehr und mehr irgendwie das Gefühl, dass Allens New York nicht mit dem Wandel der echten Stadt Schritt halten konnte. Da passt es exzellent, dass er nun nach Paris zurückgekehrt, in eine Stadt, die anders als die US-Metropole ihren eigenen Klischees auch heute noch Großteils entspricht und dementsprechend die leicht anachronistische Allen-Story realitätsnäher verkaufen kann.
Er hat so ein bisschen was von Gatsby.
Neben dem reinen Schauplatz in Frankreich spielt in Ein Glücksfall auch die Wahl des französischen Ensemble eine Rolle dafür, dass dieser Film so lockerflockig daherkommt. Die zentralen Akteure sind zwar auch zeitgeistige Stereotype auf ihre Weise. Doch das passt ins Oeuvre des Regisseurs besser, als finge er nun im höchsten Alter noch ein, sich aufgrund gesellschaftlichen Gegenwinds zu verstellen. Das macht dann einen 90-Minüter der klassischen Sorte aus, der genau durch seine Zeitlosigkeit in Verbindung mit kleinen zeitgenössischen Korrekturen köstlich zu unterhalten vermag. Makabrer Humor, clever-düstre Dialoge und kaum aufdringliche Kritik am abgebildeten Milieu, das bei näherer Betrachtung aber doch nicht wirklich gut wegkommt.
Ein Quartett spielt stark auf, das Ende hinterlässt Spuren
Die vier Hauptfiguren, die auch auf dem Poster ins Zentrum gerückt werden, liefern allesamt tadellos ab. Melvil Poupaud ist als Ekel-Gatte eine helle Freude, erinnert an Claes Bang in der Apple TV+-Serie Bad Sisters. Und seinen Kontrahenten spielt Niels Schneider mit einer Naivität, sodass man ihn eigentlich nur ins Herz schließen kann. Valérie Lemercier überhaupt – ohne zu viel zu verraten – den spannendsten Part als Fannys Mutter und Lou de Laâge trägt als Frau zwischen den sprichwörtlichen Stühlen viele Szenen im Alleingang.
Ja, dieser Film wird keine hohen Wellen schlagen, ist zu konventionell in seinem Vortrag und auch nicht sonderlich „twisty“. Dennoch sitzt dieser Schuss des Altmeisters – sollte es sein letzter gewesen sein, er könnte erhobenen Hauptes den Regiestuhl ein für allemal einmotten. Wer beispielsweise den Rowan-Atkinson-Film Mord im Pfarrhaus kennt und mochte, der wird hier eine ähnlich gelungene und modernisierte Variation sehen, die vielleicht in ein paar Jahren regelmäßig an Feiertagen das Nachmittagsprogramm bereichert. Das Ende von Ein Glücksfall ist dann noch das offensichtlichste Augenzwinkern unter vielen meist subtileren solcher Momente, aber speziell diese Pointe sitzt.
Unser Fazit zu Ein Glücksfall
Schwarzhumorig, rasant gepaced und mit schöner Schlusspointe abgerundet, ist Ein Glücksfall tatsächlich selbiger auch fürs Publikum. Die angenehme Laufzeit vergeht rasend schnell und danach wird man mit einem guten Gefühl den nächsten Frankreichurlaub herbeisehnen. Tatsächlich ist diese Thrillerkomödie mitunter der größte Wurf eines Regie-Workaholics seit einigen Jahren und für die Darstellenden bestimmt ein Türöffner zu noch größeren Rollen.
Ein Glücksfall läuft ab dem 11. April in den deutschen Kinos.
Unsere Wertung:
© Weltkino Filmverleih/© 2023 Gravier Productions, Inc.